Verordnete Ohnmacht
Es gibt auch in Deutschland geschlagene, gedemütigte, vergewaltigte oder psychisch gefolterte Frauen, die immer noch mit großen Hindernissen zu kämpfen haben, um sich aus einer solchen Situation zu befreien. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass auch die Reaktionen des Umfeldes und des Bekanntenkreises sehr verletzend sein können: Da wird dann bagatellisiert, weggehört oder einfach nicht geglaubt.
Trotzdem kann Frau diesem Zustand entkommen. Sie trennt sich von dem Partner und wahrscheinlich auch von einigen Bekannten, sucht sich ein neues Umfeld. Sie kann versuchen, neu anzufangen und mit etwas Zeit und Anstrengung vielleicht sogar wieder Vertrauen ins Leben fassen.
Wenn man allerdings mit dem Gewalttäter gemeinsame Kinder hat, sieht das ganz anders aus. Dann bleibt dieser weiterhin präsent, kann Druck ausüben und sich in persönliche Entscheidungen einmischen, vor allem, wenn es kein Gerichtsurteil zu Gewalttätigkeiten in der Beziehung gibt. Ein gemeinsames Sorgerecht wird nämlich nur aufgelöst, wenn „Gefahr für Leib und Leben des Kindes zu befürchten ist“.
Wie soll dieses Konzept funktionieren?
Als Mutter hat man also kein Recht darauf, keinen Kontakt zum Täter mehr zu haben. Man wird dazu aufgefordert, „die Paarebene von der Elternebene zu trennen, und dem anderen wohlwollend und versöhnlich gegenüberzutreten“. Denn wenn eine sich da „im Interesse des Kindes“ etwas bemüht, sollte doch eine Elternbeziehung aufzubauen sein… Doch wie soll so ein Konzept – es ist das einzige, das existiert – funktionieren? Vor allem dann, wenn allein der Gedanke an jede Art von Beziehung mit dem Täter Angstzustände auslöst? Und wem nützt es eigentlich, wenn die Väterrechte um jeden Preis geschützt werden?
Auch beim gemeinsamen Sorgerecht getrennt lebender Eltern leben die Kinder gewöhnlich bei der Mutter, die dann die Sorgepflicht ausübt und die gesamte Alltagsverantwortung allein trägt. Ihre berufliche Karriere kann sie nur mit großer Anstrengung verfolgen, Auslandsaufenthalte, Dienstreisen, flexible Arbeitszeiten oder Schichtarbeit sind schlicht unmöglich. Sie wird in den Niedriglohnsektor, in Minijobs etc. gedrängt, um ihr Kind überhaupt versorgen zu können.
Dem Vater fallen dagegen eigentlich nur Rechte zu: Er kann frei über sein Leben entscheiden, als hätte er keine Kinder. Sogar der Unterhalt für das Kind wird häufig nicht gezahlt und muss eingeklagt werden. Und ganz unabhängig davon, ob er für das Kind sorgt, darf er alle wichtigen Entscheidungen im Leben des Kindes – und damit in dem der Mutter – mittreffen: Schulwahl, Wohnort, Vereins- oder Religionszugehörigkeit oder die Beantragung eines Reisepasses. Darüber hinaus hat die Mutter auch noch die Pflicht, regelmäßig über alle Entwicklungen des Kindes zu berichten und sich mit seiner Meinung dazu auseinanderzusetzen.
Die hier vom Staat verordnete Elternbeziehung zwischen Täter und Opfer unterscheidet sich in ihrem Machtgefüge und in ihrem Rollenbild nicht wesentlich von der vorausgegangenen Paarbeziehung – nur dass sie gegen den ausdrücklichen Willen des Opfers und mit Gesetzesdruck aufrecht gehalten wird. Es wird der Anschein von Gleichberechtigung erweckt, um die Frau in ein offiziell längst überholtes und auch verfassungswidriges Frauenbild zu zwingen: Sie bleibt als Mutter eines gemeinsamen Kindes dem Täter weiter ausgeliefert. Wenn sie versucht, sich dem zu entziehen, wird sie vom Jugendamt und von der Gesellschaft abgestraft, da sie „gegen das Kindeswohl“ handelt.
Das Familienrecht nützt nur dem Mann.
Dieser gesamte Komplex von Macht und Ohnmacht wird nämlich nur mit der Behauptung begründet, ein Kind brauche unbedingt den leiblichen Vater, um gesund aufzuwachsen. Den Nutzen hat eine Männergesellschaft, die so dafür sorgt, dass die gesamte Haus- und Erziehungsarbeit weiter widerspruchslos und noch kostengünstiger (die Frau muss ja nicht mehr mitversorgt werden) erledigt wird. Diese Frauen sind dann auch so beschäftigt, erschöpft und gedemütigt, dass sie kaum die Energie haben, sich zu wehren.
In meinen Augen ist das derzeitige Familienrecht ein Instrument, die formelle Gleichberechtigung, die gesetzlich festgelegt ist, in der Praxis wieder aufzuheben. Wenn mit der Gleichberechtigung keine Gleichverpflichtung einhergeht, schützt das Familienrecht ausschließlich die Privilegien der Männer und ist es ein Machtinstrument für jeden Mann gegenüber der Mutter seiner Kinder.
Susanne Wagner, 33, Klütz/Wismar