Katholikinnen: Gar nicht so fromm
Je älter ich werde, je mehr Erfahrungen ich in der katholischen Kirche sammle, desto mehr fallen mir die Nadelstiche auf. Die selbstverständlichen Benachteiligungen, die Ignoranz, die Arroganz, die sich als Demut tarnt, das Nicht-Ernstnehmen, nur weil das Gegenüber eine Frau ist. Würde man so handeln und reden, wenn dieses Gegenüber eine dunkle Hautfarbe hat, dann wäre man Rassist. Handelt und redet man so, weil das Gegenüber eine Frau ist, was ist man dann? Katholisch.
Wenn ich diese Passage aus meinem Buch „Weiberaufstand“ vorlese, lacht das Publikum. Manche schlagen dabei einen tiefergelegten Hohoho-Ton an, als amüsierten sie sich über einen unanständigen Witz. Als säße ein konservativer Herr Pastor im Raum, der die Lachenden vorwurfsvoll anguckt. Böse Blicke von geweihten Männern treffen Katholikinnen ganz besonders. „Viele glauben letztlich, dass sie sich um ihr Seelenheil bringen, wenn sie sich gegen Kleriker auflehnen“, sagt die Mitarbeiterin eines katholischen Verbandes, als ich sie nach diesen Reflexen fragte. Ein bisschen Macht über die Gewissen ist noch da.
Macht! Dieses Wort taucht im Untertitel meines Buches auf: „Warum Frauen in der katholischen Kirche mehr Macht brauchen.“ Die Antwort ist einfach: Weil Männer davon zu viel haben. Frauen sind nicht die bessere Hälfte der Menschheit, aber sie sind die Hälfte. Das Macht-Wort im Untertitel provoziert mehr Widerspruch als das Wort „Weib“. Um Gottes Willen!, seufzen konservative wie liberale LeserInnen. In der Kirche gehe es doch nicht um Macht! Dienst und Demut, Gott und Spiritualität sind das Wichtigste. Ach ja? Genau diese Reaktion ist ein Teil des Problems. Nicht Macht an sich ist kritikabel, wohl aber der verschämte und gerade deshalb unverschämte Umgang in der katholischen Kirche damit.
Joseph Ratzinger warnte speziell die Frauen vor Machtgelüsten
Joseph Ratzinger warnte in einem Schreiben über die Zusammenarbeit von Männern und Frauen speziell die Frauen vor Machtgelüsten. Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation und spätere Papst raunte im Jahr 2004: „In den letzten Jahren haben sich in der Auseinandersetzung mit der Frauenfrage neue Tendenzen abgezeichnet. Eine erste Tendenz unterstreicht stark den Zustand der Unterordnung der Frau, um eine Haltung des Protestes hervorzurufen. So macht sich die Frau, um wirklich Frau zu sein, zum Gegner des Mannes. Auf die Missbräuche der Macht antwortet sie mit einer Strategie des Strebens nach Macht. Dieser Prozess führt zu einer Rivalität der Geschlechter, bei der die Identität und die Rolle des einen zum Nachteil des anderen gereichen. Die Folge davon ist eine Verwirrung in der Anthropologie, die Schaden bringt und ihre unmittelbarste und unheilvollste Auswirkung in der Struktur der Familie hat.“
Rivalität, Verwirrung, Schaden in der Familie – und das alles nur, weil das Weib den ihm zugewiesenen Platz verlässt. Katholikinnen, die dagegen bei der anthropologisch-apostolisch gebotenen Sitzordnung bleiben, glauben, sie seien „gleichwertig, aber nicht gleichartig“. So steht es in einschlägigen vatikanischen Papieren neueren Datums. Immerhin: „Gleichwertig“ markiert schon einen kleinen Fortschritt; mehr als 1900 Jahre lang galten Frauen als minderwertig.
Das Zweite Vatikanische Konzil machte damit zumindest verbal Schluss. Der so schnell verstorbene Papst Johannes XXIII. bemerkte in einer Enzyklika 1963, die Frau werde sich ihrer Menschenwürde „mehr und mehr bewusst“, sie wolle sich nicht mehr als „seelenlose Sache oder bloßes Werkzeug“ einschätzen lassen, und das sei gut so.
Doch noch bevor das Weib wirklich gleichziehen konnte, fiel die Tür zum Priesterseminar für Frauen ins Schloss. Zum Priesteramt können Frauen nicht berufen sein, hieß es im Lehrschreiben „Inter Insigniores“ von 1976 unter der Ägide von Papst Paul VI. Die Berufung sei ein „Gefühl“, das Frauen von „Büchern und Zeitschriften“ eingeredet werde. Man las offenbar den Kleinen Unterschied im Vatikan.
Die Kirche habe keine Befugnis, Frauen zu weihen
Wenig später wurde Johannes Paul II. Papst. Er meditierte auf dem Heiligen Stuhl ausgiebig über den „Genius der Frau“ und ihre Berufung zur Mutterschaft. Volle Gleichberechtigung galt ihm als „Vermännlichung“, als Verstoß gegen die Schöpfungsordnung. Im Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“ von 1994 entschied dieser Papst „endgültig“, dass die Kirche keine Befugnis habe, Frauen zu Priesterinnen zu weihen. Ein Macht-Wort.
Die Debatte darüber konnte der Papst zwar nicht verbieten, aber verminen: Theologinnen und Theologen, die an der Weisheit des Weiheverbots zweifelten, mussten mit Sanktionen rechnen. Über die Geschlechter ließ sich in der katholischen Kirche nicht mehr frei nachdenken, das Thema wurde zu einer Gehorsams-
angelegenheit, die Theologie zur Magd des Lehramts. Wer Macht hat, braucht keine Argumente.
„Die Tür ist zu“ heißt es seit 1994 in der Frage der Frauenweihe. Türsteherposten sind Machtposten. Vom Nein geht mehr Macht aus als vom Ja. Simone de Beauvoir schrieb 1949 in „Das andere Geschlecht“ sinngemäß: Frauen dürften sich nichts nehmen, sie dürfen nur annehmen, was ihnen Männer gönnerhaft zugestehen. Für die katholische Kirche gilt das erst recht. „Bescheidenheit ist eine Zier“, pflegte meine stets Rosenkranz betende Oma zu sagen. Den zweiten Halbsatz murmelte sie mit gesenktem Blick: „Doch weiter kommt man ohne ihr.“
Katholikinnen kommen dorthin, wo Kirchenmänner ihnen Plätze reserviert haben. Lange durften sie nur Ordensfrau oder Gattin und Mutter sein. Zum Altar mussten sie einen Sicherheitsabstand wahren. Nicht einmal im Chor waren weibliche Stimmen erlaubt. Papst Sixtus V. verbot 1588 sogar Sängerinnen in den Kirchen. Es dauerte eine Weile, bis das Platzangebot erweitert wurde: 32 Päpste später durften Frauen in Kirchenchören mitsingen, seit den 1980er-Jahren können sie als Messdienerinnen, Lektorinnen, Kommunionhelferinnen und Pastoralreferentinnen dem Priester näherkommen. Veränderungen sind also möglich, mancher scheinbar dogmatische Felsen ist nur eine Wanderdüne.
Doch die Tür zum Priesteramt war nicht nur ins Schloss gefallen, der Schlüssel war zweimal herumgedreht worden, zusätzliche Riegel wurden sichtbar befestigt. Die „Frauenfrage“ gilt im Vatikan als gefährlich, weil sie die Geschlechterordnung in Frage stellt. Die katholische Kirche verstand sich vor allem unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. als Bollwerk gegen den Zeitgeist, darunter Feminismus und „Gender-Ideologie“. Gleichberechtigung wurde als Gleichmacherei verunglimpft. Nicht-Gleichberechtigung gilt bis heute als katholischer Markenkern.
Wichtige Entscheidungen sind an die Weihe gebunden
Der Zugang zum Klerus ist ideologisch so verbarrikadiert, dass Argumente nicht mehr durchdringen. Seit einigen Jahren lenken deshalb deutsche Bischöfe den Blick weg von der Weihe, hin zu Ämtern, die männlichen und weiblichen Laien – also Ungeweihten – offenstehen. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) bietet ein Mentoring-Programm an, um einen „Pool von Frauen“, wie es im Pressetext heißt, auf Leitungspositionen in den Verwaltungen der Bistümer vorzubereiten. Das dazugehörige Foto der DBK-Vollversammlung: Es zeigt 67 schwarzgekleidete Bischöfe und Weihbischöfe.
„Darf ich Ihnen meinen Frauenförderplan zeigen?“, fragen moderne Würdenträger. Was dem Verführer von einst die Briefmarkensammlung war, ist dem anschlussfähigen Kirchenmann von heute das Organigramm mit Seelsorgeamts- und Abteilungsleiterinnen. Die meisten Entscheidungen über Glauben, Geld und Personal sind jedoch an die Weihe gebunden, also an den Klerikerstand. Das bedeutet allen Förderplänen zum Trotz: Die gleichwertigen, aber nicht gleichartigen Wesen müssen artig draußen bleiben.
Frauen machen die Mehrheit der katholischen Ehrenamtlichen aus, ohne sie würde der Kirchenbetrieb zusammenbrechen. Es gibt Frauen schon so lange, wie es Männer gibt. Sie sind keine Erfindung der Frauenbewegung. Aber in der Theologie des Amtes gelten sie immer noch als die großen Unbekannten, deren Andersartigkeit ständig neu erforscht werden muss.
Im Frühjahr 2016 bildete Papst Franziskus eine Arbeitsgruppe, die prüfen soll, ob es Diakoninnen geben könnte. Die Experten sollen ergründen, ob es diese dienstbaren Geister schon einmal gab (Ja!), was sie durften (Frauenseelsorge!) und – ganz wichtig – was sie nicht dürfen sollen, nämlich einem männlichen Diakon gleichgestellt sein. Die Kommission muss ein Wunder vollbringen: Das Diskriminierungsgefühl soll bei weiblichen Wesen verschwinden, ohne dass sich an der Diskriminierungsursache etwas ändert.
Nicht die Frauen sind unwichtiger geworden, sondern die Kirche
Franziskus kritisiert immerhin auch den Karrierismus der Männer. Auch sein Amt ist machtvoll. Er könnte, wenn er wollte, das Kirchenrecht ändern, so dass dort nicht mehr steht: „Die Weihe empfängt gültig nur ein getaufter Mann.“ Er könnte die Theologenschaft dazu ermuntern, gezielt nach Argumenten für den Zugang der Frauen zum Klerus zu suchen. Doch darauf verzichtet er. Priesterinnen verstärkten den Klerikaliskus, sagt er (also die Vorstellung, der geistliche Stand, sei etwas Besseres). Das glaubte ich ihm aufs Wort, wenn er alle Ämter abschaffen würde. So aber bleibt die männliche Monokultur.
Franziskus lobt Frauen in den Himmel, verwehrt ihnen aber irdische Ämter. Maria sei wichtiger als alle Bischöfe, pflegt er zu sagen. Sein Vorgänger ernannte Hildegard von Bingen zur Kirchenlehrerin. Tote Frauen machen keinen Aufstand.
Lebendige weibliche Wesen werden in den lehramtlichen Schreiben entweder zum Genius überhöht oder zur Gefahr herabgewürdigt, sie ziehen nie gleich. Diese Diskriminierung der Frauen provoziert keinen Aufstand und keinen Aufschrei, weder bei Frauen noch bei Männern. Sie verabschieden sich still. Hans Küng hatte das in seinem Buch „Die Frau im Christentum“ vor vielen Jahren schon vorhergesagt. Bischöfe ignorieren das Thema Frauenweihe noch nicht einmal. Sie hören die Stille und halten sie für Einverständnis.
Doch nicht der Feminismus ist unwichtiger geworden, sondern die Kirche. Es ist die Ruhe nach dem Bedeutungsverlust. Der römische Männerclub ist nicht einmal mehr feministische Empörung wert.
Jüngere Priester, die mit römischem Priesterkragen zur Welt gekommen zu sein scheinen, schauen mich mitleidig an, wenn ich mich beschwere. Sie fragen: „Wissen Sie nicht, dass Jesus nur Männer berufen hat? Verstehen Sie nicht, dass der Priester den Heiland in persona Christi repräsentiert? Glauben Sie nicht, dass sich in der Tradition der Heilige Geist zeigt?
Warum kann nur ein männlicher Priester Christus repräsentieren?
Nein, ich weiß nichts davon, dass Jesus nur Männer berufen hat. Geweiht hat er ohnehin niemanden, es führt kein direkter Weg vom Abendmahlssaal ins Amt. Nein, ich verstehe nicht, dass nur ein männlicher Priester Christus repräsentieren kann, immerhin feiern Christen an Weihnachten die Menschwerdung Gottes und nicht die Mannwerdung. Nein, ich glaube nicht, dass sich in der Tradition ausschließlich der Heilige Geist zeigt, dafür bläst zu viel patriarchalischer Zeitgeist durch die Kirchengeschichte. Bis heute können sich die Machos dieser Welt – von amerikanischen bis zu afrikanischen Regierungschefs – in ihrem Anti-Feminismus auf die katholische Kirche berufen.
Jesus sagt mit keinem Wort, dass Frauen sich Männern unterzuordnen hätten. Erst der Apostel Paulus ermahnt das Weib dazu, in der Gemeinde zu schweigen und dem Manne gehorsam zu sein. Hätte er die Frauen ermahnen müssen, wenn sie nicht die Botschaft Jesu als emanzipatorisch empfunden hätten? In den Zehn Geboten im Alten Testament stehen Frauen auf einer Stufe mit Nutztieren und Sklaven. Der Protagonist des Neuen Testaments erklärte sie zu Menschen. Aus dem Besitzverhältnis zwischen Mann und Frau sollte eine Beziehung werden.
Es kam anders. Kirchenlehrer wie Augustinus und Thomas von Aquin befanden, Frauen seien nicht genauso gottesebenbildlich wie der Mann. Erst im 20. Jahrhundert, als das nicht mehr offen sagbar schien, wurden die genannten Amts-Ausschlussgründe nachgeschoben. Diejenigen, die nun „Pech gehabt, Jesus war eben ein Mann“ tönen, unterschlagen gern, dass dieses Argument weder besonders alt noch ewig noch biblisch ist, sondern recht spät erfunden wurde.
Wohlmeinende raten mir: Verkämpf‘ dich nicht. Verlass die katholische Kirche, geh rüber zu den Evangelischen oder vergiss den Glauben ganz und werde vernünftig. Manchmal bin ich nah dran. Aber dann fallen mir all die Frauen ein, die mir ihre Geschichten erzählt haben. Frauen, deren Berufung nicht einmal geprüft wurde, die abgekanzelt, exkommuniziert oder für hysterisch erklärt wurden. Doch den Satz: „Wir haben euch Frauen Unrecht getan“ habe ich noch von keinem Papst, Präfekten oder Priester gehört. Das wäre noch nicht der Anfang vom Aufstand, aber zumindest vom Anstand.
Christiane Florin