Köln: Eine Demo, viele Fragen
Gegen 18 Uhr haben sich die DemonstrantInnen vor der erhabenen Kulisse des Kölner Doms getroffen, um gegen die Horror-Nacht an Silvester zu protestieren. Dazu hatten u.a. der Frauennotruf aus Köln, die linke Organisation „Young Struggle“, die Soroptimistinnen, die Grünen und der Bund sozialistischer Frauen aufgerufen. Am Dom prallten an diesem Abend Welten aufeinander. Aus einigen Rednerinnen sprach nicht die Wut oder das Mitgefühl für die Missbrauchs-Opfer dieser Nacht, sondern die bloße Sorge vor dem nun angeblich drohenden Rassismus.
Doch es wurden auch kämpferische Töne angeschlagen. „Wir brauchen keine Polizei und wir brauchen keine Türsteher!" skandierte eine der Mitorganisatorinnen. „Es wird Zeit, dass wir Frauen uns selbst verteidigen!" Als Vorbilder nannte sie die „Frauenarmee in Westkurdistan und die Gulabi Gang in Indien". Verhaltenes Klatschen im Publikum. Waren wir nicht zusammenzukommen, um unsere Rechte einzufordern? Dass wir vor solchen Übergriffen geschützt werden - und uns eben genau nicht selbst schützen müssen?
Wie kann es sein, dass die Polizei nicht sofort reagiert hat?
So sah das offenbar auch eine der Rednerinnen, Beshid Najafi von der Kölner Organisation "Agisra", die sich für die Rechte von Migrantinnen einsetzt. Wie kann es sein, fragt sie wütend in die Menge, "dass die Polizei nicht sofort reagiert hat?" Auch im Gespräch mit EMMA hatte eine Betroffene berichtet, dass die Polizei von Weitem zugesehen hat, wie sie massiv bedrängt wurde. Wie konnte das passieren? Das fragt sich mittlerweile ganz Deutschland.
Den ersten richtigen Applaus erntete Mina Ahadi. „1.000 Männer treffen sich nicht zufällig, wir haben es hier mit organisierter Gewalt zu tun!", erklärte die erfahrene iranische Frauenrechtlerin im Gespräch mit EMMA. Diese sexuelle Gewalt in der Kölner Nacht sei genauso eine terroristische Strategie, wie es zuvor auch schon Bomben und Attentate waren. „Sie wollen die Frauen bewusst in einen Schockzustand versetzen, das dürfen wir nicht verharmlosen", klagt Ahadi. Die Iranerin hält einen islamistischen Hintergrund der Vorfälle in der Silvesternacht für möglich, ja wahrscheinlich.
Im Publikum steht Stefanie, alleine und mit festem Blick auf die Rednerinnen. Ihre FreundInnen aus Stuttgart waren an Silvester in die Randale am Hauptbahnhof geraten und Stefanie ist nun stellvertretend für sie hier. "Am schlimmsten finde ich, dass niemand geholfen hat", sagt sie.
Und Charlotte. Die 24-Jährige ist sogar extra aus Maastricht angereist. Von der Kundgebung ist sie aber eher enttäuscht. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Vorfälle selbst stärker im Fokus stehen, nicht die politischen Parolen."
Neben Charlotte stehen Sarah, Lisa und Jan. Sie kommen gerade vom Einkaufen und stoßen zufällig zur Demo. „Das passt!", sagen sie. Sie hätten den ganzen Tag über nichts Anderes gesprochen! Denn heute sei ihnen genau dasselbe passiert wie den Frauen am Hauptbahnhof, erzählen Sarah und Lisa. Eine Gruppe Männer mit Migrationshintergrund hat sich ihnen genähert. "Dann hat sich einer genau vor uns gekniet und so getan, als wolle er seine Schuhe binden. Und die anderen haben angefangen, uns zu umstellen." Den Frauen ist nichts passiert. Sarah arbeitet neben ihrem Studium als Deutschlehrerin für Flüchtlinge. „Viele Vorurteile, die jetzt im Raum stehen, sind wirklich überhaupt nicht berechtigt", sagt sie. "Aber auch ich hatte schon Männer in meinen Kursen, die gar keinen Respekt vor Frauen hatten und sich von mir als Frau nicht unterrichten lassen wollten."
Etwa nach einer Stunde setzt sich die Truppe vor dem Kölner Dom in Bewegung Richtung Tatort: den Kölner Hauptbahnhof. Einige marschieren bis in die Eingangshalle hinein. "Say it loud, say it clear, refugees are welcome here!" hallt es durch den Bahnhof.
Sie wollen die Frauen in einen Schockzustand versetzen!
Ein junger Mann beobachtet den Menschen-Trupp skeptisch. Dann lächelt er schüchtern und fragt auf Englisch: "Entschuldigung, was haben die Leute gerade gerufen?" - "Flüchtlinge sind willkommen! Das ist eine Demo gegen die sexuellen Übergriffe an Silvester!" Der Mann denkt nach. Dann erzählt er: Er kommt aus Syrien und studiert schon länger in Deutschland. "Aber waren die Täter nicht vor allem aus Nordafrika?", fragt er irritiert. Darüber habe er gerade noch mit einem Freund gesprochen, der vor Kurzem aus Syrien nach Deutschland geflüchtet ist. Die Übergriffe auf die Frauen findet er schrecklich. "Wissen Sie, auch in Syrien wären solche Taten auf offener Straße vor der Krise undenkbar gewesen." Und was wünscht er sich? "Ich wünsche mir stärkere Kontrollen."
Der Demo-Zug ist da schon lange weitergezogen. Der Terror gegen Frauen in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof aber wird noch lange nachhallen.
Alexandra Eul