Lesben: Nicht zu übersehen!

Artikel teilen

Ob die goldene Riesenklitoris wieder mitmarschieren wird? Genau genommen rollte sie mit, beziehungsweise wurde gerollt – vom Jungfernstieg bis zu Hamburgs berühmtem botanischen Garten „Planten un Bloomen“. Die Klitoris, eine goldene Pappmaché-Kugel, eingerahmt von einer etwa zwei Meter hohen rosa Pappmaché-Vagina, war 2016 der Blickfang des Hamburger Dyke March. Und das Kalkül ging auf. Passend zum Motto des Marsches: „Lesben sichtbar laut!“

Anzeige

Auch die Hamburgerinnen haben inzwischen begriffen, dass sie als Lesben ihr eigenes Ding machen müssen, wenn sie nicht mal wieder unter dem Label „Schwulenparade“ im medialen Rummel zwischen bunten Tunten und schwarzen Lederkerlen untergehen wollen. Und so nahmen sie sich ein Beispiel an ihren Schwestern aus Berlin und Köln und trommelten zum ersten Hamburger Dyke March.

https://www.youtube.com/watch?v=tjluGVQMG5U

Rund 1.000 frauenliebende Frauen folgten 2016 dem Ruf des „Lesbennetzwerks Hamburg“. Selbst Manuela Kay, die Berliner Mutter der deutschen Dyke Marches, war als Gast mit von der Partie. Sie erklärte den JournalistInnen, warum es den eigenen Lesbenmarsch braucht: „In der LGBT-Community gehen Frauen gern mal unter. Wir leben in einer männerdominierten, einer patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen generell weniger Einfluss haben und weniger sichtbar sind. Lesben nehmen sich aufgrund ihrer weiblichen Sozialisation nicht so viel Raum, wie ihn sich Schwule inzwischen erkämpft haben.“ Und so lautet in diesem Jahr das Motto des zweiten Hamburger Dyke March: „Calling All ­Dykes: Take Up Your Space!“ Lesben, nehmt euch euren Raum!

In Berlin hatten die „Dykes“ 2013 zum ersten Mal Raum eingenommen und waren am Vorabend der großen Christopher-Street-Day-Parade ohne die schwulen Jungs losmarschiert. In Köln startete der erste Dyke March 2015 (EMMA 4/15). Rund 1.500 Frauen ­kamen zur Premiere, 2016 waren es schon 3.000.

Barbara Narzinski und ihre vier Mitstreiterinnen vom Dyke March Cologne haben „von Jahr zu Jahr mehr das Gefühl, dass es nötig ist, einen Dyke March zu machen“. Denn es ist viel Homo- und Frauenfeindliches passiert in den letzten Jahren: der Erfolg der Rechtspopulisten, die Kölner Silvesternacht, das islamistische Attentat von Orlando, der Wahlsieg von Trump.

Der Kölner Dyke March setzt in diesem Jahr auf „Internationalität“. Köln lädt zum CSD je zwei homosexuelle Vertreterinnen aus vier Kölner Partnerstädten ein: dem russischen Wolgograd, dem polnischen Kattowitz, dem rumänischen Cluj und dem griechischen Tessaloniki. Eine oder sogar mehrere dieser Frauen werden auch auf dem Dyke March sprechen.

In der LGBT-
Community gehen Frauen gern mal unter!

Genau wie eine Vertreterin der „Europäischen Lesbenkonferenz“, die vom 6. bis 8. Oktober in Wien stattfinden wird. Denn auch auf europäischer Ebene ist vielen Lesben inzwischen aufgefallen, dass sie in der so genannten LGBTI-­Community (Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender, Intersexual) die am wenigsten sichtbaren sind.

Als im Herbst 2016 die jährliche Konferenz der „International Lesbian and Gay Association“ (ILGA), der weltgrößten homosexuellen Menschenrechtsorganisation, auf Zypern stattfand, gab es zum ersten Mal seit zig Jahren wieder einen eigenen Lesben-Workshop. „Mehr als 70 Aktivistinnen aus ganz Europa kamen zusammen und stellten fest, dass es – unabhängig von der politischen, rechtlichen und finanziellen Situation im jeweiligen Land – die gemeinsame und dringende Notwendigkeit gibt, uns auf die spezifisch lesbische Unterdrückung und Bedürfnisse zu konzentrieren, unsere Sichtbarkeit zu erhöhen und unsere Netzwerke auszubauen“, schreiben die Veranstalterinnen. Und sie erklären: „In den letzten fünf Jahrzehnten haben viele lesbische Aktivistinnen ihre Energie in Kämpfe gesteckt, die nur indirekt mit ihren Bedürfnissen zusammenhingen. Während alle Minderheiten, die zur LGBTI-Community gehören, es geschafft haben, sich ihre eigenen Strukturen und Vertretungen aufzubauen, war das leider bei den Lesben nicht der Fall.“

Das soll sich nun ändern.

Termine
www.europeanlesbianconference.org
Dyke March Cologne: 8. Juli, 18.15 Uhr, Roncalliplatz
Dyke March Berlin: 21. Juli, 18.30 Uhr, Platz der Luftbrücke
Dyke March Hamburg: 5.August, 19 Uhr, Jungfernstieg

Artikel teilen

Ein Triumph für die Liebe!

Foto: Imago
Artikel teilen

Ein Kulturkampf à la française ist Deutschland erspart geblieben. Am Freitag hat der Bundestag mehrheitlich das Recht auf die Ehe auch zwischen zwei Frauen bzw. zwei Männern beschlossen. Die Homoehe ist der Heteroehe jetzt auch in Deutschland uneingeschränkt gleichgestellt (inklusive Adoptionsrecht). Das ist ein gewaltiger Schritt, der nicht nur von juristischer, sondern auch von hoher symbolischer Bedeutung ist.

Anzeige

Der Anstoß zum Handeln kommt ausgerechnet von einer CDU-Kanzlerin

Von nun an wird die Liebe zwischen Frauen bzw. Männern auch von rechts- und staatswegen so ernst genommen wie die Liebe zwischen Frau und Mann. Was für eine Gesellschaft keineswegs selbstverständlich ist, für die bis heute die Heterosexualität als vorrangige Norm gilt. Umso mehr ist die Unermüdlichkeit und Entschlossenheit zu bewundern, mit der der Lesben - und Schwulenverband (LSVD) und so mancheR engagierteR PoltikerIn dafür gekämpft haben. 

Dafür haben die Frauenbewegung und die Homosexuellenbewegung den Boden bereitet. Sie haben in den vergangenen 50 Jahren das Primat der patriarchalen Heterosexualität entschieden infrage gestellt und bekämpft. Im Westen. Resultat ist nicht nur die gesellschaftlich weitgehende Akzeptanz, sondern nun sogar das Recht auf die Ehe.

Im Osten hat es diesen Kampf gegen die (Zwangs)Heterosexualität nicht gegeben. Diese Ideen konnten erst nach Fall des Eisernen Vorhangs auch nach Osteuropa einsickern, also vor einem Vierteljahrhundert. Zu hoffen, dass es nicht noch ein Vierteljahrhundert dauern wird, bis auch in diesen Ländern – in denen es bisher noch nicht einmal die homosexuelle Lebenspartnerschaft gibt – ein Bewusstseinswandel stattfindet und auch die Homoehe selbstverständlich wird. Mit aller Macht zu verhindern versuchen das in Osteuropa vor allem die katholischen und christlich-orthodoxen Kräfte.

Es ist nicht ohne Komik, dass ausgerechnet die CDU-Kanzlerin den Anstoß zu diesem plötzlichen Handeln gab. Mit ihrem Satz zur „Gewissensfrage“ (beim Pro und Contra zur Homoehe) brachte sie den Stein ins Rollen. Opposition und SPD sprangen schnell auf den anfahrenden Zug. Sie scheinen sich davon, dass sie das heiße Wahlkampfthema Monate vor der Wahl vom Tisch bringen, etwas zu versprechen. Es ist nicht sicher, dass der Kalkül aufgeht. Denn schon jetzt spielen die Konservativen die Unschuldigen, tun so, als hätten nicht sie die Homoehe über Jahre verhindert. Auf die genauen Abstimmungsergebnisse dürfen wir also gespannt sein.

Als ich 1984 in EMMA erstmals für das „revolutionäre“ Recht auf die Homoehe plädierte („In einer zwangsheterosexuellen Welt ist es eine Unerhörtheit, die homosexuelle Liebe so ernst zu nehmen die die heterosexuelle“), da schlug mir noch ein Schwall von Spott und Kritik entgegen. Allen voran von engagierten Schwulen und Lesben. Denn damals galt die Ehe noch als „reaktionär“.

Und das war sie auch in der Tat. Inzwischen jedoch ist das Eherecht auch für Heterosexuelle so weitgehend reformiert worden, dass es Ehefrauen nicht mehr entrechtet. Nur das Steuerrecht benachteiligt noch die Ehefrauen: Mit der hohen Steuerklasse 5, für "Zweitverdiener", wenn beide berufstätig sind. Und mit dem Ehegattensplitting, mit dem Vater Staat nicht nur mit Milliarden die Hausfrauenehe subventioniert, sondern das auch ein Argument ist für Ehemänner, ihre Frauen an der Berufstätigkeit zu hindern, vor allem in Kombination mit der Steuerklasse 5 ("Bleibt eh nix übrig"). Totzalledem kann es heutzutage selbst für die emanzipierte, heterosexuelle Frau Gründe geben zu heiraten, so ihr danach der Sinn steht. Gerade wenn Kinder da sind, könnte die Ehe sogar ein Schutz für Frauen sein.

Anno 1984 allerdings habe selbst ich nicht daran geglaubt, dass die von mir im Kontext einer EMMA-Titelgeschichte zur "Lesbenehe" geforderte Homoehe wirklich kommen würde. Damals ließen sich die ersten Frauen von rebellischen PfarrerInnen trauen. Doch: „Ich bin sicher", hatte ich damals geschrieben, „dass diese Gesellschaft homosexuelle Frauen und Männer nie das uneingeschränkte Eherecht zugestehen wird“. Manchmal ist "die Gesellschaft“ eben doch fortschrittlicher, als befürchtet.

Die Kluft zwischen den Kulturen ist größer geworden

50 Jahre Kampf für die Akzeptanz von Homosexualiät – davon die letzten 20 Jahre auch für die Homoehe – das ist lang für ein Menschenleben, aber kurz für die Menschheitsgeschichte. In einem wahrhaft rasanten Tempo rückt der christlich geprägte Westen damit von dem Primat der „heiligen Ehe“ ab. Die Werte werden neu sortiert. Was verständlicherweise nicht allen passt, jedoch nun mehrheitlich Konsens ist. Und darüber dürfen sich nicht nur die direkt Betroffenen von Herzen freuen.

Gleichzeitig steigert das die Gefahr eines Rückschlages. Schon heute gibt es weite Regionen in der Welt – allen voran die islamischen Länder – für die Homosexualität eine der schlimmsten Sünden ist, auf die totale gesellschaftliche Ächtung bis hin zum Tod droht. Die Kluft zwischen den Kulturen ist also mit der Entscheidung für die Homoehe nicht kleiner, sondern größer geworden. Und es gehört nicht viel dazu, zu weissagen, dass diese Entscheidung die Verachtung nicht nur der schariagläubigen Muslime, also der Islamisten, gegen den „dekadenten Westen“ steigern wird. Auch fundamentalistische Christen sowie Ultrakonservative und Rechte sind wütende GegnerInnen der Akzeptanz von Homosexualität, von der Homoehe ganz zu schweigen.

Das müssen wir aushalten. Darauf können wir stolz sein. Das müssen wir verteidigen.

Alice Schwarzer

Weiterlesen
 
Zur Startseite