Kelly/Bastian: Eine tödliche Liebe
In diesem Text geht es um Lebenslügen, inklusive linker, denn auch die so deutschen Söhne und Töchter der kritisierten Nazi-Eltern sind nicht immer gefeit vor dem Missbrauch der "gerechten" Sache. Und es geht um die in Deutschland besonders verbreitete Unfähigkeit, Ambivalenzen auszuhalten, Widersprüche wie diese: dass auch Weltverbesserer nicht immer auf der Höhe der eigenen Ansprüche sind; dass auch ein nach außen starker Mensch nach innen schwach sein kann; und dass Liebe und Hass oft sehr dicht beieinanderliegen. Kurzum, es geht gegen Kitsch, der immer das Gegenteil von Realität ist.
Bei Erscheinen dieses Buches ein Jahr nach dem Tod der beiden hat mein Text ein extremes Pro und Contra ausgelöst. Doch war es nicht etwa die Generation des von mir als Täter benannten Bastians, die gegenhielt, im Gegenteil: diese Männer fühlten sich verstanden, von ihnen enthielt ich die differenziertesten und aufrichtigsten Briefe (sogar von veritablen Generälen und Spitzenpolitikern). Nein, es waren ihre Söhne, die die bittere Wahrheit nicht hören wollten.
Doch benannten diese Kritiker nicht ihr Unbehagen, sondern verwickelten mich in einen Methodenstreit in Bezug auf Inhalt und Form. Woher ich denn überhaupt wissen wollte, wie es wirklich war? Hatten Gert Bastian und Petra Kelly sicher keine Sexualität mehr miteinander, und wenn, ist es nicht überhaupt taktlos, darüber zu schreiben? Hat er sie wirklich erschossen, oder war es nicht Doppelselbstmord? Aber doch zumindest Tötung auf Wunsch!
Es war schon erstaunlich, in welchem Maße trotz des Todes von zwei Menschen die Wahrheit von fast allen schlichtweg geleugnet wurde. Denn schließlich hatte die Polizei bereits zwei Tage nach dem Fund der Leichen gemeldet: Er hat sie im Schlaf erschossen. Und sehr rasch wurde auch deutlich, dass das Opfer Pläne über Pläne gehabt hatte für die kommenden Monate und Jahre.
Kitsch
statt
Wahrheit
Doch trotz dieser eindeutigen Faktenlage sprach selbst der Staatsanwalt von einem "Doppelselbstmord" und richteten die Grünen den beiden eine gemeinsame Trauerfeier aus ("Liebe Petra, lieber Gert"...). Es konnte einfach nicht sein, was nicht sein sollte.
Nicht die Tat an sich, sondern genau diese Verlogenheit im Umgang mit der Tat war übrigens der Anstoß zu diesem Buch. Die Arbeit wurde dann für mich zu einer ganz besonderen Herausforderung, denn das Opfer war mir emotional keineswegs näher als der Täter, eher umgekehrt. Und dennoch galt es, die Dinge genau zu benennen.
Entscheidend war für mich die Tatsache, dass da zwei Leichen lagen. Wie hatte es dazu kommen können? Welche Rolle hatte das Leben der beiden vor ihrer einsamen Zweisamkeit bei diesem Ende gespielt, welche die Verhältnisse und welche die Beziehung? In letzterer hatte sich das Binnenmachtverhältnis irgendwann gegen den lebenslang siegesgewohnten General gerichtet; worauf er, in die Enge getrieben, die Pistole zog. Doch schon lange zuvor hatte er ihr sein Begehren entzogen - eine aufschlussreiche Etappe beim Niedergang dieser Liebe.
Dass ich gewagt hatte zu schreiben, dass er sein Begehren schon lange getötet hatte, das hat so manchen Kommentator weit mehr erregt als die Tatsache, dass er sie umgebracht hat. Ein als linker Aufklärer renommierter Journalist aus der Söhne-Generation flippte bei einem öffentlichen TV-Interview auf der Buchmesse bezeichnenderweise schier aus über diese meine "Taktlosigkeit" (was vielleicht mehr über ihn aussagte als über Bastian). Und auch er stellte selbstverständlich den Wahrheitsgehalt dieser vielfach bewiesenen Entwicklung infrage.
Und in der taz blieb von dem Buch noch nicht einmal die zentrale Mord-These, sondern nur noch die von der "angeblichen Impotenz" Bastians übrig. Über "Sex" wird also auch angesichts zweier Toter lieber schwadroniert als über Existenzielles. Und es bleibt auch dabei: Die Verletzung der "männlichen Ehre" (oder was mann dafür hält) wiegt schwerer als die Auslöschung weiblichen Lebens.
Als ich im Oktober 1992 begann, über den Tod und das Leben von Petra Kelly und Gert Bastian zu recherchieren, hatte ich die beiden schon länger nicht mehr gesehen. Dabei hatte ich sie zu Lebzeiten gekannt, und das bereits vor ihrer Karriere als grüne Politikerinnen.
Beide hatten mich seit Anfang der 80er Jahre politisch interessiert und auch ihrerseits Kontakt zu mir gesucht: der General als Aussteiger aus dem (Nach)Rüstungwahn, und die Grüne als kämpferische Ökologin und Feministin. Gleichzeitig trennte Petra Kelly und mich Fundamentales, vor allem politisch - was uns allerdings nicht daran hinderte, öffentlich bis zuletzt respektvoll miteinander umzugehen.
Ich war, als ich das Buch schrieb, also keineswegs Partei, auch nicht für die Frau. Ich war einfach am Verstehen interessiert, an nichts als der Wahrheit. Nur eines war mir von Anbeginn an klar: Man mordet nicht aus Liebe, sondern aus Hass. Wie aber hatte es dazu kommen können? Und wie habe ich versucht, zu verstehen?
Das Buch ist journalistisch recherchiert und literarisch geschrieben. Ein Beispiel: Wenn ich schreibe, dass er sich nach dem Schuss in ihren Kopf noch einmal auf ihr Bett gesetzt hat, dann verweise ich zwar nicht auf die Quelle, aber ich habe diese Tatsache selbstverständlich dem Polizeibericht und dessen Spurensicherung entnommen. Doch wenn ich mutmaße, warum er in dieser Nacht - und nicht einen Tag oder einen Monat oder ein Jahr später - geschossen hat, dann kann ich mich dabei weder auf verlässliche Quellen, noch auf das soziologische und psychoanalytische Instrumentarium allein verlassen, ich muss auch auf meine Intuition zurückgreifen.
Man mordet nicht aus Liebe, sondern
aus Hass
Faction nennen die Amerikaner das. Doch erst, nachdem ich das Buch fertig hatte - übrigens in einem Zuge und innerhalb weniger Wochen - habe ich mir selber rückblickend die Frage nach der im Schreiben entstandenen Form gestellt. In "Eine tödliche Liebe" mischen sich: die Fallstudie eines Psychodramas, die biografischen Skizzen zweier Lebensläufe und ein Stück deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert, verkörpert von zwei Generationen - von der Nazizeit bis zu den "Grünen" - und zwei Geschlechtern. Selbstverständlich ist das nicht durch die trockene Aneinanderreihung von Fakten erfassbar, sondern muss dem lebendigen Stoff von Lebens- und Geschichtsläufen mit psychologischem Gespür und dichterischer Freiheit nachgespürt und nachempfunden werden.
Ich musste feststellen, dass diese Art zu schreiben zwar eine große Tradition hat in Frankreich oder im angloamerikanischen Raum, in Deutschland bislang jedoch unbekannt bis verpönt ist. Warum? Hat das vielleicht auch mit der so typischen deutschen Angst vor Gefühlen zu tun? Mag die vor ja noch gar nicht so langer Zeit verführte Mehrheit der Deutschen samt Kindern und Kindeskindern ihren Gefühlen nicht mehr trauen, nachdem sie sich im Taumel der tausend Jahre emotional so gründlich verrannt hatte?
Wie auch immer. Alles, was ich als Tatsachen schildere, basiert auf Recherchen und Beweisen; es stammt aus öffentlich zugänglichen Quellen, aus zahlreichen Gesprächen mit Menschen aus dem engsten Umkreis der beiden und aus mir von der Ehefrau und Tochter Bastians oder der Freundin Kellys überlassenen persönlichen Dokumenten. Alles, was nicht bewiesen, sondern gemutmaßt ist, lasse ich offen oder formuliere es als Frage.
Dieses Buch enthält darum viel mehr Fragen als Antworten.
Diesen Text hat Alice Schwarzer 2001 geschrieben, apropos der Verfilmung ihres Buches für die ARD. Alice Schwarzer: Eine tödliche Liebe, Essay (KiWi TB, 9.90 €)