Keine Angst vor „Christina“?

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Immerhin 1.000 Frauen und Männer wurden befragt, Hurrikane-Daten aus sechs Jahrzehnten ausgewertet. Die Ergebnisse haben die ForscherInnen nun in dem Magazin „Proceedings of the National Academy of Science“ (PNAS) veröffentlicht.

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„Bei der Beurteilung der Sturmintensität legen die Menschen scheinbar ihre Vorstellung von typisch männlichem und typisch weiblichem Verhalten zugrunde“, erklärt Mitautorin Sharon Shavitt. „Hurrikane mit weiblichem Namen werden als sanfter und weniger gefährlich eingeschätzt.“ Das führt dazu, dass Menschen sich vor einem Wirbelsturm mit dem Namen „Christina“ seltener in Sicherheit bringen, als vor einem, der „Christoph“ heißt. Und das kann tödlich enden.

Lange Zeit hatten Stürme übrigens nur weibliche Namen. Mit der Begründung, dass sie genau so heimtückisch und launisch seien, wie die Frauen. Geändert wurde das in den 1970er Jahren. Bis heute werden in den USA die Namen schon vor der Hurrikane-Saison festgelegt. Für 2014 lauten sie: Arthur, Bertha, Christobal, Dolly, Edouard, Fay, Gonzalo, Hanna, Isaias, Josephine, Kyle, Laura, Marco, Nana, Omar, Paulette, Rene, Sally, Teddy, Vicky und Wilfred.

Das klingt etwas viel, aber es ist ja vielleicht auch bald vorbei mit solch endlos langen Namens-Listen: Denn die ForscherInnen fordern, das System der Namensgebung für Stürme zukünftig zu ändern.

Auf längere Sicht wäre es natürlich nicht nur im Hinblick auf Wirbelstürme am praktischsten, die Menschen würden begreifen, dass die Annahme Frau = sanft und Mann = furios das eigentliche Problem ist.

Apropos: Die verheerendsten Wirbelstürme hießen Katrina (2005) und Audrey (1957). Die allerdings wurden in der US-Studie nicht berücksichtigt. Sie waren so immens, dass sie das Ergebnis verfälscht hätten.

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Netter Sexismus?

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Fangen wir vorne an: Was verstehen Sie denn unter Sexismus?
Julia Becker: Sexismus ist eine negative Einstellung oder Verhaltensweise gegenüber einer Person aufgrund ihres Geschlechts. Er kann sich gegen Frauen und Männer richten – Frauen sind aber schon immer stärker davon betroffen gewesen. Sexismus muss übrigens gar nicht feindselig sein. Er beginnt da, wo bestehende Geschlechterhierarchien künstlich aufrechterhalten werden.

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Deshalb unterscheiden Sie in feindlichen und wohlwollenden Sexismus.
Genau. Feindlicher Sexismus ist vor allem Männersache. Frauen stimmen vorwiegend wohlwollendem Sexismus zu. Im Berufsleben begegnet uns eher der feindliche Sexismus. Der richtet sich gegen Frauen, die mit traditionellen Rollenmustern wie Hausfrau oder Mutter brechen. Im Alltag und in Paarbeziehungen finden wir vor allem den wohlwollenden Sexismus.

Zum Beispiel?
„Frauen müssen von Männern umsorgt und beschützt werden“ – das ist ein Klassiker für wohlwollenden Sexismus. Oder auch: „Frauen sind das bessere Geschlecht, sie haben mehr Sinn für Kunst und Kultur, sie sind feinfühliger, sie können sich besser um die Kinder kümmern“. Auch das ist sexistisch. Denn alle diese Attribute sind nicht mit Macht und Status verknüpft. Sie weisen Frauen eher einen geringeren Status zu. Frauen sind angeblich moralisch überlegen und fürsorglich, warmherzig und kreativ. Aber diese Eigenschaften werden nicht mit Kompetenz und Durchsetzungsvermögen in Verbindung gebracht. Frauen sind „gut“ zu anderen und deshalb bleiben sie in der Defensive. Sie können nicht einfach sagen: Heute beschütze ich mal meinen Mann.

Und feindlicher Sexismus?
Sätze wie „Frauen sind nicht so kompetent, wie Männer und deshalb haben Männer einen höheren Status verdient“ oder „Frauen wollen Männer doch nur dominieren“ sind Beispiele für feindlichen Sexismus. Ebenso: „Frauen versuchen sich unter dem Deckmantel der Gleichberechtigung persönliche Vorteile zu verschaffen.“

Was ist denn für Sie das überraschendste Ergebnis Ihrer Forschung?
Dass es nicht nur Frauen gibt, die wohlwollendem, sondern auch solche, die offen-feindlichem Sexismus zustimmen. Dieser Beobachtung bin ich im Detail nachgegangen. Dabei habe ich herausgefunden, dass sie diese feindlichen Aussagen keineswegs auf sich selbst oder auf die Frauen im Allgemeinen beziehen. Nein, sie zielen damit immer auf Feministinnen und Karrierefrauen. Wenn sie also zum Beispiel der Aussage „Frauen wollen doch nur mehr Macht als Männer“ zustimmen, dann denken sie dabei an Feministinnen und nicht an sich selbst.

Und warum ausgerechnet diese beiden Gruppen?
Na ja, die Rollenaufteilung in vielen Beziehungen sieht heute noch immer so aus: Der Mann macht Karriere und ist der Hauptverdiener. Die Frau hört auf zu arbeiten, sobald die Kinder da sind und nimmt danach einen Teilzeitjob an. Eine traditionelle Familienaufteilung also. Karrierefrauen oder Feministinnen brechen mit dieser Tradition, sie sind non-konform. Und das kommt bei eher traditionellen Frauen nicht so gut an, weil sie non-konforme Frauen als Bedrohung ihres Weltbildes wahrnehmen.

Steht der Feminismus deshalb bei Frauen in einem ständigen Rechtfertigungszwang?
Ja. In der Psychologie heißt das „Systemrechtfertigung“: Menschen streben danach, nicht nur sich selbst und ihr Umfeld positiv wahrzunehmen, sondern auch das gesellschaftliche System, in dem sie leben. Selbst wenn Frauen heute nach wie vor in Führungspositionen unterrepräsentiert sind und weniger verdienen, streben vor allem traditionell eingestellte Frauen danach, diese Aufteilung trotzdem als fair und gerecht anzusehen. Dafür benutzen sie legitimierende Ideologien. Sexismus ist eine davon. Klar, wenn ich davon ausgehe, dass Frauen und Männer aufgrund ihrer Geschlechterzugehörigkeit völlig unterschiedlich sind, kann ich damit auch die fehlende Gleichberechtigung rechtfertigen.

Welche Weltbilder werden denn geschützt?
Viele Frauen und natürlich auch Männer sind der Ansicht, dass sich Frauen und Männer ergänzen, dass Frauen besser in der Kindererziehung sind und Männer besser im Berufsleben. Das Weltbild dieser Menschen wird natürlich angegriffen, wenn sie sehen, dass andere ihr Kind schon früh in den Kindergarten geben oder vom Vater aufziehen lassen.

„Frauen wollen doch gar keine Karriere machen“ – wäre das auch wohlwollender Sexismus?
Das ist eher ein Beispiel für modernen Sexismus. Die Annahme, dass Frauen heute gar nicht mehr diskriminiert sind. Ein Argument, um die bestehenden Ungleichheiten in der Wirtschaft zu rechtfertigen: Männer sind in einflussreicheren Positionen und verdienen mehr Geld. Daran sind die Frauen selbst schuld. Sie wollen ja gar keine Karriere machen.

Eigentlich dachten wir doch, die Zeit solcher Sprüche sei vorbei.
Das stimmt. Es ist aber auch erwiesen, dass solche Einstellungen besonders in Bedrohungssituationen sichtbar werden. Nehmen Sie eine Arbeitsgruppe in einem männlich dominierten Arbeitsfeld. Zum Beispiel im gehobenen Management, in dem es mehr Männer als Frauen gibt. Studien zeigen, dass Männer mit Sexismus reagieren, wenn nach und nach Frauen dazukommen. Sie aktivieren die Stereotype aus Selbstschutz, zum Erhalt ihrer Stellung.

Warum stimmen denn Frauen diesem wohlwollenden Sexismus überhaupt zu?
Es handelt sich schließlich um eine Wertschätzung, wenn einem per se positive Eigenschaften zugeschrieben werden. Viele Frauen mögen es, beschützt zu werden. Sie lieben Komplimente. Das sind alles Annehmlichkeiten, die sich im Kleinen gut anfühlen und im Großen Schaden anrichten. Die positiven Emotionen steigen an. Damit steigt die Systemrechtfertigung. Und dann denken Frauen, dass die Gesellschaft Frauen und Männer fair behandelt und die Aufteilung der Macht zwischen ihnen gerecht ist. Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene hält dieses Wohlwollen allerdings Geschlechterstereotype aufrecht. Ich habe zum Beispiel herausgefunden, dass Frauen, die wohlwollendem Sexismus ausgesetzt sind, weniger dazu bereit sind, an kollektiven Aktionen für mehr Gleichberechtigung teilzunehmen. Beim feindlichen Sexismus ist das anders! Der macht eher wütend und erhöht die Bereitschaft.

Das heißt, wohlwollender Sexismus lullt ein?
Genau.

Warum machen Frauen sich selbst mundtot?
Weil sich Wohlwollen wie eine Belohnung anfühlt. Das ist das Gefährliche. In einer Studie haben Forscher zum Beispiel nachgewiesen, dass Frauen im Lösen von Denkaufgaben schlechter abschneiden, wenn sie vorher mit wohlwollendem Sexismus konfrontiert wurden. Das aktiviert die schon erwähnten Stereotype: Frauen sind nett aber nicht kompetent. Das beeinflusst die Frauen unbewusst und ihre Leistung nimmt ab.

In ihrer Forschungsarbeit schreiben Sie, dass Frauen Sexismus auch zustimmen, um dazuzugehören.
Es gibt eine andere Studie, in der Frauen mit folgendem Szenario konfrontiert werden: Sie sitzen in einem Raum mit Männern und einer macht einen sexistischen  Kommentar. Die Frauen werden gefragt: Was würdest du machen? 80 Prozent geben an, dass sie sich sofort wehren und den Mann auf sein unangemessenes Verhalten hinweisen würden. Das gleiche Szenario wurde dann tatsächlich hergestellt – und nur 15 Prozent der Frauen haben sich gewehrt. Genau das ist die Ursache, warum Sexismus nicht verschwindet: Die wenigstens sagen etwas dagegen, obwohl sie sich unwohl fühlen. Viele Frauen haben Angst, bei Kritik als kompliziert oder humorlos zu gelten. Sich gegen Sexismus auszusprechen, wird bis heute sozial sanktioniert. Sich als Feministin zu outen ebenso.

Erleben wir derzeit einen Backlash in Sachen Sexismus?
Ich bin mir nicht sicher, ob es sich um einen Backlash handelt oder ob Sexismus immer latent da war. Ich glaube, dass Feministinnen oder eigentlich alle selbst bewussten Frauen oft übersehen, was beim Rest der Gesellschaft außerhalb ihres Milieus los ist.

Ernten Sie denn auch Kritik für Ihre Forschungsarbeit?
Ja, sogar häufig. Besonders wohlwollender Sexismus ist kein prominentes Forschungsgebiet. Viele sagen: Sexismus spielt für Frauen heute keine Rolle mehr. Oder: Heute werden Männer diskriminiert, zum Beispiel durch Frauen-Quoten.

Sie beschäftigen sich ja auch mit Auswegen aus dieser Sexismus-Falle. Wo sind die?
Besonders subtiler und wohlwollender Sexismus wirkt auf viele Frauen und Männer gar nicht sexistisch. Dagegen hilft eine stärkere Sensibilisierung. Auch von Frauen. Aufklärung ist wichtig. An Schulen gibt es Projekte für Integration und gegen Gewalt. Warum nicht gegen Sexismus? Kinder sollten schon früh lernen, wie negativ die Konsequenzen sind. Ich habe einmal Studentinnen Tagebücher ausgehändigt, in denen sie eine Zeit lang sexistische Erfahrungen notieren sollten. Das hat sie nicht nur für das Thema sensibilisiert. Sie haben sexistischen Äußerungen danach auch weniger zugestimmt.

Und auf der individuellen Ebene?
Alltägliche Verhaltens- und Denkweisen hinterfragen! Ist das sexistisch gewesen? Wenn eine Frau diese Frage mit „Ja!“ beantwortet, würde ich ihr dazu raten, sofort zu reagieren. Zu sagen: Das passt mir nicht! Oder nachzufragen: Wie hast du das denn gemeint? Humor ist auch immer gut. Frauen neigen dazu, in dem Moment selbst nichts zu sagen – und danach die ganze Zeit darüber nachzudenken. Es gibt nur einen Weg, dieses Nachgrübeln zu unterbinden: Sofort reagieren. Das hat sogar positive Effekte! Meine Untersuchungen haben nämlich auch gezeigt, dass Frauen so auf andere aufrichtiger, cleverer und sozial kompetenter wirken. Auch auf Männer.
 

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