„Kannst du nicht lieber häkeln?“

Svenja Bauer bei ihrer Lieblingsdisziplin "Single Buck" mit der Handsäge. © STIHL Timbersports
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Underhand Chop, Hot Saw, Standing Block Chop. Klingt wie ein asiatisches Gericht, aber Svenja Bauer schwingt keineswegs leidenschaftlich gern den Kochlöffel – sondern ihre Axt. Denn die 35-Jährige aus dem hessischen Niddatal ist Deutschlands beste Holzfällerin. Präziser: Sportholzfällerin.

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Die Wettbewerbe absolviert sie mit Axt, Hand- oder Motorsäge

Seit 2010 nimmt sie an der Deutschen Meisterschaft im Sportholzfällen teil, die sie gerade wieder gewonnen hat. Schon zum zweiten Mal hat sie ihre Gegnerinnen im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Feld geschlagen – beziehungsweise gesägt. Denn bei den Wettbewerben kommt nicht nur die Axt zum Einsatz, sondern auch die getunte Motorsäge und die zwei Meter lange Einmann- oder besser: Einfrau-Zugsäge.

Mit letzterer absolviert Svenja Bauer den Single Buck: Mit der Handsäge muss von einem ziemlich dicken Baumstamm eine Scheibe abgetrennt werden. Svenjas Lieblingsdisziplin: „Weil man da Kraft, Ausdauer und Technik braucht.“

Wenn sie nicht gerade hackt oder sägt, sitzt Svenja Bauer als Kundendienstmitarbeiterin am Schreibtisch eines Offenbacher Unternehmens. Zum Sport-Sägen kam sie, weil sie zu Hause oft mitging, wenn ihr Mann und ihr Vater im Wald Brennholz für die Kamine machten. Die Rollenverteilung war klar: Die Männer sägten, Svenja schleppte. Eines Tages hatte sie darauf keine Lust mehr: „Irgendwann war ich das Schleppen leid, ich wollte selber sägen!“

Sägen ist für Svenja Bauer Ausgleich zum Büroalltag

Ihre Mutter war wenig begeistert vom neuen Hobby der Tochter. „Kannst du nicht lieber häkeln?“, fragte sie. Aber da hatte Svenja Bauer längst Blut geleckt. (Ein in diesem Zusammenhang zugegebenermaßen etwas ungünstiges Bild, aber in Wahrheit schützt die vorgeschriebene strenge Schutzkleidung vor Unfällen). Jedenfalls war Svenja Bauer, die sich beim Sägen als Ausgleich zum Büroalltag „so richtig auspowert“, begeistert.

Zunächst war sie allein unter Männern. Auf die ersten Sägerinnen traf sie erst bei ihrer ersten Weltmeisterschaft, bei der sie gegen 20 Frauen – vor allem Kanadierinnen und Amerikanerinnen - antrat. Inzwischen sägen und hacken auch in Deutschland so viele Frauen auf höchstem Niveau, dass die Deutsche Meisterschaft 2017 zum zweiten Mal auch unter Damen ausgetragen wurde. Siegerin, wie bei der ersten Damen-Meisterschaft 2016: Svenja Bauer.

Svenjas Mann übrigens unterstützt seine erfolgreiche Frau bei ihren Wettkämpfen. Er bereitet das Werkzeug und die nötigen Holzblöcke vor. Will heißen: Jetzt sägt sie – und er schleppt.

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Edeltraud Walla: Die Entschlossene

© Achim Zweygarth
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Im Regal ihres Büros steht ein kleines Bild. Es zeigt Edeltraud Walla mit dem TV-Moderator Günther Jauch. Kleines Bild, große Wirkung.

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Seit die 58-Jährige neben Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) für die Rechte aller Frauen streiten durfte, ist eine Flut losgebrochen. Alle gratulieren ihr zu ihrem Auftritt. Vor allem aber zu ihrem Mut. Denn Edeltraud Walla spricht das aus, was viele Frauen nur denken: „Die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern ist ein Skandal, der zum Himmel schreit.“ In der Lesart der Ministerin hört sich das so an: „Die heutige Arbeitswelt entspricht dem Mittelalter. Sie können nicht davon ­aus­gehen, dass es alle gut meinen mit den Frauen.“

Im Fall von Edeltraud Walla sieht das so aus: Die Schreinermeisterin an der Universität Stuttgart, Fakultät Architektur und Stadtplanung, bekam monatlich 1300 Euro weniger als ein Mann für die gleiche Arbeit. Es kommt noch besser: Der Mann, der inzwischen im Vorruhestand ist, war weniger qualifiziert als sie. Er war Facharbeiter – sie Meisterin. Dennoch blieben der Leiterin der Werkstatt für Modellbau am Monatsende 40 Prozent weniger als ihrem Ex-Kollegen. Er strich 4400 Euro brutto ein – sie 3100 Euro. „Ist das nicht eine himmelschreiende Ungerechtigkeit?“, fragte Günther Jauch und gab so einem alten Sprichwort neue Kraft: Recht haben und recht bekommen sind zweierlei.

Mir wurde der Gerechtigkeits-
sinn in die
Wiege gelegt

Edeltraud Walla hatte mit entsprechenden Klagen bis hin zum Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg. In einer Urteilsbegründung von damals hieß es: „Der Mitarbeiter unterscheidet sich nicht nur hinsichtlich des Geschlechts, sondern auch hinsichtlich des ­Alters und weiterer Merkmale seines Werdegangs, seiner beruflichen Ausbildung, seiner Beschäftigungsdauer deutlich von der Klägerin.“ Und ein Sprecher der Universität Stuttgart ist heute wie gestern bemüht festzuhalten: Es liege keine geschlechtsspezifische Diskriminierung vor.

Edeltraud Walla zieht die Augenbrauen nach oben. Sie sieht das freilich anders und findet alles nur noch „beschämend“. Aber solche Rückschläge steckt sie weg. Schon als Kind kämpfte sie für die Schwachen. In der Schule war sie Klassensprecherin.

Heute ist sie „Beauftragte für Chancengleichheit“ an der Uni. „Ich glaube, mir wurde der Gerechtigkeitssinn in die Wiege gelegt.“ Im reifen Alter sei sie nun noch mutiger geworden. „Wir Frauen wehren uns generell zu spät. Wir versuchen zu lange, die Harmonie zu wahren“, sagt sie und ergänzt: „Männer haben mehr Kampfeswillen, dafür beneide ich sie.“

Vielleicht hätte Edeltraud Walla mit diesem Kampfeswillen schon 1984 alle Register gezogen. Damals arbeitete sie als technische Zeichnerin. Per Zufall bemerkte sie, dass ihr Kollege bei gleicher Arbeit 500 Mark mehr kassierte als sie. Schon damals stießen ihr die Argumente des Arbeitgebers bitter auf: Der Herr Soundso müsse schließlich später mal eine Familie ernähren. „Dieses alte Rollenverständnis machte mich schon damals wild“, sagt sie. „Ohne zu wissen, ob der Kollege schwul oder etwa zeugungsunfähig war, setzte man einfach mal voraus, dass er eine Familie gründen will.“

Etwa 30 Jahre später hat sich aus ihrer Sicht in der Gesellschaft wenig geändert: „Diese Diskriminierung hat System.“ Dabei würden sich Männer durch diese Haltung doch selbst ins Knie schießen: „Auf den Männern lastet doch heutzutage ein Riesendruck in der Rolle des Ernährers. Wenn alle gleich verdienten, wäre alles leichter.“ Für Mann und Frau.

Die neue Perspektive dürfte vielen zu denken geben. Vielleicht sieht man an der Uni Stuttgart den Fall heute längst nicht mehr so verbissen. Edeltraud Walla hat zwar mächtig Staub aufgewirbelt, aber man schätzt ihr Engagement. „Sie hat in ihrer Position als Beauftragte für Chancengleichheit viel bewegt“, heißt es auf den Fluren des K1 in der Keplerstraße. Auch der Uni-Sprecher Herwig Geyer hegt gewisse Sympathie für Wallas Kampf: „Jeder, der an der Universität Stuttgart Verantwortung trägt, ist verpflichtet, dass die Gleichstellung vollumfänglich erfüllt wird. Deshalb danken wir Frau Walla, dass sie in dieser Kultur eine wichtige Rolle spielt.“

Auf den Männern lastet heutzutage ein Riesendruck in der Rolle des Ernährers

An der Haltung zur Bezahlung ändert das jedoch nichts. „An der Rechtsposition der Universität Stuttgart besteht kein Zweifel“, sagt Geyer und verweist dabei auf die gültigen Urteile des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts im Fall von Edeltraud Walla, die letztlich das Bundesarbeitsgericht ­bestätigt hat.

Aber Geyer weiß auch, dass die Schreinermeisterin noch einen letzten Pfeil im Köcher hat. Zusammen mit der Gewerkschaft Ver.di hat sie im Mai 2014 Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Ihre Begründung: Unterschiedliche ­Bezahlung von Mann und Frau bei gleicher Arbeit und Qualifikation verstoße gegen Artikel 3 des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Noch hat das Verfassungsgericht nicht entschieden, ob es die Klage überhaupt zulässt. Doch ungeachtet dessen ist Edeltraud Walla jetzt schon sicher: Sie wird siegen. Für sich und alle Frauen.

Der Text erschien zuerst in den Stuttgarter Nachrichten.

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