Kopftuch-Lehrerin siegt

Links die klagende Lehrerin. Ihr Gesicht darf nicht gezeigt werden - Schutz der Privatsphäre. Foto: Olaf Wagner/Imago
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Die Informatikerin bewirbt sich in Berlin als Quereinsteigerin auf eine Lehrer-Stelle. Im Bewerbungsgespräch weigert sich die Frau, im Schuldienst ihr Kopftuch abzulegen. Die Behörden lehnen die Bewerberin ab. Denn das Berliner „Neutralitätsgesetz“, verabschiedet 2005 von Wowereits Rot-roter-Koalition, besagt klipp und klar: LehrerInnen dürfen, genau wie Justiz- und PolizeibeamtInnen, „keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole“ und „keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen“.

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Denn: „Das Land Berlin ist zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtet. Deshalb müssen sich Beschäftigte des Landes Berlin in den Bereichen, in denen die Bürgerin oder der Bürger in besonderer Weise dem staatlichen Einfluss unterworfen ist, in ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis zurückhalten.“

LehrerInnen dürfen keine sichtbaren religiösen Symbole tragen

Eigentlich also ein ganz klarer Fall. Aber: Die abgelehnte Bewerberin klagt – und hat jetzt in zweiter Instanz gewonnen. Noch im Mai hatte das Berliner Arbeitsgericht die Klage unter Berufung auf das Neutralitätsgesetz abgelehnt. Doch jetzt sprach das Landesarbeitsgericht der Frau eine Entschädigung von zwei Monatsgehältern zu: 5.159 Euro. Wie kann das sein?

Seit in Berlin Rot-Rot-Grün regiert, also seit Herbst 2016, steht das Neutralitätsgesetz unter Beschuss. Im Dezember 2017 forderte die Landesdelegiertenkonferenz der Grünen in einem Leitantrag die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes. Argument der Grünen: Das Gesetz sei „eine der Hürden für eine gelungene Integration“.

Auch wenn der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) zu dem Gesetz steht, kann auch so mancheR sozialdemokratische Abgeordnete der grünen Attacke durchaus etwas abgewinnen. Und auch die Linke will „das Neutralitätsgesetz auf den Prüfstand stellen“.

Die Grünen wollen das Gesetz als "Integrations-Hürde" abschaffen

Schützenhilfe haben die GegnerInnen des Neutralitätsgesetzes 2015 vom Bundesverfassungsgericht bekommen. Die Karlsruher RichterInnen hatten erklärt, dass Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs nicht grundsätzlich verboten werden könne, sondern nur dann, wenn „der Schulfrieden gefährdet“ sei. Auf dieses Urteil berief sich der Richter des Landesarbeitsgerichts. Eine „konkrete Gefahr für den Schulfrieden“ sei in diesem konkreten Fall nicht erkennbar gewesen. Nun geht der Fall vor das Bundesarbeitsgericht.

Das Ziel ist klar: Sollte die höchstrichterliche Rechtsprechung zum gleichen Ergebnis kommen, steht das Neutralitätsgesetz auf der Kippe. Die Klägerin prozessiert keineswegs allein, sondern wird unterstützt vom Berliner „Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit“. Bereits im Februar 2017 hatte eine Berliner Grundschullehrerin mit Kopftuch geklagt – und ebenfalls eine Entschädigung zugesprochen bekommen. Kommentar des grünen Justizsenators Dirk Behrendt: „Das ist ein guter Tag für die Antidiskriminierung - und wohl der Anfang vom Ende des Berliner Neutralitätsgesetzes.“

Für den Erhalt des Gesetzes kämpft die „Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz“. In ihrem Appell, den auch viele MuslimInnen unterzeichnet haben, erklärt sie: „In zunehmendem Maße werden muslimische Schüler*innen von Mitschüler*innen unter Druck gesetzt, das Kopftuch zu tragen oder andere religiös motivierte Verhaltensvorgaben (etwa Einhaltung der Fastenvorschriften) zu befolgen. Ein solcher Druck würde sich durch eine religiöse Bekleidung der Lehrkräfte erhöhen.“

Auch orthodoxe Islam-Verbände bekämpfen das Neutralitäts-Gesetz

Über die problematische Rolle der orthodoxen bis islamistischen Islamverbände schreibt die Initiative: „Wir dürfen außerdem nicht verschweigen, dass es ein Interesse von konservativen religiösen und islamistischen Kräften gibt, das Berliner Neutralitätsgesetz abzuschaffen.“ Es sind genau diese Verbände, die gerade bei der vierten Islamkonferenz in Berlin ihre reaktionäre Agenda mal wieder an höchster Stelle propagieren dürfen.

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Der Kampf um das Neutralitätsgesetz

© Zurijeta/thinkstock
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Als das Berliner Landgericht im Februar 2017 einer Grundschullehrerin, die wegen ihres Kopftuchs abgelehnt worden war, eine Entschädigung zusprach, erklärte der grüne Justizsenator Dirk Behrendt: „Das ist ein guter Tag für die Antidiskriminierung - und wohl der Anfang vom Ende des Berliner Neutralitätsgesetzes.“

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Ist das Gesetz wirklich eine Hürde für die Integration?

Das Neutralitätsgesetz besagt, dass Justiz- und PolizeibeamtInnen sowie LehrerInnen „keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole“ und „keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen“ dürfen. Denn: „Das Land Berlin ist zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtet. Deshalb müssen sich Beschäftigte des Landes Berlin in den Bereichen, in denen die Bürgerin oder der Bürger in besonderer Weise dem staatlichen Einfluss unterworfen ist, in ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis zurückhalten.“ Beschlossen wurde das Gesetz 2005 von der Koalition aus SPD und Die Linke unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD).

Doch seit der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) heißt und in der Hauptstadt Rot-Rot-Grün regiert, steht das Neutralitätsgesetz unter Beschuss. Anfang Dezember beschloss die Landesdelegiertenkonferenz der Grünen in einem Leitantrag, die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes zu fordern. Denn: Das Gesetz sei „eine der Hürden für eine gelungene Integration“. Auch wenn Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sich klar für das Neutralitätsgesetz ausspricht, kann so mancheR sozialdemokratische Abgeordnete der grünen Attacke durchaus etwas abgewinnen. Und auch Die Linke will jetzt, im Windschatten der Grünen, „das Neutralitätsgesetz auf den Prüfstand stellen“.

Dagegen geht nun die „Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz“ auf die Barrikaden. Die Initiative, die sich im Oktober gegründet hatte, ging soeben mit einem Appell für den Erhalt des Neutralitätsgesetzes an die Öffentlichkeit. „Das Berliner Neutralitätsgesetz leistet einen wichtigen Beitrag zur friedlichen Gestaltung von Vielfalt: Es garantiert staatliche Neutralität da, wo Menschen der Staatsgewalt nicht ausweichen können“, heißt es in dem Appell, der darauf hinweist, dass in Berlin 60 Prozent konfessionslose Menschen leben.

Oder ein Beitrag zur friedlichen Gestaltung von Vielfalt?

Der Appell benennt aber auch, wovor die GegnerInnen des Gesetzes offenbar die Augen verschließen: „In zunehmendem Maße werden muslimische Schüler*innen von Mitschüler*innen unter Druck gesetzt, das Kopftuch zu tragen oder andere religiös motivierte Verhaltensvorgaben (etwa Einhaltung der Fastenvorschriften) zu befolgen. Ein solcher Druck würde sich durch eine religiöse Bekleidung der Lehrkräfte erhöhen.“ Auch die problematische Rolle der konservativen bis reaktionären Islamverbände beleuchtet der Appell: „Wir dürfen außerdem nicht verschweigen, dass es ein Interesse von konservativen religiösen und islamistischen Kräften gibt, das Berliner Neutralitätsgesetz abzuschaffen.“

Dem grünen Argument, das Neutralitätsgesetz bedeute ein „Berufsverbot“ für muslimische Lehrerinnen hält der Appell entgegen: „Es geht bei der Umsetzung staatlicher Neutralität nicht um eine Missachtung der Religionsfreiheit, sondern um Grenzen der Religionsfreiheit, die den Betroffenen lediglich eine räumlich und zeitlich eng gefasste Zurückhaltung während der Ausübung einer Tätigkeit im Öffentlichen Dienst abverlangt.“

Unter den 60 ErstunterzeichnerInnen sind viele fortschrittliche MuslimInnen oder Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis wie die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün und die Gründerin der liberalen Ibn Rushd-Goethe-Moschee, Seyran Ates; die Filmemacherin Güner Balci und der Psychologe Ahmad Mansour, der mit radikalisierten Jugendlichen arbeitet; der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban und die Publizistin und Terre des Femmes-Vorstandsfrau Necla Kelek.

Unterzeichnet haben aber auch PolitikerInnen von SPD und Grünen wie die Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, Franziska Giffey (SPD), oder Walter Otte, der Sprecher der „Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne“. Letztere ist mit der Haltung ihrer Berliner KollegInnen überhaupt nicht einverstanden: „Es wäre ein völlig falsches und unverständliches Signal, würden wir Grüne die staatliche Neutralität im Öffentlichen Dienst aufgeben“, sagt Otte. Die „Berufsverbots“-Behauptung hält der säkulare Grüne für Unfug: „Die große Mehrheit der Musliminnen in Berlin trägt kein Kopftuch.“

Und wo liegen die Grenzen der Religionsfreiheit?

Auch EMMA-Herausgeberin Alice Schwarzer und die Terre des Femmes-Geschäftsführerin Christa Stolle, die seit Jahrzehnten gegen eine falsche Toleranz gegenüber reaktionären Kräften unter dem Deckmantel der Religion kämpfen, gehören zu den ErstunterzeichnerInnen des Appells. Den hat die „Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz“ in den letzten Tagen an den Regierenden Bürgermeister, die zuständigen SenatorInnen und die Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus verschickt. Sie werden demnächst darüber zu entscheiden haben, ob die Hauptstadt dem Einfluss von Reaktionären und Islamisten nachgibt – oder ihm Widerstand entgegensetzt.

Wer unterschreiben möchte, sendet eine E-Mail mit Name, Wohnort und Funktion an PRO-neutralitaet-berlin@gmx.de

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