Alice Schwarzer schreibt

Alice Schwarzer: Krieg & Frieden

Alice Schwarzer auf der Kundgebung am 25. Februar in Berlin: Gegen das Sterben. Und für das Leben. - Foto: Bettina Flitner
Artikel teilen

Wenn ich in diesen Tagen in Köln oder Berlin durch die Straßen gehe oder ins Restaurant bzw. Kino, ist das für mich rundum bestärkend. Bestärkend in meinem Engagement für Frieden. „Ich habe auch das Manifest unterschrieben!“ – „Lass dich bloß nicht einschüchtern, Alice!“ – „Sie müssen unbedingt weitermachen, Frau Schwarzer!“ So tönt es von allen Seiten aus dem Mund von Frauen wie Männern.

Anzeige

Hinzu kommen innerhalb von nur zwei Monaten fast 800.000 UnterzeichnerInnen des „Manifest für Frieden“ (Stand Mitte April), das ich gemeinsam mit Sahra Wagenknecht initiiert habe. Dazu rund 60.000 bestärkende Kommentare und fast tausend Mails und Briefe an EMMA, die sich für das Manifest und die Kundgebung bedanken.

Aber es kommen auch hunderte kritische Mails. Ihre AbsenderInnen sind entweder traurig, dass „ihre“ EMMA in der umstrittenen Frage so Partei ergreift. Oder aber sie lesen den „Sehr geehrten Damen und Herren“ von EMMA die Leviten. Oder sie beschimpfen uns, ja wünschen uns zur Hölle. Das geht von „Scheißfotzen“ bis zu Todesdrohungen.

Ich kämpfe gegen sexuelle Gewalt - im Ehekrieg wie im Krieg zwischen den Völkern

Auf die Spitze allerdings trieben es die ewig gleichen Talkshowgäste, die mir allen Ernstes unterstellen wollen, die vergewaltigten Frauen in der Ukraine seien mir egal. Sind denn die völlig verrückt geworden? Oder glauben sie allen Ernstes, sie könnten sich so dreiste Lügen erlauben? Schließlich engagiere gerade ich mich seit einem halben Jahrhundert mit all meinen Kräften gegen sexuelle Gewalt, ob in Ehekriegen oder Völkerkriegen. Und kein Medium im deutschen Sprachraum hat in den vergangenen Jahrzehnten so viel über die Rolle der sexuellen Gewalt beim Machtverhältnis der Geschlechter berichtet und sich so dagegen engagiert wie EMMA. Nicht zufällig war EMMA im Frühjahr 2022 die Erste, die auf die Gefahr aufmerksam gemacht hat, dass die flüchtenden Ukrainerinnen von Frauenhändlern und Zuhältern an der Grenze abgefangen werden – und zu Schutz und Hilfe aufgerufen hat.

Diese letztere Sorte von Kritikern bzw. Verleumdern lässt sich also getrost vergessen. Doch was ist mit denen, die seit Jahrzehnten EMMA lesen, aber jetzt unser Engagement gegen eine weitere Militarisierung „nicht mitmachen“ wollen? (Das müssten sie übrigens auch gar nicht. EMMA war immer, bei aller Entschiedenheit der Haltung, ein Forum für offene Debatten. Dennoch.) Auffallend ist, wie viele sich an meinem Schulterschluss mit Sahra Wagenknecht stören. Ich will also erzählen, wie es dazu kam.

Zurück aus einer Woche im Weihnachtsschnee fand ich beim Blick in die deutschen Medien: So kann es nicht weitergehen! Obwohl das Unbehagen der Menschen wuchs, waren 95 Prozent der Medien stramm auf Kriegskurs, allen voran die öffentlichrechtlichen Funk- und Fernsehanstalten (Womit sie übrigens gegen ihre Verpflichtungen zur Objektivität verstoßen). Dabei war die deutsche Bevölkerung in der Frage schon längst gespalten. Ich überlegte also, wie man diese verschwiegene Hälfte sichtbar machen und so auch den – damals noch – einsam zögernden Kanzler unterstützen könnte.

Beim Blick in die deutschen Medien fand ich: So kann es nicht weitergehen!

Im ersten Kriegsjahr war mir aufgefallen, dass eine der ganz raren, klaren und mutigen Stimmen gegen den Krieg Sahra Wagenknecht ist. Sie hatte mir nach dem „Offenen Brief“ der 28 an den Kanzler im April 2022 zustimmend geschrieben, seither hielten wir locker Kontakt. Am 14. Januar 2023 schrieb ich ihr: Ob sie dabei wäre bei einem Manifest für Frieden und einer Kundgebung. Am 15. Januar antwortete sie: Ja!

Die Abstimmung des Manifest-Textes lief bemerkenswert unkompliziert zwischen uns. Ich war erleichtert, jemanden an der Seite zu haben, der ganz uneitel und total sachorientiert ist. Wir sammelten nun beide ErstunterzeichnerInnen – und informierten am Tag vor Veröffentlichung alle über die Zweite im Boot. Nur eine von 70 zog daraufhin bei mir zurück.

Der 9. Februar war auch der Tag, an dem Sahra und ich uns zum ersten Mal begegneten. Sie kam in die EMMA-Redaktion. Am Morgen des 10. Februar veröffentlichten wir das Manifest. Die Überraschung über unseren Schulterschluss war groß – und genauso war es auch geplant. Der Zusammenschluss brachte Aufmerksamkeit und Synergien, denn unsere Anhängerschaft ist nicht identisch. Wie es weiterging, zeigen und erzählen wir in diesem Heft.

Diese Aktion war und ist hoffentlich auch ermutigend für andere. Denn das Manifest und die Kundgebung haben wir in extrem kurzer Zeit mit zwar für uns zwei viel, aber gesamt relativ wenig Aufwand und Mitteln lanciert (Dank an alle SpenderInnen für den Beitrag zur Kundgebung!).

Eigentlich ist inzwischen alles gesagt. Dennoch veröffentlicht EMMA in dieser Ausgabe noch einmal die wichtigsten aktuellen Informationen und Argumente: Warum dieser Krieg – der Tag für Tag Hunderte von Opfern in der Ukraine fordert, ganz Europa erschüttert und uns einem Atomkrieg erschreckend nahe bringt – so schnell wie möglich beendet werden muss! Was nur geht, indem die kriegsführenden Parteien miteinander verhandeln, jenseits aller Moral und ausschließlich mit dem Ziel, das Grauen zu beenden. Denn hinzu kommt die wachsende Gefahr eines Atomkrieges – und sei es, dass irgendeiner den roten Knopf „aus Versehen“ drückt.

Mehr zum Thema in EMMA lesen. Die Mai/Juni-Ausgabe als Printheft oder eMagazin im EMMA-Shop!
Mehr zum Thema in EMMA lesen. Die Mai/Juni-Ausgabe als Printheft oder eMagazin im EMMA-Shop!

Entschieden aber wird das nicht in Kiew – ob uns das gefällt oder nicht –, sondern in Washington und Moskau. So sind die Machtverhältnisse. Der Ukraine-Krieg ist de facto ein Stellvertreter-Krieg zwischen Amerika und Russland (auch wenn Gestalten wie Anton Hofreiter das für eine „Verschwörungstheorie“ halten). Und Deutschland spielt dabei als einst privilegierter Partner von Russland und stärkste europäische Macht eine wichtige, aber inzwischen auch tragische Rolle.

Doch es gibt Hoffnung. Erste Anzeichen dafür, dass das Ganze Amerika über den Kopf wächst. Schon seit Herbst 2022 warnt das Pentagon, also das US-Verteidigungsministerium, vor einer „militärischen Pattsituation“ und rät dringlich zu Verhandlungen. Und selbst das Weiße Haus, der Präsident, kriegt allmählich kalte Füße. Denn das amerikanische Volk ist an diesem fernen Krieg wenig interessiert – wie wird es also im November 2024 bei den US-Wahlen reagieren? Auch im Hinblick darauf, dass die Republikaner gegen diesen Krieg sind.

Doch auch nach Friedensschluss wird der Krieg noch lange nicht vorbei sein. Zumindest nicht für die Frauen und Kinder. Für die geht es dann erst richtig los. Die „geschändeten Frauen“ leiden an den Folgen der Kriegsvergewaltigungen durch die Russen, aber werden dafür in einer tief patriarchalen Gesellschaft wie der Ukraine in der Regel auch von den eigenen Leuten verachtet. Und sie haben es nun mit Männern zu tun, die nach diesem Krieg brutalisiert und traumatisiert sind und bis an die Zähne bewaffnet.

Worauf wartet also eigentlich die deutsche Regierung, statt inzwischen indirekt sogar Kampfjets zu liefern, endlich ihre Stimme in die Waagschale für einen baldigen Frieden zu werfen? Zu unser aller Wohl.

ALICE SCHWARZER

>>Alles über die Kundgebung

>>Hier das Manifest für Frieden unterzeichnen

 

Artikel teilen
 
Zur Startseite