Kampf gegen Kindesmissbrauch

„Für die Würde der Kinder“ - diese Installation aus Schuhen erinnert an die Opfer.
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Bergisch-Gladbach, Lügde, Staufen und nun auch Münster. Die Städte sind zu traurigen Synonymen für den unfassbaren massenhaften Missbrauch an Kindern geworden – und für das totale Versagen der Behörden. Am Samstag (20. Juni) ruft die deutsche Kinderschutzhilfe zur Demo in Münster auf. (Alle Infos zur Demo hier).

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Die Demo soll ein Zeichen sein, für einen Kampf, der nun endlich Fahrt aufzunehmen scheint. Ein erster Schritt: die Gesetzesverschärfung bei Kindesmissbrauch, für die sich nun auch die SPD-Justizministerin Lambrecht nach langem Ringen erwärmen konnte. Aus einem Vergehen soll ein Verbrechen werden, keine Bewährungsstrafen mehr. Die Mindeststrafe liegt derzeit bei sechs Monaten, künftig bei einem Jahr. Das Straßmaß kann mit bis zu 15 Jahren Haft voll ausgeschöpft werden. Auch das Berühren von Kindern mit sexueller Absicht wird nun als Verbrechen eingestuft.

Herbert Reul: Kindesmissbrauch ist wie Mord, das muss auch so behandelt werden!

„Kindesmissbrauch ist für mich wie Mord, das muss auch so behandelt werden. Wenn die Herstellung und Verbreitung von Missbrauchsbildern immer noch genauso bestraft wird wie Ladendiebstahl, dann fehlt mir dafür jedes Verständnis“, sagte dazu NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der von allen deutschen PolitikerInnen die deutlichsten Worte zu diesem Thema findet und seit Lügde die Polizei und Behörden in NRW festentschlossen für den Kampf gegen Kindesmissbrauch aufrüstet. Außerdem fordert Reul das Schlachten einer heiligen Kuh: das Verbot der Vorratsdatenspeicherung. Bei der Vorratsdatenspeicherung werden Anbieter gesetzlich dazu verpflichtet, die Telefon- und Internetverbindungsdaten der Nutzer zu speichern. In Deutschland müssen Kommunikationsanbieter aus Datenschutzgründen diese Daten eben nicht speichern. EU-weit herrscht Uneinigkeit - ErmittlerInnen bringt das immer wieder an ihre Grenzen.

Sebastian Fiedler, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, hält das für Täterschutz: „Wir haben einen total pervertierten Datenschutz, der das Aufdecken von Kindesmissbrauch unglaublich schwer macht.“ Und er ärgert sich darüber, dass der Präsident des Bundeskriminalamtes jedes Jahr in der Bundespressekonferenz mitteilen muss, welchen Spuren zu Kindesmissbrauch die Polizei nicht mehr nachgehen kann – nur weil etwa IP-Adressen nicht gespeichert werden dürfen. „2017 waren es zum Beispiel über 8000 Taten, die wir nicht aufklären konnten, weil wir die Verkehrsdaten in Deutschland nicht haben", so Fiedler.

Er setzt daher auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab 1. Juli. Denn dann werden Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, das Steuer in die Hand nehmen. Und von der Leyen (damals noch Familienministerin) wollte schon 2009 ein Sperrgesetz gegen Kinderpornografie durchsetzen, was ihr den Namen „Zensursula“ in der Netzgemeinde einbrachte.

Sebastian Fiedler: Wir haben einen total pervertierten Datenschutz!

Kommissar Fiedler fordert auch dazu auf, die Polizei personell und technisch besser auszustatten. Konkret fehle es etwa an IT-Expertinnen und -Experten für Verschlüsselungstechnik und an BeamtInnen, die besonders in der Anhörung von Betroffenen geschult sind. Gerade in Kinderpornografie-Netzwerken hätten es die ErmittlerInnen mit hochprofessionalisierten Kriminellen zu tun, die sich weltweit vernetzen und immer neue Strategien zur Verdeckung fahren würden.

Immerhin gab der Bundestag am Donnerstag grünes Licht für eine umfassende Aufklärungskampagne ab 2021 und Gesetzesänderungen. Zum Beispiel soll es KinderärztInnen künftig erlaubt sein, sich untereinander auszutauschen (Missbrauchstäter sind dafür bekannt, häufig den Kinderarzt zu wechseln, um Spuren zu verwischen) und sie sollen stärker mit dem Jugendamt zusammenarbeiten. Familienministerin Giffey will auch in Kinderschutz und Jugendschutz investieren: „Der ist bei uns in der Zeit von CD-Rom stehen geblieben“, und eigene Anlaufstellen für Kinder gründen. Auch sollen RichterInnen geschult werden.

Fünf Millionen Euro sind für die Kampagne beschlossen, die vor allem auch die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren soll. Die WHO geht von einer Million betroffener Kinder in Deutschland aus, das sind ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse. Im Durchschnitt muss ein Kind mit sieben bis acht Erwachsenen sprechen, bis ihm endlich jemand glaubt.

Eine Kampagne soll die Öffentlichkeit sensibilisieren

Lügde, Bergisch-Gladbach, Münster, die Missbrauchsfälle der katholischen Kirche, die vom Canisius-Kolleg, der Odenwald-Schule, die neue Studie zum Fall Kentler, die extrem gestiegene Gewalt in Familien im Corona-bedingten Lockdown, der Fall Maddie – all das bringt ein Fass zum Überlaufen, das niemals hätte gefüllt werden dürfen. Am Samstag zeigen Tausende Menschen in Münster Gesicht gegen Kindesmissbrauch. Es reicht mit der Täterjustiz in Deutschland.

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Münster: Wie konnte das passieren?

Die Gartenlaube, in der Adrian V. seinen Stiefsohn und weitere Jungen missbrauchte. Foto: David Inderlied/Kirchner-Media/imago images
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Adrian V., der IT-Fachmann, der Männer in die Gartenlaube seiner Mutter einlud, um dort mit ihnen seinen zehnjährigen Stiefsohn und weitere Jungen zu missbrauchen, sitzt in Haft. Die Polizei war ihm auf die Spur gekommen, weil die Experten ein Netzwerk durchsucht hatten, auf dem der 27-jährige Adrian V. mit anderen Pädosexuellen kinderpornografisches Material getauscht hatte.

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Sie stießen dabei auf eine IP-Adresse, die zu dem landwirtschaftlichen Betrieb führte, in dem Adrian V. Biogasanlagen steuerte. Die Ermittlungen waren extrem aufwändig, es dauerte Monate, die hochprofessionell verschlüsselten Daten zu entschlüsseln.

Das alles war möglich, weil NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nach dem Skandal von Lügde den Kampf gegen Kindesmissbrauch zur Chefsache erklärt und die Ressourcen der Polizei massiv aufgestockt hatte. Gerade forderte der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig, dass „die 15 anderen Innenminister jetzt dringend nachziehen müssen“. Die Polizei brauche „mehr Personal und muss mit modernster Technik ausgestattet werden“. Das ist richtig und lange überfällig.

Die Daten des Netzwerkes
waren professionell verschlüsselt

Aber der Fahndungserfolg der Polizei, der – wieder einmal – ein ganzes Netzwerk von Tätern aufdeckte, sollte nicht verhindern, die folgende Frage zu stellen: Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Adrian V. war schon 2016 und 2017 in zwei Verfahren wegen Besitz und Verbreitung von kinderpornografischem Material verurteilt worden. Zu Bewährungsstrafen. Das ist das erste Problem. Auch der Missbrauchsbeauftragte kritisierte scharf, dass der Besitz von Kinderpornografie „oft nur am unteren Rand der Kriminalität eingestuft“ werde. Rörig forderte, endlich „den Strafrahmen voll auszuschöpfen“. Der liegt bei bis zu fünf Jahren.

Problem Nummer zwei: Trotz der Verurteilungen von Adrian V. sah das Familiengericht keinen Anlass, den zehnjährigen Stiefsohn seinem Einfluss zu entziehen. Im Gegenteil: Im Jahr 2017 wies das Gericht das Jugendamt an, sich aus der Familie zurückzuziehen. Wie kann das sein?

Der Fall erinnert beklemmend an den Fall Staufen. Auch hier entschied das Amtsgericht Freiburg, dass der Sohn von Berrin T., die mit dem verurteilten Kindesmissbraucher Christian L. zusammenlebt, in der Familie bleiben soll. Auflage: Die Mutter soll ihren Sohn von Christian L. „fernhalten“. Die Folgen sind bekannt: Christian L. vergeht sich an dem Jungen, gemeinsam „verkauft“ das Paar das Kind an andere Männer. Auch das Jugendamt schreitet nicht ein, als der misshandelte Junge sich einem Mitschüler anvertraut, weil es den Hinweis für zu „vage“ hält. Erst nach jahrelangem Martyrium des Kindes werden Mutter und Stiefvater verhaftet.  

Mütter, die wissentlich mit Pädokriminellen zusammenleben, schützen die Kinder nicht

Wann begreifen RichterInnen und Jugendämter endlich, dass der Besitz von Kinderpornografie kein Kavaliersdelikt ist, sondern eine schwere Straftat, weil diese Bilder reale und schwere sexuelle Gewalt an Kindern zeigen? Aus Worten werden bekanntlich Taten, aus Bildern auch. Und: Wann verstehen sie endlich, dass Mütter, die wissentlich mit pädokriminellen Tätern zusammenleben, ihre Kinder nicht schützen (können)? Diese Frauen, oft selbst Missbrauchsopfer, sind in psychischen Abhängigkeitsverhältnissen verstrickt, die sie wegschauen oder, wie im Fall Staufen, schlimmstenfalls mitmachen lassen.  

Eine gute Ausstattung der Polizei mit Personal, Ausrüstung und Befugnissen ist extrem wichtig. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass die zuständigen Behörden Opferschutz endlich vor Täterschutz stellen. Und dass sie begreifen, dass und warum Mütter zu Mittäterinnen werden. Dann könnten viele Taten von vornherein verhindert werden. Auch der Missbrauch in Münster.

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