Kino: Princess im Pornoland
"Mögest du die Beine für die Engel breit machen, wie du es auf Erden für uns getan hast." So hat es Pornokönig Charlie auf den Grabstein von „Princess“ meißeln lassen. Princess hieß irgendwann mal Christina. Das war, bevor sie Charlies Freundin wurde, der sie in seinem Imperium zur Pornoqueen machte. Jetzt liegt sie mit einer Überdosis Drogen im Körper auf dem Friedhof. Ihr Bruder, der Priester August, übernimmt nun die Sorge für Christinas Tochter Mia, deren Körper und Seele ebenfalls dem erbarmungslosen Milieu zum Opfer gefallen sind. Nackt in die Badewanne gesetzt, öffnet die Fünfjährige ihrem Onkel den Reißverschluss seiner Hose; im Vater-Mutter-Kind-Spiel mit den Nachbarskindern, in dem schon alle Rollen verteilt sind, bietet das Mädchen an: „Ich könnte ja die Hure sein.“ Der tief erschütterte August startet einen Rachefeldzug gegen Charlie und seine Firma mit dem bezeichnenden Titel „Paradise Lust“, der in seiner Raserei im totalen Desaster endet.
Der dänische Cartoonist Anders Morgenthaler hat ein erstaunliches Experiment gewagt: Ausgerechnet mit einem Zeichentrickfilm tut er einen beklemmenden Blick in die kalte Welt der Pornoindustrie – und beleuchtet dabei die Schatten, die die Verknüpfung von Sex und Gewalt auf die gesamte Gesellschaft wirft. „Okay, ich schieb dir den Stock in den Hintern“, sagt der offensichtlich bereits einschlägig geprägte Nachbarsjunge, als Mia mit Manga-Mandelaugen und heruntergezogener Unterhose ihre Rolle im Spiel einnimmt. Disney meets Porno.
„Ich bin kein Neo-Puritaner. Aber ich habe die Nase voll von dieser ‚liberalen‘ Gleichgültigkeit gegenüber der Pornifizierung der Gesellschaft“, sagt Morgenthaler, Kinderbuchzeichner und Co-Autor der dänischen TV-Kultserie „WulffMorgenthaler“. Es ist sicherlich kein Zufall, dass ein Skandinavier diesen Film gemacht hat. Schon öfter haben Regisseure aus dem emanzipierten Nordeuropa mit künstlerisch mutigen Filmen über Missbrauch („Das Fest“) und Frauenhandel („Lilja forever“) Haltung bezogen. Nun also auch Anders Morgenthaler, dessen Cartoons in der Tageszeitung Politiken auch als Serie auf MTV liefen und dessen Filmteam – bestehend aus Drehbuch-Jungstar Mette Heeno und „Wulff- Morgenthaler“-Produzentin Sarita Christensen – in Dänemark äußerst populär ist.
Ob der mörderische Feldzug von Rächer August mit seinem desaströsen Ende letztlich (leider) ebenfalls eine Männerphantasie ist oder ob der ambivalenzfähige Filmemacher zeigen will, dass die blinde Wut des Priesters auch von seinem schlechten Gewissen gegenüber Schwester und Nichte herrührt, die er nicht hat retten können, sei dahingestellt. Fest steht, dass Morgenthaler mit „Princess“, einen ebenso verstörenden wie beeindruckenden Beitrag zur aktuellen Pornografie-Debatte geleistet hat, in dem seine Position eindeutig ist: „Um einen Pornofilm zu genießen, muss man entweder total dumpf sein oder fähig, von der Tatsache zu abstrahieren, dass man auf dem Bildschirm echte Menschen vor sich hat.“