Kachelmann verliert gegen Schwarzer
Bei dieser Klage vor dem Oberlandesgericht Köln ging es nicht, wie so oft, um juristische Formalien, die für die eine oder die andere Seite zu deren Gunsten bzw. Ungunsten ausgelegt werden können. Sondern es ging um „ein Thema von erheblichem öffentlichem Interesse“ (so das Urteil): Nämlich um die Frage, ob in einem Prozessbericht, der von dem Vorwurf der Sexualgewalt handelt, das „Intimleben“ des Angeklagten thematisiert werden darf. Und darum, ob Zeuginnenaussagen zitiert werden dürfen, um die Strategie der Verteidigung im Umgang mit diesen Zeuginnen deutlich zu machen.
Das Oberlandesgericht Köln entschied nun in einem bemerkenswerten Urteil, es könne durchaus rechtens sein, das Sexualleben eines der Sexualgewalt Angeklagten zu thematisieren. Und ebenso sei es rechtens, die Aussagen von ZeugInnen im Zusammenhang mit einer Kritik an der Verteidigungsstrategie zu zitieren.
"Ein Thema von
erheblichem
öffentlichem
Interesse."
Worum ging es genau? Hier die umstrittenen Passagen, die aus Sicht des Kachelmann-Anwaltes nicht hätten berichtet werden dürfen, im Wortlaut.
In ihrem am 25.3.2011 in der Bild-Zeitung erschienenen Kommentar hatte Alice Schwarzer geschrieben: „All diesen Frauen, denen Kachelmann meist von Liebe und einer gemeinsamen Zukunft vorgeschwärmt haben soll, ist eines gemein: Sie werfen ihm vor, er sei in ihrer Beziehung gewalttätig gewesen.“ Dies sei, so das Oberlandesgericht, ein auf einer Tatsachenbehauptung basierendes Werturteil, das durchaus auch die möglichen Zweifel an den Aussagen deutlich mache.
Und Alice Schwarzer schrieb weiter: „Denn eigentlich geht es um etwas sehr Ernstes. Nämlich darum, dass mehrere Ex-Freundinnen über einen Zeitraum von zehn Jahren alle das Gleiche sagen: Dass Kachelmann in der Beziehung gewalttätig geworden sein soll. Die Behauptung der Ex-Freundin aus Schwetzingen, er habe sie vergewaltigt, ist also denkbar. Denn stimmen die Aussagen der Ex-Freundinnen, hätte Kachelmann sich in dieser Nacht nicht zum ersten Mal gewalttätig verhalten.“ Bei dieser Passage ging es Schwarzer in erster Linie um den Umgang der Verteidigung mit den Aussagen der Zeuginnen, die von Kachelmanns Verteidiger als unglaubwürdig oder irrelevant dargestellt worden waren.
Beide Passagen seien rechtens, entschieden die drei Richterinnen des Kölner Oberlandesgerichts. Sie begründeten ihr Urteil mit den Worten: „Der Bereich der Sexualität kann von dem gegenüber einer Berichterstattung in den Medien absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung ausgenommen sein, wenn eine Sexualstraftat als Ausdrucksform der Sexualität im Raume steht. Die aktuelle Berichterstattung über eine solche Straftat rechtfertigt unter dem Gesichtspunkt des Informationsinteresses nicht allein die identifizierende Veröffentlichung des Tatvorwurfs, sondern unter Umständen auch Berichte über das persönliche Leben des Täters, wenn der Inhalt der Berichte in einer unmittelbaren Beziehung zur Tat steht, Aufschlüsse über Motive oder andere Tatvoraussetzungen gibt und für die Bewertung der Schuld wesentlich erscheint.“
Ein Urteil von
Bedeutung für
alle Opfer von
sexueller Gewalt.
Und auch die Frage des Rechts auf Veröffentlichung der Zeuginnen-Aussagen bejaht das Gericht mit der Begründung: "Weil die von den Zeuginnen geschilderten Begebenheiten als Teil des Strafverfahrens gegen den Kläger, nämlich als Randgeschehen der angeklagten Vergewaltigung anzusehen sind, da die Verhaltensweise des Klägers gegenüber den Zeuginnen im Strafverfahren indiziell verdeutlichen sollte, wie er sich im sexuellen Verkehr mit Frauen ‚üblicherweise‘ verhält und ob er insofern Gewalttätigkeiten zeigte."
Entscheidend war für das Oberlandesgericht, dass es bei dem Kommentar von Alice Schwarzer in erster Linie um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Stil der Verteidigung ging: „Wie Zeuginnen in einem wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung geführten Strafverfahren vom Verteidiger des Angeklagten behandelt werden, ist ein Thema von erheblichem öffentlichem Interesse“, heißt es in dem Urteil. Und weiter: „Eine kritische Auseinandersetzung mit der Vorgehensweise des Verteidigers war jedoch nicht möglich, ohne die kursorisch dargestellten Angaben der Zeuginnen, die dem Leser ein Bild davon vermitteln, mit welchen Angaben sich die Verteidigung konfrontiert sah, mit einem Schlagwort (‚gewalttätig‘) zusammenzufassen.“
Dieses Urteil ist geprägt von einem Bewusstsein um die besondere Problematik der Prozesse, bei denen es um den Vorwurf der Sexualgewalt geht. Denn: Erstens stehen sich darin in der Regel Aussage gegen Aussage gegenüber. Zweitens ist die Strategie der Verteidigung fast immer das Unglaubwürdigmachen, ja Herabwürdigen des Opfers (Stil: „die Falschbeschuldigerin“ bzw. „einvernehmlicher Sex“ etc.). Darum ist dieses Urteil von großer Bedeutung und öffentlichem Interesse.
EMMA 3/2016
Urteil OLG: 15 U 114/15
Der Originalkommentar von Alice Schwarzer: hier nachlesen