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Lena Schätte: Sie hat es überlebt

Lena Schätte schreibt bereits seit der 3. Klasse, mit 18 schrieb sie ihren ersten Roman. - Foto: Boris Breuer
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Beim Zoom-Gespräch mit Lena Schätte kommt man nicht umhin, ihr immer wieder ins Dekolleté zu starren. Das liegt daran, dass sich aus ihrer Bluse ein großes, grünliches Tattoo schlängelt, von dem man gern wüsste, was es darstellt. „Das ist ein Astronaut“, erklärt sie. Vor zehn Jahren hat sie ihn sich stechen lassen. „Ich fand das damals eine gute Metapher für Einsamkeit.“ 

Wie ein Astronaut ohne Verbindung zum Rest der Welt, so ähnlich hat sich Lena Schätte als Kind oft gefühlt. „Bei Kindergeburtstagen habe ich immer gescannt: Wie wohnen die, wie sind die angezogen, was liegt da für ein Käse auf dem Tisch? Und ich hatte oft das Gefühl: Ich gehöre hier nicht hin.“ Denn in Lenas Familie gab es sehr wenig Geld und sehr viel Alkohol. In einem autofiktionalen Roman hat die 32-jährige Psychiatrie-Krankenschwester nun berührend erzählt, wie es ist, mit einem Vater aufzuwachsen, der trinkt. Titel: „Das Schwarz an den Händen ­meines Vaters“. 

Wenn der Vater aus der Fabrik nach Hause kommt, riecht er nach Schweiß und Maschinenöl. Am Essenstisch legt die Mutter den Zeigefinger auf die Lippen, so dass die verstummte Tochter stets auf die Hände des Vaters starrt. Die werden von Montag bis Freitag immer schwärzer, die Nagelbürste schafft die Schmiere nicht mehr aus den rissigen Poren. Doch eines Tages bleiben die Hände des Vaters sauber. Er trinkt jetzt so viel, dass sie in der Fabrik Angst um seine Hände haben. Die Familie verliert ihr Haus, und zu essen gibt es jetzt immer öfter Nudeln mit Zucker und Dosenpflaumen.

„Meine Mutter bringt uns Töchtern Dinge bei. Andere Dinge, als mit geradem Rücken am Esstisch zu sitzen, andere Dinge als ihrem Sohn. Sie bringt uns bei, dass Schnaps Ärger bedeutet. Und sie bringt uns bei, dass eine Frau immer Fluchtgeld haben muss.“ Mit diesen Worten beginnt das Buch, das Schätte bewusst nicht als Autobiografie angelegt hat. Erstens, um ein paar Menschen aus Familie und Freundeskreis zu schützen, und zweitens, weil „es sonst unglaubwürdig geworden wäre. Die Leser hätten es für erfunden halten können, wie viel Scheiße in einer einzigen Familie passieren kann.“ Zum Beispiel, dass der Großvater, der sich jede Nacht in seine Stammkneipe schleicht, um dort zu saufen und mit Kellnerin Kitty im Getränke­lager zu vögeln, eines Nachts auf dem Rückweg im Straßengraben erfriert. Die Großmutter trägt es mit Fassung. 

Aufgewachsen ist Lena Schätte in Altena, einer sauerländischen Kleinstadt mit 16.000 EinwohnerInnen, in der sie heute wieder lebt. „Ich bin in einem Kreis von liebe­vollen, starrköpfigen, harten Malocherfrauen groß geworden“, sagt sie. „Und ich habe tatsächlich bis zu einem gewissen Alter geglaubt, dass Frauen nicht trinken. Ich hatte immer nur trinkende Männer um mich herum und Frauen, die dahinter aufräumen und co-ab­hän­gig sind.“ 

Geschrieben hat Lena Schätte schon in der dritten Klasse, damals in ein rosa Diddl-Tagebuch mit Vorhängeschloss. „Das war total therapeutisch für mich.“ Nach „Teenie-Gedichten“ kamen Kurz­geschichten, mit 18 schrieb sie ihren ersten Roman „Ruhrpottliebe“, der 2014 erschien. Da „der Welt­erfolg ausblieb“, machte Lena eine Ausbildung als Krankenschwester und landete nicht zufällig in einer Entgiftungsklinik im Ruhrgebiet. Doch sie bewirbt sich jedes Jahr beim Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und wird beim fünften Versuch schließlich angenommen. Von 2020 bis 2023 studiert sie dort, trotz „Kulturschock“. Die Arbeitertochter fühlt sich inmitten von Kommi­litonInnen, von denen viele mit Thomas Mann aufgewachsen sind, wieder wie ein Astronaut, bis sie begreift: „Vielleicht ist das meine Stärke, dass ich ein bisschen Leben mitbringe, das außerhalb der Uni stattgefunden hat.“ 

Über dieses Leben hat Lena Schätte, die halbtags in der Psychiatrie arbeitet und sich halbtags dem Schreiben widmet, klug und anrührend geschrieben. Wo? In einem Baumarkt. Zu Hause, wo sie mit ihrem Mann lebt, einem Kindheitsfreund, lasse sie sich zu leicht ablenken. „Im Baumarktcafé ist es denen egal, ob ich da drei Stunden bei einem ­Kaffee für zwei Euro sitze.“ Passender könnte der Geburtsort dieses Buches nicht sein.  

Weiterlesen: Lena Schätte: Das Schwarz an den Händen meines Vaters (S. Fischer,  24 €)

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