Razzia: Kampf gegen Prostitution!

Am 17.4.2018 wird die Thailänderin, gemeinsam mit ihrem Mann, Kopf der Menschenhändlerbande, verhaftet. Foto: Thomas Bannayer
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Es waren Bilder, die an einen Bürgerkrieg erinnern. Schwer bewaffnete PolizistInnen, darunter etliche der Anti-­Terror-Spezialeinheit GSG 9, stürmten in ganz Deutschland Bordelle und so ­genannte „Termin-Wohnungen“.

Die Häuser und Wohnungen waren bis zu diesem 17. April nicht weiter aufgefallen. Auch das vierstöckige Haus in der Eiserfelder Straße 45 im beschau­lichen Siegen sah aus wie ein ganz ­normales Wohnhaus. Doch was die BeamtIn­nen dort vorfanden, ließ auch hart­gesottene PolizistInnen schlucken. Acht Frauen aus Thailand befreiten die BeamtInnen. Und sie verhafteten das Ehepaar, das offenbar der Kopf des Menschenhändler-Rings war, und die Frauen mit einer Armada Helfer zur Prostitution gezwungen hatte.

„Das geht einem schon sehr nahe, in welchen Verhältnissen die Frauen da hausen mussten“, wird eine Polizistin zitiert. Auch ihre KollegInnen waren schockiert. „Das bewegt unser Personal emotional schon sehr“, erklärt der Siegener Polizeisprecher Jens Flören. Es ist selten, dass Polizeisprecher so etwas sagen.
Die Freier, die die Frauen aufsuchten, klangen anders. „Nach der Dienstfahrt schnell das Thai-Buffet in Siegen gecheckt“, schrieben sie in Freierforen und schwärmten vom „Siegener Thaifickhimmel“. Für die Frauen war dieser Himmel die Hölle.

Die acht Frauen, die die Polizei aus dem Haus holte, sind nur ein Bruchteil der Opfer des Menschenhändlerrings, der mit der beispiellosen Polizei-Aktion gestoppt wurde. 1.500 BeamtInnen in zwölf Bundesländern durchsuchten 62 Bordelle, Massagesalons und so genannte Terminwohnungen, also Wohnungsbordelle. Es war die größte Razzia, die die Bundespolizei jemals gegen einen Prostitutions-Ring durchgeführt hat und eine der größten Durchsuchungsaktionen der Bundespolizei überhaupt. Diese Razzia zeigt einmal mehr, wie das System Prostitution funktioniert.

Die Bande hatte Hunderte Frauen und Transsexuelle, so genannte „Lady-Boys“, nach Deutschland gelockt. Hier angekommen, mussten sie plötzlich fünfstel­lige Summen für die Schleusung „abarbeiten“. Kopf der Bande waren ein Deutscher und eine Thailänderin, eben jenes Paar, das am 17. April verhaftet wurde. Ihnen wird nun „gewerbs- und bandenmäßige Einschleusung von Auslän­dern“ sowie Zwangsprostitution, Zuhälterei und das Vorenthalten von Arbeitsentgelten vorgeworfen.

Laut dem Frankfurter Oberstaatsanwalt Alexander Badle sitzen derzeit neun „Organisatoren und Drahtzieher“ in Haft. Insgesamt gebe es in dem Verfahren aber 55 Beschuldigte. Auch diese hohe Zahl ist beispiellos. Und dennoch erfasst sie ganz sicher immer noch nicht alle, die an der Kasernierung und Bedrohung der Opfer beteiligt waren.

Man muss sich ja nur vorstellen, mit welcher flächendeckenden Brutalität dieses System funktioniert haben muss: In jedem Bordell, in jedem Massagesalon, in jeder Terminwohnung muss es „Aufpasser“ gegeben haben, die dafür sorgten, dass die Frauen und Transsexuellen ihren Kunden gehorsam zu Diensten waren.

Aufgeflogen sei der Menschenhändler-Ring durch die Kontrolle eines Bordells in Maintal, erklärt Oberstaatsanwalt Ale­xander Badle im Gespräch mit EMMA. Dort habe die Polizei drei Personen angetroffen, die sich illegal in Deutschland ­aufhielten. Die Staatsanwaltschaft Hanau ermittelte und stieß auf das Netzwerk. Als absehbar war, dass sich die Ermittlungen nicht nur auf den Bereich Hanau erstrecken würden, übernahm die Eingreifreserve der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main die Ermittlungen. Sie ergaben, dass die Prostituierten in Internet-Anzeigen auf Plattformen beworben wurden. Dies geschah meist durch die Betreiber der jeweiligen Bordelle. „Das war eine aufwändige Puzzlearbeit, die viel Zeit gekostet hat. Dafür brauchen Sie immense ­Ressourcen“, erklärt der Oberstaatsanwalt. Zumal die Menschenhändler „ein weitverzweigtes Netz mit kleinen Etablissements“ aufgebaut hatten, mit dem sie „unter dem Radar flogen“.

Dass die Staatsanwaltschaften und schließlich sogar die Bundespolizei in Deutschland so viel Zeit und Energie ­investierten, ist nicht selbstverständlich. Wer mit PolizistInnen aus dem „Milieu“ spricht, hört immer wieder den resignierten Satz: Menschenhandel ist in Deutschland so schwer zu beweisen und die Verfahren sind so aufwändig, dass die Staatsanwaltschaften davor zurückschrecken und ihre knappen Ressourcen lieber in aussichtsreichere Fälle stecken.

In diesem Fall haben die Behörden ­jedoch äußerst unerschrocken ermittelt – und schließlich bundesweit zugeschlagen. Die Bundespolizei wusste offenbar sehr genau, in welches kriminelle Milieu sie da eindringt, wenn sie sage und schreibe 1.500 PolizistInnen losschickte, darunter die GSG 9. Die paramilitärische Spezialeinheit wurde zur Terrorismusbekämpfung gegründet. Und jetzt tritt sie an zur Bekämpfung der Organisierten Krimi­nalität in Deutschlands Bordellen. Das zeigt, wie ernst endlich auch der Staat das Problem nimmt.

Der Zeitpunkt der Razzia ist wohl kein Zufall. Denn es tut sich was im ­Prostitutionsland Deutschland. Am 13. März hat in Stuttgart der Prozess gegen den „Bordellkönig“ Jürgen Rudloff begonnen. Der Betreiber mehrerer Bordelle, darunter das „Paradise“ in Leinfelden-­Echterdingen, war jahrelang von Talkshow zu Talkshow getingelt und hatte sich dort als Saubermann verkauft. Jetzt steht er wegen „Beihilfe zum schweren Menschenhandel“ und „versuchter gewerbs- und bandenmäßiger Förderung des Menschenhandels“ vor Gericht.

Hermann Müller, Besitzer des Kölner Laufhauses „Pascha“ und weiterer Bordelle, sitzt ebenfalls hinter Gittern. Das „Pascha“ funktioniert nach demselben Prinzip wie das „Paradise“: Die Herren vermieten Zimmer an die Prostituierten, Kostenpunkt: zwischen 70 und 160 Euro am Tag. Mit dem Rest haben sie nichts zu tun. Angeblich. Müllers vor laufender ­Kamera verkündetes Credo: „Die Frau ist dazu geboren, dem Mann zu dienen und zu gehorchen.“

Bisher hat sich über solche Praktiken und Sprüche im Freierparadies Deutschland kaum jemand aufgeregt. Doch fünf Jahre nach der von EMMA initiierten Kampagne „Prostitution abschaffen!“ kippt die Stimmung. Immer mehr Menschen, darunter auch PolitikerInnen, ­begreifen endlich, was Prostitution ist: „Prostitution ist in großen Teilen legalisierte, liberalisierte Sklaverei“, erklärte die Stuttgarter Streetworkerin Sabine Constabel am Abend nach der Razzia im heute journal. Die Vorsitzende des Vereins ­„Sisters – für den Ausstieg aus der Prostitution“ warnte vor der Unterscheidung in „gute“, freiwillige und legale Prostitution und den „bösen“, illegalen Menschenhandel. In Wahrheit, so die Sozialarbeiterin, die sich seit fast drei Jahrzehnten für ­Prostituierte engagiert, sei das nicht zu trennen, denn: „Prostitution ist ein Indus­triezweig, in dem Gewalt, Ausbeutung und Zwang die Regel sind.“

Übrigens: Schwerpunkt der Razzien war Nordrhein-Westfalen, wo die vormals rot-grüne Landesregierung in Sachen Prosti­tution einen äußerst „liberalen“ Kurs fuhr. So richtete sie zum Beispiel ­einen „Runden Tisch Prostitution“ ein, an dem auch Bordellbetreiber saßen. Darunter vielleicht ja auch das Menschenhändler-Paar aus Siegen?

Und die Opfer des Menschenhändler-Rings? 81 Personen wurden bei der Razzia entdeckt. Weil sie sich teilweise ­illegal in Deutschland aufhalten, wurden sie der jeweiligen Ausländerbehörde vor Ort überstellt. Auf Anfrage von EMMA erklärte der Siegener Ordnungsdezernent Arne Fries: „Keine der betroffenen Frauen wurde aufgrund ihres aufenthaltsrechtlichen Hintergrundes in Sicherungshaft ­genommen.“ Es wäre zu hoffen, dass das auch für die anderen Städte gilt, in denen Frauen bei den Razzien entdeckt und ­befreit wurden. Ein Teil habe das Land „bereits auf freiwilliger Basis verlassen“. Die, die noch hier sind, sagen womöglich gegen die Täter aus. Dann würden sie, zumindest für die Dauer des Verfahrens, eine Duldung bekommen. Die Ausländerbehörde bittet aber „um Verständnis“, dass sie über die Aussagebereitschaft der Frauen keine Auskunft geben möchte – „zum Schutz der Betroffenen“. Denn oft werden potenzielle Zeuginnen eingeschüchtert und bedroht.

So funktioniert das System Prostitution.

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