Grüßgott Jutta, Servus Edi

Artikel teilen

Jutta Speidel ist als Donna Camilla die ungekrönte Quotenqueen. Doch wer weiß schon, dass sie EMMA-Leserin ist und sich zwischen zwei Drehs um obdachlose Frauen kümmert?

Anzeige

"Ich stehe gerade in der Waschküche. Warten Sie, ich schalte das Bügeleisen aus!", sagt Jutta Speidel. Als EMMA bei ihr in München anruft, outet sich die Quoten-Queen des deutschen Fernsehens im ersten Satz als Hausfrau – und im zweiten als EMMA-Leserin der ersten Stunde: "Ich bin mit euch mehr oder weniger groß geworden."
Immer dienstags, ab 20.15 Uhr, zieht die Schauspielerin als Power-Frau Lotte im Nonnen-Habit sieben Millionen ZuschauerInnen in ihren Bann, bei Folge vier der zweiten Staffel von "Um Himmels willen" genau 8,4 Millionen. "Die erfolgreichste ARD-Serie aller Zeiten!", jubelte Programmdirektor Günter Struve. Der Mega-Erfolg ist der alleinerziehenden Mutter von zwei Töchtern (Foto), Franziska (20) und Antonia (17), nicht zu Kopf gestiegen. Aber es kränkt sie, dass sie mal wieder nicht zur Goldenen-Kamera-Gala eingeladen, geschweige denn nominiert worden ist.
Die Figur der unerschrockenen Donna Camilla Lotte Albers, die den niederbayerischen Peppone Wolfgang Wöller (Fritz Wepper) in den Wahnsinn treibt, wurde Jutta Speidel auf den Leib geschrieben. Mit ihrer resoluten Nonne verfolgt sie das hehre Ziel, "das Frauenbild im Fernsehen zu verändern": "Zum ersten Mal in der deutschen TV-Geschichte zeigen sich Schauspielerinnen ungeschminkt mit Pickeln und Falten." Und das kam so: Am Anfang der Dreharbeiten zur ersten Staffel, ausgestrahlt 2002, setzten sich alle sechs Nonnen-Darstellerinnen zusammen und beschlossen, sich nicht auf Schön schminken zu lassen. Und das, obwohl üblicherweise selbst Klosterfrauen im TV Beauties zu sein haben. Jutta Speidel hofft mit diesem "Tabubruch" auf eine "Trendwende". Punktum.
Auch privat schaut Jutta Speidel "selten in den Spiegel. Und in einem BamS-Interview provozierte sie mit dem Bekenntnis: "Geliftete Frauen sehen aus wie Monster." Den "weiblichen Schönheitswahn" hält die heute 49-Jährige "gerade als Mutter von zwei Töchtern" für "hochgefährlich": "Ich kenne etliche Eltern, die ihr Kind durch Magersucht verloren haben." Silikon im Busen und Botox im Gesicht – das findet Jutta Speidel "schlichtweg zum Kotzen". Kein Wunder, dass die Speidel, die mit 15 in "Die Lümmel von der ersten Bank" debütierte, selten zu Glamour-Galas eingeladen wird. Trotz ihrer 30 Kino-Filme und 60 TV-Produktionen.
Woher nimmt so eine die Kraft, gegen den Strom zu schwimmen? Ganz einfach: "Ich bin ohne Patriarchat aufgewachsen!" Der Vater, ein Münchner Patent-Anwalt, "musste sich gegen drei Frauen durchsetzen: gegen meine Mutter, meine Großmutter und mich". Zum Trost hat Papa Speidel sich einen männlichen Hund gekauft und seiner geliebten Jutta einen Werkzeugkasten. Also: "Eine unterdrückte Tochter war ich nicht. Aber eine selbstbewusste. Ich bin so’n Gerechtigkeitsmensch. Ich will gleiche Chancen für alle."
Als Jutta Speidel 1997 erfuhr, dass in der Schickimicki-Metropole München 260 Kinder und deren Mütter obdachlos waren. war sie "fassungslos". Inzwischen sind es über 500. "Wenn man bekannt ist", sagte sie sich, "muss man das nutzen, um was zu verändern."
Speidel setzte alle Hebel in Bewegung, gründete Horizont e.V., trieb Spenden ein und Sponsoren auf, engagierte eine Sozialpädagogin und eine Erzieherin, motivierte 15 Ehrenamtliche zu ständiger Mitarbeit und mietete zehn Appartements für zehn Mütter mit 30 Kindern an. Motto: "Fördern und fordern." Die meisten obdachlosen Frauen sind jung ungewollt schwanger geworden, weiß Jutta Speidel: "Die haben oft die schrecklichsten Misshandlungen hinter sich. Sie und ihre Kinder sind schwer traumatisiert."
Wer bei Horizont unterkommen will, muss sich verpflichten, seine Kinder regelmäßig in Förder- und Therapiegruppen zu schicken. Und auch für die Mütter bietet Horizont Therapien an und Kurse in Deutsch, EDV oder Selbstverteidigung. Jetzt plant Speidel gar ein eigenes Horizont-Haus mit 24 Wohnungen, Büro- und Gruppenräumen. Sie zweifelt keine Sekunde daran, dass sie bis zum Spatenstich im Mai das Geld dafür beisammen hat: "Im Frühjahr 2004 ziehen wir ein." Punktum.
Jutta Speidel ist nicht nur Vorsitzende, sondern auch Geschäftsführerin von Horizont e.V. Wie sie das zeitlich auf die Reihe kriegt? Dumme Frage, ihre Töchter sind ja inzwischen erwachsen! "Die beiden wohnen zwar noch bei mir und lassen sich gern von mir verwöhnen. Aber als alleinerziehende Mutter mit wenig Zeit und sehr viel Arbeit wird man automatisch ein Organisationstalent."
Doch für Männer bügelt Jutta Speidel schon länger nicht mehr, genauer: seit ihre zehnjährige Ehe mit Stefan Feuerstein Mitte der 90er in die Brüche ging: "Trotzdem sind wir gute Freunde geblieben." Der Holzkaufmann ist der Vater ihrer jüngeren Tochter Antonia.
Bevor Jutta Speidel ihn 1985 heiratete, war sie schon alleinerziehende Mutter. Den Namen des Erzeugers der unehelich geborenen Franziska gibt sie bis heute nicht preis: "Es ist unerheblich, wer der leibliche Vater ist. Stefan ist ihr Papa." Schon wieder punktum.
Anfang April beginnen die Dreharbeiten für den Fernsehfilm "Ein heißer Sommer". Und ab Mitte Mai steht die Tüchtige dann wieder ungeschminkt als streitbare Schwester Lotte für 13 neue Himmels-Folgen vor der Kamera. Bis November. Dann geht’s mit einem Musical, "Dirty Blond", auf Theater-Tournee. In dem Drei-Personen-Stück gibt Jutta Speidel die sexy Power-Diva Mae West: "Eine Vorreiterin von Women’s Lib." Na klar.
Cornelia Filter, EMMA 2/2003

www.horizont-ev.org

 

Porträts & Interviews

Artikel teilen
 
Zur Startseite