Koopmans: "Islamismus? Ein Import!"
Herr Professor Koopmans, Sie haben untersucht, wie verbreitet religiös-fundamentalistische Einstellungen bei muslimischen EinwanderInnen sind. Was haben Sie herausgefunden?
Bis zu meiner Studie war darüber fast gar nichts bekannt. Und ich hatte die Vermutung, dass solche Einstellungen weiter verbreitet sind als bis dato angenommen. Das hat sich bestätigt: 30 Prozent der Befragten in Deutschland haben ein fundamentalistisches Weltbild. In Belgien und Frankreich waren es sogar 50 Prozent.
Was haben Sie als „fundamentalistisches“ Weltbild definiert?
Wir haben die Zustimmung zu drei Aussagen abgefragt: Sollten Muslime zu den Wurzeln des Islam zurückkehren? Gibt es nur eine bindende Auslegung des Koran? Und: Sind religiöse Regeln wichtiger als säkulare Gesetze? Bei denen, die allen drei Aussagen zugestimmt haben, gehen wir von einem fundamentalistischen Weltbild aus. Und dieses Weltbild geht einher mit Feindseligkeit gegenüber anderen Gruppen. So lehnten zum Beispiel fast drei Viertel derjenigen mit fundamentalistischer Haltung Homosexuelle als Freunde ab und stimmten der Aussage zu, dass man „Juden nicht trauen kann“. Diesen Zusammenhang kennen wir auch aus Studien über christlichen Fundamentalismus.
Haben Sie auch nach der Haltung gegenüber Frauen gefragt?
Wir haben nach den Geschlechterrollen gefragt. Wir haben gefragt, ob Mütter arbeiten sollten oder nicht. Oder ob Frauen außerhalb des Hauses ein Kopftuch tragen sollten. Das Ergebnis war, dass es auch hier einen starken Zusammenhang gab zwischen religiösem Fundamentalismus und der Befürwortung traditioneller Geschlechterrollen. Allerdings denkt der durchschnittliche Muslim nicht viel anders als der durchschnittliche Christ über die Frage, ob Frauen mit Kindern arbeiten sollten oder nicht: In beiden Religionsgruppen sind um die 50 Prozent dieser Meinung zugetan. Nur die Nicht-Gläubigen haben da emanzipiertere Vorstellungen. Ein weiterer wichtiger Befund: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau ein religiösfundamentalistisches Weltbild hat, ist dann am höchsten, wenn sie ein Kopftuch trägt. Was nicht heißt, dass alle Kopftuch-Trägerinnen Fundamentalistinnen sind. Aber in vielen Fällen hat das Kopftuch sehr wohl eine Bedeutung: Es steht für eine konservative bis fundamentalistische Glaubensauffassung. Von den Kopftuchträgerinnen in den sechs europäischen Ländern haben mehr als 60 Prozent eine fundamentalistische Glaubensauffassung und 55 Prozent meinen, dass man Juden nicht trauen kann.
Ihre Studie hat ergeben, dass eine solche islamistische Glaubensauffassung bei den jungen Befragten genauso stark vertreten ist wie bei den Älteren.
Bei Christen ist der religiöse Fundamentalismus deutlich stärker in der älteren Generation vertreten. Bei den Muslimen hingegen gibt es kaum einen Zusammenhang zwischen fundamentalistischen Einstellungen und Alter. Das ist beunruhigend. Und die Erklärung dafür liegt außerhalb Europas. Es wird oft behauptet, dass Radikalisierung eine Reaktion auf Ausschluss aus der Einwanderungsgesellschaft ist. Wenn das aber so wäre, dann müssten wir ja in den Herkunftsländern deutlich weniger Radikalisierung, Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit finden. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die Einwanderung hat also die Muslime eher säkularisierter und liberaler gemacht. Dieser ganze religiöse Fundamentalismus ist in den islamischen Herkunftsregionen entstanden und nach Europa übergeschwappt. Natürlich sind dafür dann bestimmte Menschen anfälliger als andere, nämlich diejenigen mit schlechterer Bildung und ohne Job. Die denken zu 55 Prozent fundamentalistisch. Aber auch bei den Muslimen mit Hochschulabschluss und einem Job finden wir immer noch einen Prozentsatz von 21 Prozent mit fundamentalistischen Ansichten.
Sie haben festgestellt: Muslime sind die Migrantengruppe, bei der die Integration in den Arbeitsmarkt am schlechtesten funktioniert. Was sind die Gründe?
Die landläufige These lautet ja: Die Ursache für die Nachteile von Muslimen am Arbeitsmarkt sind die so genannte Islamophobie, Diskriminierung und Ausgrenzung. Aber Studien, die das behaupten, messen Diskriminierung überhaupt nicht. Ich habe mir nun vier Faktoren angeschaut: Erstens die Sprachkenntnisse. Zweitens die Mediennutzung – also, ob jemand überwiegend die Medien des Herkunftslandes oder deutsche Medien nutzt. Drittens interethnische soziale Kontakte: Hat jemand deutsche Freunde, Nachbarschaftsbekannte und Familienmitglieder? Und viertens die Auffassung über die Rolle der Frau. Und wenn wir diese Faktoren mit einbeziehen, dann finden wir fast keine Unterschiede mehr zwischen dem Arbeitsmarkterfolg von Muslimen und Nicht-Muslimen.
Ihre Studie heißt: „Funktioniert Assimilation?“ Assimilation gilt ja als „böses Wort“, weil es suggeriert, die Migranten sollten ihre kulturellen Wurzeln kappen.
Die historische Ursache für den schlechten Ruf des Begriffs ist, dass man zum Beispiel in Australien bei den Aborigines oder in den USA bei den Indianern versucht hat, die Kultur dieser Gruppen zu zerstören. Das ist natürlich aus guten Gründen in Verruf geraten. Und das habe ich selbstverständlich nicht gemeint. Der wesentliche Aspekt für den Erfolg von Integration ist nicht, dass man seine eigene Kultur aufgibt, sondern dass man sich die Kultur des Wohnlandes aneignet. Wenn aber zum Beispiel türkische Kinder mit ihren Eltern zu Hause Türkisch sprechen, darüber hinaus den ganzen Tag türkisches Fernsehen läuft und die Kinder auch nur mit anderen türkischen Kindern spielen, dann können sie, wenn sie mit sechs in die Schule kommen, oft einfach kein gutes Deutsch. Und es ist sehr schwierig, das wettzumachen.
In den Medien war die Rede davon, Sie würden Migranten eine Art „Selbstdiskriminierung“ unterstellen.
Das Wort würde ich selbst nicht benutzen, weil natürlich niemand sich selbst bewusst schaden würde. Vielmehr haben wir Migranten über Jahrzehnte die falsche Botschaft eingeprägt, dass kulturelle Assimilation unwichtig und unerwünscht sei. Die Botschaft kam sowohl von Konservativen aus den Herkunftsländern wie der türkische Präsident Erdoğan, als auch von Anhängern des Multikulturalismus in den Einwanderungsländern. Wir sehen in Deutschland und auch in den Niederlanden die Tendenz, Migranten als Opfer wahrzunehmen, die nicht wirklich entscheidungsfähig sind und die wir folglich nicht wirklich ernst nehmen müssen. Und wir haben auch die Neigung, die Ursachen für Integrationsprobleme zu einseitig bei der aufnehmenden Gesellschaft zu suchen. Ich glaube, dass erfolgreiche Integration erst mal die Verantwortung der Person selbst ist, die eine Menge dafür tun kann. Und viele Migranten tun das auch. Dazu gehört der Spracherwerb, das Aufbauen von Kontakten zur Mehrheitsgesellschaft, sich nicht abzuschotten und auch die Übernahme bestimmter Auffassungen – zum Beispiel über die Emanzipation der Frau. Das ist ein Prozess, der in vielen Zuwanderergruppen stattfindet. Aber bei den Muslimen findet er langsamer statt und zum Teil stagniert er sogar.
Warum?
Das hat etwas mit der größeren kulturell-religiösen Barriere zu tun. Nehmen wir mal die Auffassungen über die Rolle der Frau. Die Vorstellung, dass Frauen ins Haus gehören, war ja auch bei uns lange religiös begründet, und der Islam ist da auch heute nicht sehr fortschrittlich. Und das erklärt zu einem großen Teil die geringe Arbeitsmarkt-Partizipation muslimischer Frauen. Nicht nur im Vergleich zu Frauen aus der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch im Vergleich zu Frauen aus anderen Migrantengruppen. Die haben nämlich zum Teil sogar eine höhere Arbeitsmarkt-Partizipation als deutsche Frauen, die ja in dieser Hinsicht auch nicht die fortschrittlichsten sind. Konservative religiöse Ansichten führen auch dazu, dass es weniger soziale Kontakte mit der Mehrheitsgesellschaft gibt als bei anderen Migrantengruppen. Wenn man zum Beispiel nicht möchte, dass verheiratete Frauen Kontakt haben mit Männern außerhalb der Familie, oder dass die eigenen Töchter mit fremden Jungs in Kontakt kommt, dann führt das zwangsläufig in die soziale Abschottung. Solche Integrationsbarrieren sind bei Muslimen leider weit verbreitet. Genauso wie Rechtsradikalismus nicht begrenzt ist auf ein paar Extremtäter, sondern bis in die Mitte der Gesellschaft reicht, so reicht auch der islamische Fundamentalismus bis in die Mitte der muslimischen Community.
Aber die Politik tut sich sehr schwer damit, das Problem zu benennen. Warum?
Weil die Realität nicht in das ideologische Weltbild von der bösen Aufnahmegesellschaft und den armen Migranten als diskriminierten Opfern passt. Da gibt es so eine neokolonialistische Idealisierung von Migranten als „edle Wilde“, denen dauernd geholfen werden muss, weil sie selbst keine Verantwortung tragen können. Der zweite Grund ist ein strategischer, nämlich die Vorstellung, dass man, wenn man das Problem benennt, alle Muslime stigmatisiert und gerade damit eine weitere Radikalisierung fördert. Das ist zum Beispiel die Linie in der Politik von Obama, der niemals das Wort Islam verwendet, sondern immer nur ganz allgemein von „Terrorismus“ spricht.
Ist da nicht was dran?
Nicht viel. In der ganzen Integrationsdebatte der 1980er und 1990er Jahre war der Islam überhaupt kein Thema. Da ging es um Nationalitäten oder in manchen Ländern auch um die Hautfarbe, um Türken oder Schwarze. Der Islam ist erst ein Thema geworden, nachdem in Kenia und Tansania die ersten Anschläge verübt wurden. Und dann kam der große Boom mit 9/11. Erst dann haben Leute wie Geert Wilders in den Niederlanden angefangen, den Islam als großes Problem zu definieren. Es ist also nicht so, dass die Radikalisierung der Muslime und das weltweite Aufkommen von Fundamentalismus eine Reaktion ist auf Islamfeindlichkeit. Die Islamfeindlichkeit ist eine Reaktion auf das Aufkommen von Fundamentalismus und Radikalisierung.
Und wie sehen Sie die Rolle der muslimischen Verbände wie DITIB oder den Zentralrat der Muslime?
Diese sind Vertreter der großen Verneinungsthese: Fundamentalismus und Radikalisierung hätten mit dem Islam nichts zu tun und fänden in den muslimischen Gemeinschaften überhaupt keine Unterstützung. Stattdessen sollten sie anerkennen, dass sie ein massives Problem in den eigenen Reihen haben und aktiv dafür kämpfen, dem einen anderen, modernisierten Islam entgegen zu setzen. Das tut man nicht, in dem man das Problem verneint und die Schuld auf die Islamophobie und den Westen schiebt. Dabei gibt es sowohl in den muslimischen Communitys in Europa als auch in der muslimischen Welt insgesamt eine Polarisierung: Auf der einen Seite gibt es eine bisher noch viel zu wenig sichtbare Modernisierungsbewegung und auf der anderen Seite die Fundamentalisten, die lautstark das öffentliche Bild vom Islam prägen. Das ist typisch, denn Fundamentalismus ist immer einer Reaktion auf Modernisierung. Und da diese Modernisierung vor allem etwas ist, das von außen kommt, nämlich vom Westen, geht das fundamentalistische Weltbild einher mit einer großen Feindseligkeit gegenüber dem Westen.
Der Nationalsozialismus war ja auch eine Reaktion auf die Moderne.
Genau. Der Nationalsozialismus war in dem Sinne ja auch eine fundamentalistische Bewegung, nur eben völkisch-nationaler und nicht religiöser Art. Ebenfalls mit einem reaktionären Geschlechterbild. Das findet man übrigens auch bei der AfD. Auch der Erfolg der AfD ist eine Reaktion auf einen Modernisierungsprozess: die Globalisierung. Die Flüchtlinge sind nur ein kleiner Teil davon, aber eben der, der am greifbarsten und am ehesten beeinflussbar scheint. Aber was ist mit den weltweiten Kapitalströmen und dem, was an der Börse und mit den Banken passiert und was niemand versteht? Die Wählerschaft der AfD gehört eher nicht zu den Gewinnern der Globalisierung. Das sind nicht zwingend nur Arbeitslose. Das ist auch die ältere Generation, die nicht so gut Englisch spricht. Leute in den ländlichen Regionen und ohne Hochschulabschluss, die nicht mal eben durch die Welt fliegen oder für einen Job ins Ausland gehen. Und wenn dann die Flüchtlinge kommen und mit jemandem, dessen Job gerade nach China verlegt wurde, um die gleichen Arbeitsplätze und Wohnungen konkurrieren, dann konzentriert sich das Schlachtfeld auf die Flüchtlingsfrage. Die ganze Diskussion ist emotional und moralisch extrem aufgeladen. Es ist ein Konflikt zwischen Gut und Böse. Das macht die Debatte manchmal extrem frustrierend für einen Wissenschaftler, der versucht, einen sachlichen Beitrag zu leisten.
Sie gehören für manche eindeutig zu den „Bösen“. Zum Beispiel für einige Ihrer Studenten, die Ihnen vorwerfen, mit Ihren Studien „den Nährboden für antimuslimischen Rassismus“ zu liefern.
Mit den Studenten in meinen Seminaren, in denen meine Studien Thema waren, gab es überhaupt keine Probleme. Erst als ich mit den Studien in den Medien war, haben andere Studenten ein Pamphlet auf Facebook veröffentlicht. Aber es ging offenbar nicht darum, eine sachliche Diskussion zu führen, was ja an einer Uni üblich wäre: Wenn du nicht einverstanden bist mit dem, was ein Prof publiziert, dann sprichst du ihn an oder lädst ihn zu einer Diskussion ein. Dafür sind Universitäten doch da. Stattdessen haben sie ihre Kritik der Welt kundgetan und Interviews gegeben, ohne auch nur ein einziges Wort mit mir gesprochen zu haben. Am 9. November wird die Diskussionsveranstaltung, die wir gleich am Anfang hätten führen können, nun stattfinden.
Ihre Studienergebnisse wurden in der Tat ausgerechnet in Deutschland lange ignoriert.
Eher linksgerichtete Medien wie die Süddeutsche, die Frankfurter Rundschau oder der Tagesspiegel haben bis heute nicht über meine Forschung berichtet. Erst als die Kritik von ein paar Studenten aufkam, haben sie das Thema plötzlich aufgegriffen. Es gibt also links durchaus eine gewisse Tabuisierung. Die Debatte um das Burkaverbot ist ein Beispiel dafür. Statt einem Austausch von Argumenten für und dagegen, wird da sofort gesagt: „Das ist verfassungsfeindlich!“ Das vergiftet aber die Debatte, weil man den Befürwortern eines Verbots unterstellt, sie seien keine Demokraten. Dabei haben unsere Nachbarstaaten Frankreich und Belgien ein solches Verbot und sind immer noch funktionierende Demokratien. Was nicht heißt, dass ich für ein allgemeines Burkaverbot bin, aber ich finde schon, wir sollten darüber diskutieren können, ohne den anderen gleich zu unterstellen, er sei ein Rassist oder Verfassungsfeind.
Interessiert sich die Politik inzwischen für Ihre Erkenntnisse?
Seit der Flüchtlingskrise habe ich verstärkt Einladungen von Ministerien oder Parteien bekommen. Die Grünen haben mich allerdings noch nie eingeladen. Doch, früher einmal. Aber was ich gesagt habe, hat ihnen, glaube ich, nicht gefallen.
Sie sind ja selbst früher Mitglied bei den niederländischen Grünen gewesen.
Ja, und ich verstehe mich weiterhin als Linksliberaler. Ich verstehe nur manchmal die Linksliberalen nicht mehr. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der eine kritische Haltung gegen religiöse Orthodoxie zum Inbegriff von „links“ gehörte. Und die Verteidigung der Rechte von Frauen und Homosexuellen oder die Opposition gegen antisemitische Tendenzen scheint mir ebenfalls Teil eines linken Weltbilds zu sein. Aber ein Großteil der Linken verteidigt heute religiöse Konservative, die sie ein paar Jahrzehnte vorher, als es christliche Konservative waren, noch angegriffen hatten. Das ist für mich einfach unverständlich.
Sie sind selbst mit einer Türkin verheiratet.
Meine Frau bestätigt mich in meiner Haltung. Sie kommt aus einer religiös liberalen alevitischen Familie und die ist über die fundamentalistischen Tendenzen in der Türkei sehr besorgt.
Das Gespräch führte Chantal Louis.