Machtwechsel bei VW
Im November 2005 veröffentlichte EMMA das nachfolgende Gespräch mit Ilona-Luise Reutter, der Ehefrau des Managers Helmuth Schuster, mit dem der VW-Skandal anfing.
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen Peter Hartz, den zurückgetretenen Arbeitsdirektor von VW. Hartz und sein engster Vertrauter Schuster sind die Väter der Hartz-IV-Reform, mit der auch den Ärmsten in Deutschland noch das Sparen beigebracht werden soll. Währenddessen verprassten die Herren trotz siebenstelliger Jahresgehälter jährlich Hunderttausende aus der Betriebskasse für Lustreisen und Prostituierte.
Angefangen hat es 1996, auf einer Brasilienreise. Von da an brachen die Dämme. VW-Manager Gebauer, Kontaktmann zwischen Konzernleitung und Betriebsrat, organisierte alles: Reisen um die ganze Welt, Fünf-Sterne-Hotels, Absteigen, Mädchen, Mädchen, Mädchen und bis hin zum auf dem Flughafen gekauften Schmuck für die zu Hause sitzenden Ehefrauen.
Zu dem feinen Kreis gehörte neben dem Skoda-Manager Schuster und Arbeitsdirektor Hartz auch Betriebsrat Klaus Volkert. Bis auf Schuster kommen alle aus Arbeiterfamilien und haben sich via VW hochgedient. Auch zwei SPD-Politiker waren dabei.
Wie die „Lustreisen“ genau abliefen, erzählte Manager Gebauer in der Stern-Ausgabe vom 29. September detailliert: „Wo bleiben die Weiber!“, pflegten die Herren zu grölen und auch schon mal im Rudel zu mehreren gleichzeitig in einem Raum zur Sache zu kommen. Bezahlt wurden auch „Handgelder“ aus der VW-Kasse in fünfstelliger Höhe an die Herren und ihre Damen.
Ging es bei all dem nur um die Käuflichkeit des bei VW sehr mächtigen Betriebsrates? Nein, sagt Gebauer im Stern, es ging um viel mehr: nämlich um die Gunst der Bestochenen bei „Unternehmensentscheidungen“, denen bei VW auch der Betriebsrats-Vorsitzende zustimmen muss.
Gerade ist wieder so eine Entscheidung gefallen: Der Porsche-Chef, Vorsitzender im Aufsichtsrat von VW, erwarb 18,7 Prozent der VW-Aktien und ist damit Mehrheitsaktionär vor dem Land Niedersachsen (18,15 Prozent). Gleichzeitig ist Piech Partner von VW - bei gemeinsamen Geschäften von Porsche und VW – und Chef des Aufsichtsrates, also des Kontrollinstrumentes, das Eigner und Geschäfte von VW kontrollieren soll. Der Nachfolger von Gerhard Schröder, Landes-Chef Wulff (CDU), fordert darum, genau wie Wirtschaftsexperten, den Rücktritt von Piech. Aber der denkt nicht daran.
Mangel von Kontrolle ist ein zentrales Merkmal bei Korruption. 100 bis 400 Milliarden Euro Schaden werden Jahr für Jahr durch Korruption allein in Deutschland angerichtet. Das System hat mafiöse Strukturen, ist eine Art Staat im Staat. Den Schaden trägt die ganze Gesellschaft: durch höhere Gebühren für Müll und Arzneien zum Beispiel oder teurere Autos. Doch es geht um viel mehr. Es geht um die Untergrabung der Demokratie, um Recht und Moral eines ganzen Volkes. Denn wer will Reformen wie Hartz-IV noch eine Sekunde ernstnehmen, wenn ein Herr Hartz selber so lebt? Ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf die Persönlichkeit der aktiv Korrumpierenden und der passiv Korrumpierten, die es sich zur Gewohnheit machen, Gesetze zu missachten. Und gar nicht zu reden von den Folgen für ihre Frauen und Kinder.
Die Ehefrau von Peter Hartz hat sich inzwischen schweigend hinter die Mauern der gemeinsamen Villa im Saarland zurückgezogen. Und während die Ex-Büroräume des VW-Arbeitsdirektors polizeilich durchsucht wurden, durfte Peter Hartz in der Zeit seinen „Traum“ erzählen. In diesem Zeit-Traum ist der feine Herr Hartz „ein guter König und Zauberer im Kampf gegen Egoismus, Besitzstandswahrung und die verdammte Gleichgültigkeit der Arbeitsplatzbesitzer“.
Wann haben Sie sich eigentlich getrennt?
Ilona-Luise Reutter Es wurde brenzlig als er in die Tschechei ging, weil das kein Land war, in dem ich leben wollte. In meinem Hinterkopf war immer der Gedanke, dass einer seiner Vorgänger – Herr Kalmar – dort ermordet worden war. Von wem, das weiß man bis heute
nicht. Seine Karriereleiter ging dann nach oben – und ich hab mich hier um die Kinder und um meine Boutique gekümmert. Getrennt leben wir seit zwei Jahren. Trotzdem sind wir freundschaftlich verbunden geblieben.
Hat Ihr Mann sich verändert in dieser Prager Zeit?
Er hat die Bodenhaftung verloren. Er hatte diese ganzen Frauenaffären, von denen ich mal mehr, mal weniger, wusste. Ich glaube, dass der Mensch einsam wird, wenn er zwar Macht und Geld hat, aber selbst nicht im Vordergrund steht.
Was haben Sie denn so gedacht, als das Ganze in den Medien hochkam?
Wenn man sieht, wie Herr Gebauer auf Anraten von Herrn Dr. Hartz oder sicher auch von anderen, Frauen aus allen Puffs der Welt einfliegen lassen musste, um den Betriebsrat und neue Tarifabstimmungen durchzubringen – das ist schon bedrückend. Sie lassen den Betriebsräten Dinge zukommen, in diesem Falle Frauen, die ihnen das Leben versüßen, und dann sind sie schon in der Falle. Mitgehangen, mitgefangen! Wer einmal dieses Terrain betritt, ist für immer auf Gedeih und Verderben dem anderen ausgeliefert; der andere weiß über ihn etwas, und er kann ihn ausliefern an wen auch immer. Das ist die VW-Methode. Ich wage auch zu bezweifeln, dass es geändert wurde. Ich möchte Herrn Osterloh nicht unterstellen, dass er sich auch kaufen lässt, wie ein Herr Volkert, aber man hat in der Öffentlichkeit nicht erfahren, ob es eine Joselina B. von Dr. Hartz oder eine Adriana B. noch gibt. Existieren die nicht noch immer auf VW-Kosten?
Sie meinen, diese Frauen bekommen weiterhin Geld von VW, damit sie jetzt still sind?
Ja.
Haben Sie dieses firmeninterne Rotlicht-System vorher schon gekannt?
Ich weiß davon seit 1995/1996. Seit ich mit meinem Mann zusammen bin.
Ihr Mann hat Ihnen davon erzählt?
Ja. Er hat sich in den Anfangsjahren, denke ich, nicht kaufen lassen. Er war aber mitverantwortlich durch seinen Job, zum Beispiel in der Tarifpolitik. Dadurch hat er dieses ganze System ja auch mit bekommen. Ich denke, man rutscht mit da hinein, man wird käuflich und irgendwann ist die Schwelle überschritten. Man wagt den Schritt und denkt, niemand würde etwas bemerken, so nach der Devise: Die anderen stecken ja auch mit drin – was soll also schon passieren?
Wie muss man sich Ihr Leben vorstellen: Eine Frau, die weiß, der eigene Mann arbeitet in einer Rotlicht-Firma?
Man hat die Hoffnung und die Illusion, dass der eigene Ehemann da nicht drinsteckt. Und Sie glauben ja auch diesem Menschen, Sie lieben ihn, und Sie haben ja auch Hoffnung. Ich glaube, die meisten anderen Ehemänner haben gar nichts erzählt und ein Doppelleben geführt. Aber bei meinem Mann und mir war der Umgang miteinander sehr offen, da wir eine Partnerschaft auf Distanz geführt haben. Es war uns klar, dass wir, sollten wir einen Fehltritt machen, dies dem anderen erklären und offen miteinander reden würden. Als ich dann mitbekommen habe, dass die Manager dort ihr Doppel- oder Bordellleben führen, konnte ich es dann irgendwann nicht mehr mit meinem Gewissen, mit meiner Art zu leben verantworten.
Waren Sie eifersüchtig?
Ja, auch das. Eifersüchtig aber eher nicht auf die Bordellhuren, denn das sind Eintagsfliegen. Eifersüchtig wurde ich, als ich merkte, dass er sich auch andere Lebensgefährtinnen gewählt hatte. Das tat natürlich schon weh.
Haben Sie Kontakt zu den anderen Managerfrauen?
Nicht mehr. Ich habe den Kontakt abgebrochen nach einer letzten Italienreise an den Gardasee. Die war nichts Anrüchiges, eine normale Betriebsreise mit den Familien, um sich kennen zu lernen. Aber ich hatte ja den Blick hinter die Kulissen, ich wusste vieles. Und ich konnte nicht mit den anderen Frauen zusammensitzen, die entweder ignorant waren, naiv oder wirklich nicht wussten, was da gespielt wird. Oder sie waren gekauft. Man konnte ja kein normales Gespräch führen dort. Herr Dr. Hartz hatte das alles im Visier. Hat man sich einmal intensiver mit jemand unterhalten, dann fiel ihm das gleich auf. Diese Gespräche wurden dann unterbrochen oder es wurde gewitzelt. Da fragt man sich, was man dort überhaupt soll, nur als Staffage für den Mann und das glückliche Familienleben vorgaukeln. Nur für die Karriere von meinem Mann verkaufe ich mich nicht. Es ist eine richtige Doppelmoral.
Es gibt Bild-Zeitungsinterviews der Geliebten von Peter Hartz mit Fotos …
Herr Hartz wird sicher das Geschick haben, seiner Ehefrau abermals glaubhaft zu machen, dass dem nicht so ist. Frau Hartz ist einfach die typische Ehefrau, die das tut, was ihr Mann ihr sagt. Sie hat die Karriere ihres Mannes mitgetragen, sie hat Vergünstigungen bekommen, und wenn sie besser damit lebt, dem Ganzen in der Presse keinen Glauben schenken zu wollen, dann hat sie es schön. Wenn sie dann allerdings anfängt zu zweifeln und nachzuforschen, wird es schwierig.
Es gab also keine einzige Manager-Ehefrau, mit der sie sich offen hätten austauschen können?
Es gab damals die Frau Gebauer, die hat sich vor einigen Jahren scheiden lassen. Ich denke, sie hat einen Blick hinter die Kulissen geworfen und konnte dann damit auch nicht mehr leben. Auch Frau Volkert ist mir sehr ans Herz gewachsen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nichts wusste.
Hat Ihr Mann mit Ihnen über seine Geschäfte gesprochen?
Ich wusste, dass er für Angola und Indien tätig war. Das Indiengeschäft habe ich sogar selbst angekurbelt, da mir dieses Land sehr liegt. Details von Volkswagen hat er mir natürlich nicht erzählt.
Von den zwei Millionen Vermittlungshonorar, die von einem indischen Provinzgouverneur gezahlt wurden, damit das Werk dort gebaut wird, haben Sie nichts mitbekommen?
Nein. Diese zwei Millionen, das waren sicher Vorinvestitionskosten und kein Schmiergeld. Denn welche Regierung kann es sich leisten, offiziell ein Schmiergeld auszubezahlen, damit sich VW, BMW oder sonst jemand dort ansiedelt? Das ist für mich irrwitzig.
Aber VW selbst hat doch das Ermittlungsverfahren gegen ihren Mann in Gang gesetzt. Wenn VW ihren Mann mundtot machen wollte, wäre es doch eigentlich der schlechteste Weg, ihn vor Gericht zu zerren.
VW möchte damit ein Exempel statuieren: Wie mit jemandem verfahren wird, der nicht mehr so agiert, wie VW es gerne hätte. Aber er hat immer auf Anweisung gehandelt. Er konnte doch gar nicht eigenmächtig nach Indien gehen und dort eine Firma errichten lassen. VW ist quasi ein Staatsbetrieb. Staatsgelder in immensen Summen fließen dort hinein, und ehemalige Stasimitarbeiter spielen in diesem Betrieb noch immer eine Rolle. Da sind Mächte im Spiel, hervorgegangen aus jahrzehntelangen Verbindungen, die für einen normalen Menschen schwer nachzuvollziehen sind. VW hat seine eigene Geschichte. Das ganze Machtgehabe, dieser Kindergarten von Managern, der bei VW sitzt, ist für mich eigentlich jämmerlich und entsetzlich.
Wie kriegen Sie das hin mit ihren zwei gemeinsamen kleinen Söhnen? Können Sie es von ihnen fernhalten?
Nein, das möchte ich auch nicht. Ich bin mit meinen Kindern immer offen und ehrlich umgegangen. Ich war meistens die alleinige Bezugsperson, weiß aber, dass der Vater für sie wichtig ist. Genauso wie die Kinder ihm jetzt auch wichtig sind. Ich habe die Kinder, als die Affäre in die Medien kam, darüber aufgeklärt, dass gegen ihren Vater ermittelt wird. Das Ganze natürlich in kindgerechter Form, denn unser jüngster Sohn ist erst sechs, der kann mit Schmiergeld natürlich noch nichts anfangen. Aber ich habe mit ihnen offen gesprochen und gesagt: Es kann sein, dass der Vater vielleicht ins Gefängnis kommt.
Liegt eine Fahndung oder ein Haftbefehl gegen Ihren Mann vor? Ist er untergetaucht?
Nein, er hat einfach nur Angst vor der Macht VW, genau wie Herr Gebauer. Wie einfach wäre das gewesen, wäre er bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie haben Angst, dass etwas passieren könnte, weil sie Insiderwissen haben. Mein Mann hat die Wohnung in Prag aufgelöst und hat zurzeit eine Wohnung in Süddeutschland, hier in der Nähe, um auch mit den Kindern Kontakt halten zu können. Er legt Wert darauf, dass VW nicht genau weiß, wo er wohnt. Mein Mann ist hochintelligent, hat mehrere Titel, hat Bücher geschrieben, hat wirtschaftliche Kenntnisse; das alles versucht VW massiv zu zerstören. Man hat von VW-Seite aus Briefe an seine ehemaligen Geschäftspartner geschrieben und versucht, ihm seinen Neuanfang zu erschweren.
Sie behaupten, VW habe einen eigenen Geheimdienst, den VW-Werkschutz.
Meinem Mann wurde seit der VW-Affäre mehrmals das Auto aufgebrochen, es wurde in sein Haus in Prag eingebrochen. Fotos, die er hatte, wo Herr Hartz und gewisse Damen drauf waren, sind plötzlich nicht mehr vorhanden. Egal, was mein Mann getan hat, und wie kriminell er auch sein möge, es ist hoch anständig, dass er die Dinge noch nicht auf den Tisch gebracht hat, die wirklich gravierende Auswirkungen haben könnten, auch auf VW. Das Ganze ist ein unermesslicher Imageschaden, den auch niemand mehr abwenden kann bei VW.
Sie sagen, dass die Spinne im Netz all dieser Rotlicht-Aktivitäten Herr Gebauer war?
Ja. Herr Gebauer war über 15 Jahre Innenrevisor. Er kann gar nicht die Absicht gehabt haben, sich selbst zu bereichern oder Konten anzulegen, da er ja als Innenrevisor genau wusste, was später auf ihn zukommen würde. Er hat auf Anweisung gehandelt. Entweder von Peter Hartz oder anderen Vorständen.
Und der Betriebsratsvorsitzende?
Gerade bei VW ist der Betriebsrat sehr mächtig. Und natürlich versucht jede Firma, egal wie groß, den Betriebsratsvorsitzenden gut zu stimmen, um einen Konsens zu finden. Aber den Betriebsrat bei Laune halten oder ihn zu kaufen, dass sind zwei verschiedene Dinge.
Auf Herrn Volkert ist aber niemand aus der Belegschaft richtig sauer...
Er ist eben ein Mann aus dem Volk, ein Kumpeltyp, der sich das erlauben kann, auch wenn er jetzt zurückgetreten ist. Man muss auch sehen, dass er bei der Vier-Tage-Woche mit involviert war und somit Massenentlassungen verhindert hat. Und auch jetzt steht Volkswagen wieder vor Massenentlassungen. Und da kommen jetzt natürlich die Affären wie gewünscht.
Haben Sie eigentlich nie Angst?
Ich wurde massiv gewarnt, auch von Anwälten, aber ich habe keine Angst. VW wird es nicht wagen, eine Mutter von zwei Kindern anzugreifen. Dann käme es zu einer Massenverbrüderung unter Frauen, unter Gleichgesinnten.
Das Interview führte Jean-Pierre Stephan, EMMA November/Dezember 2005.