Kleine Frau gegen große Bank
Dass sie mit ihrer Kolumne eine solche Lawine lostreten würde, hatte sie sich dann nun doch nicht vorstellen können. Obwohl sie im Frühjahr 2019 schon einmal mit einem Text für ein veritables Erdbeben in einem Konzern gesorgt hatte. Damals hatte es Zalando getroffen. Diesmal traf es die ehrwürdige Schweizer Nationalbank (SNB).
Wieder hatte alles mit einer Kolumne von TV-Moderatorin Patrizia Laeri begonnen. Alle zwei Wochen schreibt die bekannteste Wirtschaftsjournalistin der Schweiz und bekennende Feministin einen Kommentar in der Boulevardzeitung Blick. Dieser trug den Titel: „Hat die SNB ein Problem mit Frauen?“ Journalistin Laeri hatte in einem Interview SNB-Chef Thomas Jordan gefragt, wieso die Staatsbank eigentlich Milliarden in Waffenhersteller und Klimasünder investiere. Der fragte entgeistert zurück: „Frau Laeri, diese Fragen meinen Sie doch nicht etwa ernst?“ Daraufhin fragte Laeri sich und ihre LeserInnen, ob die Abwesenheit von Ethik und Nachhaltigkeit womöglich mit der „dominanten Männerkultur“ im Konzern zusammenhängen könnte. 81 Prozent Männer lenken den „Superinvestor“ in der Führungsetage.
Nun kam die besagte Lawine ins Rollen.
Ehemalige und aktuelle Mitarbeiterinnen der SNB meldeten sich bei Laeri und beklagten grassierenden Sexismus, Mobbing und Lohndiskriminierung in der SNB. Eine Ex-Angestellte berichtete, ein Vorgesetzter habe ihr erklärt, „wofür ihre Geschlechtsorgane gut seien“. Eine andere erzählte, ihr Einstiegsgehalt sei um 10.000 Franken im Jahr niedriger gewesen als das ihrer Kollegen. In einem weiteren Artikel, in dem sie die gesammelten Vorwürfe zusammentrug, kam Laeri zu dem Schluss: „Nicht nur das Geschlechterverhältnis bei der SNB ist jämmerlich. Es ist alles noch viel schlimmer.“ Die SNB-Chefetage wies die Vorwürfe „entschieden zurück“. Aber das nützte ihr nichts. Die Lawine war nicht mehr zu stoppen.
Eine Petition auf der Kampagnen-Plattform Campax, die eine unabhängige Untersuchung forderte, bekam rasch 5.000 Unterschriften. Céline Widmer, Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei (SP), fand die Anschuldigungen „schockierend“. Die SNB müsse „sofort aufzeigen, wie sie diese Zahlen verbessert“. Auch ihre grüne Kollegin Maya Graf forderte: „Die dokumentierten Missstände müssen untersucht und behoben werden.“ Politikerinnen aller sechs Parteien im Schweizer Parlament unterzeichneten eine Vorladung an die SNB-Spitze.
„Die müssen jetzt antanzen und im Parlament Rede und Antwort stehen“, freut sich Patrizia Laeri im Gespräch mit EMMA. Schließlich habe die Schweizer Nationalbank „eine Vorbildfunktion“. Wie man oder vielmehr frau es besser machen kann, „sieht man an der Europäischen Zentralbank mit ihrer Chefin Christine Lagarde. Die investiert bewusst in grüne Anlagen und hat eine 50 : 50-Quote.“ Ob es die demnächst auch bei der Schweizer Nationalbank gibt? Eins ist jedenfalls sicher: „Der Kuschelkurs mit der heiligen Kuh SNB ist vorbei.“
Bei Zalando hatte die Kolumne, die Patrizia Laeri im Mai 2019 schrieb („Darum bestelle ich nicht mehr bei Zalando“) schon praktische Folgen. Das Onlineversand-Imperium mit Sitz in Berlin hatte frank und frei erklärt, sein Ziel für Frauen auf Vorstandsposten sei: null. Das brachte Patrizia Laeri auf die Palme. Sie habe „keine Lust mehr, einem Konzern beim Geldverdienen zu helfen, der Frauen bewusst aus der Chefetage ausschließt“, schrieb sie. „Wäre schon ganz spannend zu sehen, wie die Geschäfte so laufen würden mit null Prozent Kundinnen.“ Ihr Boykott-Aufruf hatte durchschlagende Wirkung. Die Zalando-Chefs reisten aus Berlin zum Gespräch mit Laeri in Zürich an, anschließend beschloss man eine Geschlechter-Quote für die sechs obersten Führungsebenen.
Geht doch.