LESBISCHE MÜTTER: Navratilova und die
Martina Navratilova will ein Kind, allein und ohne Mann. Mit-Mutter soll ihre neue Lebensgefährtin Danda Jaroljmek sein.
Die Athletin des Jahrhunderts will Mutter werden. Das war einige Schlagzeilen wert. "Lesbische Navratilova: Baby vom Horror-Arzt" (Bild), "Wenn der liebe Gott Humor hat, dann wird er jetzt eine Menge lachen" (Bunte). "Against God's plan" titelte der Daily Mirror.
Die Frau, die über Jahre bewiesen hat, daß sie besser ist als die meisten Männer, will also jetzt auch noch den Beweis antreten, daß sie eine "echte" Frau ist. Die Überraschung ist gelungen. Nach neun Wimbledon-Pokalen jetzt auch noch ein Kind für Martina Navratilova. Wie soll das noch weitergehen? Bild fragt tief beunruhigt: "Vererbt die Navratilova ihr Lesben-Gen?"
Martina Navratilova macht es den Klatschreportern nicht leicht. Die Frau, die das Damentennis umkrempelte, weil sie aggressiv am Netz spielte wie es bis dato nur die Herren durften, paßt nicht ins Bild. Für eine angehende Mutter ist sie zu muskulös, zu ehrgeizig -kurzum zu unweiblich. Die Frau, die einer der erfolgreichsten Sportler der Welt ist, schenkte ihren "Frauen" gentlemanlike Brillanten. Und mit ihrer ehemaligen Freundin Judy Nelson und deren beiden Söhnen lebte sie sieben Jahre lang mustergültig wie eine klassische amerikanische Kleinfamilie.
Jetzt will Martina Navratilova ein Kind, und sie möchte dieses Kind selbst austragen. Gemeinsam mit ihrer neuen Lebensgefährtin Danda Jaroljmek will sie es großziehen. Was in der deutschsprachigen Presse als Sensation und Kuriosum verkauft wird, ist in den USA weder besonders neu noch besonders ungewöhnlich. Im Gegenteil: Martina Navratilova liegt mit ihrem Kinderwunsch voll im Trend:
Den Weg zur lesbischen Elternschaft sind zwischen Los Angeles und New York schon mehrere tausend Frauenpaare gegangen. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist längst von einem homosexuellen Baby-Boom die Rede. Er hat auch schon einen Spitznamen: Gayby-Boom. Während in New York auf der großen Abschlußparade der Gay Garnes am 26. Juni die Fraktion der lesbischen Mütter in der "Kinderwagen-Brigade" ihren Nachwuchs vor sich herschiebt, hegen in Deutschland erste Lesbenherzen den zarten Gedanken.
Zum Beispiel in Oldenburg. Sobald sie eine Stelle als Lehrerin gefunden hat, möchte Corinna Müller ein Kind bekommen. Seit drei Jahren lebt die 32jährige in einem Einfamilienhaus mit ihrer Freundin Monika Villbrandt zusammen. Die wird die Co-Mutter des gemeinsamen Kindes sein. Und weil in der Bundesrepublik eine Adoption für lesbische Paare so gut wie unmöglich ist, haben sich auch die beiden deutschen Frauen für ein Kind durch künstliche Befruchtung entschieden. Dazu braucht frau allerdings keinen "Horror-Arzt", denn seine Befruchtung im Reagenzglas, im Fachjargon In-Vitro-Fertilisation (IVF), ist in Wirklichkeit nur eine Notlösung, die nur bei Störungen der Fruchtbarkeit angewandt wird. Die viel einfachere Lösung ist die sogenannte Insemination: Die Frau führt sich den Samen eines Mannes selbst in die Scheide ein. Und weil dieser Weg so künstlich gar nicht ist, setzt sich der Begriff "alternative Befruchtung" durch.
Corinna Müller und Monika Villbrandt sind seit einem halben Jahr auf der Suche nach einem Mann, der bereit wäre, ihnen seinen Samen "zur Verfügung zu stellen". Aber das Unternehmen Schwangerschaft gestaltet sich schwierig. Nicht, daß sich die Männer an der fehlenden Romantik der Aktion stören würden. Der Grund für die mangelnde Spendefreude ist vielmehr ein sehr handfester: In Deutschland begeben sich solche privaten Samenspender auf rechtliches Glatteis. Im Zweifelsfalle können sie von Mutter und Kind auf Unterhaltszahlungen verklagt werden - auch dann, wenn vorher etwas anderes abgemacht war. Selbst notarielle Vereinbarungen sind dann nicht rechtsgültig: Papa muß zahlen. Falls der Spender wider Erwarten doch väterliche Anwandlungen verspürt, kann er seine Vaterschaftsrechte einklagen. Weil jemand, der Kontakt zum Kind hat, vielleicht schnell auf eine solche Idee kommen könnte, wollen Corinna Müller und Monika Villbrandt auch niemanden aus dem Freundeskreis als potentiellen Erzeuger. "Da ist die Distanz nicht groß genug", fürchtet die Mutter in spe. "Andererseits müssen wir dem Mann aber auch vertrauen können."
Die Do-it-herself-Methode hat ihre Tücken. In den USA können lesbische Frauen derlei rechtlichen Querelen umgehen, indem sie den Samen nicht via Spender, sondern via Samenbank aussuchen. Die Amerikanerinnen können unter rund 400 Samenbanken des Landes auswählen. Vorbei die Zeiten, in denen die Pionierinnen noch ihre Haushalts-Fettspritze zweckentfremdeten, um sie statt zur Zubereitung ihres Truthahns zur Zeugung eines Kindes zu benutzen.
Der Trend bei der Insemination geht schon lange zur Professionalisierung. Im kalifornischen Oakland hat sich 1982 sogar eine feministische Samenbank gegründet, die speziell auf lesbische Klientel ausgerichtet ist. Die Voruntersuchungen kosten dort 500 Dollar, die Insemination selbst 100 Dollar. Wie das "National Center for Lesbian Rights" berichtet, haben Lesben in den meisten Bundesstaaten allerdings auch bei den anderen Samenbanken gute Chancen: Nur etwa drei Prozent der Frauen wurden wegen Homosexualität abgewiesen.
In den amerikanischen Samenbanken können sich die Männer entscheiden, ob sie ein Ja- oder ein Nein-Spender sein wollen. Ein Ja-Spender erklärt sich damit einverstanden, daß ihn das Kind später kennenlernen kann, ein Nein-Spender schließt das aus. Egal, welche Möglichkeit ein Mann wählt - er ist in den USA automatisch von allen (Vaterschafts)Rechten und (Unterhaltspflichten ausgeschlossen. Die "Custody Action for Lesbian Mo-thers" versorgt ihre Klientinnen mit Adressenlisten von Medizinerinnen, die zur Insemination auch bei Lesben bereit sind.
Die Bedingungen für die lesbische Mutterschaft sind in den USA mittlerweile also vergleichsweise paradiesisch. Kein Wunder, daß es einen Gayby-Boom gibt und mit dem "Gayby-Boom" die öffentliche Präsenz der Mutter/Mutter- oder der Vater/Vater-Familien wächst. Hunderte von Gruppen lesbischer und schwuler Eltern wurden in den USA in den letzten Jahren gegründet. Und weil es dem elterlichen wie kindlichen Selbsbewußtsein gut tut, andere gay-families kennenzulernen, trifft man sich in New York zum Beispiel im Central Park regelmäßig zum Gay-Picknick.
Neue Kinderbücher tragen Titel wie "Heather has two mommies". Häufig schließen sich ein lesbisches und ein schwules Paar zusammen, um per Insemination ein Kind zu bekommen und dann zum Vierer-Erziehungskollektiv zu fusionieren. Bei seiner offiziellen Amtseinführung im Weißen Haus stellte jüngst der Präsidentenberater George Stephanopoulos den Gästen nicht nur seinen Lebensgefährten vor, sondern dazu auch gleich die beiden Mütter ihres gemeinsamen Kindes. Seine Familie eben.
Neuerdings tragen auch einige amerikanische Richterinnen der veränderten Lage an der Familienfront Rechnung. Sie gestatteten der sozialen Mutter, das zusammen "geplante" und versorgte Kind zu adoptieren. So entschied ein Bostoner Gericht im vergangenen Jahr, daß Dr. Heien Cooksey die fünfjährige Tochter ihrer Lebensgefährtin Dr. Susan Love als ihr eigenes annehmen durfte. Das Kind war durch Insemination zur Welt gekommen. In Florida erkannten Gerichte auch vertragliche Vereinbarungen zwischen den Partnerinnen an und sprachen das Kind der sozialen Mutter zu, nachdem die leibliche ums Leben gekommen war. Das sei "eine Sache des gesunden Menschenverstandes", begründete ein Richter sein Urteil. Solche Entscheidungen sind aber nach wie vor Einzelfälle.
Auch Corinna Müller und Monika Villbrandt wollen mit der Familiengründung nicht mehr allzu lange warten. Die beiden haben die "Lösung Samenbank" in Betracht gezogen, obwohl Corinna ihrem Kind seine Herkunft "später nicht mit dem Satz erklären will: "Du stammst aus 'ner Dose."
In Deutschland werden Corinna und Monika allerdings sowieso keine Samenbank finden: Es gibt sie schlicht und einfach nicht. Das Bundesverfassungsgericht entschied 1989, ein deutsches Kind habe das unbedingte Recht auf Kenntnis seiner Abstammung. Will heißen: Es muß erfahren können, wer sein Vater ist - eine Bestimmung, die jede Samenbank kläglich an Spendermangel zugrunde gehen ließe. Denn wenn die Spender nicht anonym bleiben dürfen, können sie später vom Kind in die Unterhalts-Pflicht genommen werden. Auch die Ärztinnen, die bei der Befruchtung behilflich sein können, dürfen die Spender nicht in der Versenkung verschwinden lassen. Tun sie es doch, laufen sie theoretisch selbst Gefahr, für das Kind berappen zu müssen.
Abgesehen davon, gibt es für eine ärztlich unterstützte Insemination für lesbische Frauen noch zwei weitere Hindernisse. Erstens: die Krankenkassen. Die zahlen grundsätzlich nur bei verheirateten Paaren. Zweitens: die Ärztekammern. Unter deren Richtlinien fällt bisher zwar nur die Reagenzglas-Befruchtung, die ebenfalls nur verheirateten Paaren erlaubt ist. Es sei aber "durchaus angedacht, diese Richtlinie auch auf die einfache Insemination auszudehnen." Das ist im Nachbarland Österreich schon geschehen, und zwar nicht von Seiten der Ärzteschaft, sondern vom Gesetzgeber selbst: Laut Fortpflanzungsmedizin-Gesetz dürfen Ärztinnen gleichgeschlechtlichen Paaren nicht bei der Fortpflanzung behilflich sein. In der Schweiz arbeitet man gerade an einem solchen Gesetz.
Eine Lösung für Monika Villbrandt und Corinna Müller? Ganz einfach wäre das alles zu umgehen, wenn die lesbischen Mütter nicht in Oldenburg, sondern 150 Kilometer weiter westlich wohnten. Denn in den Niederlanden gibt es - genau wie in den USA - ein Samenbanksystem, das auch lesbischen Frauen offensteht. Und auch dort spricht man inzwischen von einem lesbischen Baby-Boom. In allen 22 holländischen Samenbanken bleiben die Spender auf jeden Fall anonym. Die beiden Mütter Cle Jansen und ihre Freundin Monika wollten allerdings gern, daß ihre Kinder ihren Vater kennenlernen können. Deshalb entschieden sich die beiden Utrechterinnen, die seit zwölf Jahren zusammenleben, für einen privaten Spender. Inzwischen sind ihre beiden Töchter Ruth und Matty sieben und viereinhalb Jahre alt. Linda ist die biologische Mutter der Mädchen, und die beiden Frauen spielen mit dem Gedanken an ein drittes Kind. Diesmal, habe sie sich überlegt, sollte Cle diejenige sein, die schwanger wird.
Ruth und Matty haben bisher ihren Vater offenbar noch kein bißchen vermißt. Aber nachdem sie im Garten die Hühner und Kaninchen und deren wundersame Vermehrung aufmerksam beobachtet hatten, wollten sie schon wissen, woher sie selbst denn nun eigentlich kämen. "Wir haben ihnen erklärt, daß uns ein Mann seinen Samen gegeben hat", erzählt Cle. Mit dieser Erklärung waren die Mädchen völlig zufrieden. In der Schule und im Kindergarten sind sie nicht die einzigen Kinder, die durch Insemination zur Welt gekommen sind. Und das, sagt Cle, ist in jeder holländischen Stadt so.
Von einer solchen Situation sind hiesige Städte natürlich noch meilenweit entfernt. Trotzdem: Das Fortpflanzungs-Fieber scheint auch auf deutsche Lesben und Schwule überzugreifen. In alternativen Stadtblättern findet man inzwischen regelmäßig Annoncen wie "Frauenpaar sucht Männer mit Interesse an alternativem Familienleben". "Das ist garantiert ein Trend", weiß auch Anke Melching, die in Frankfurt seit eineinhalb Jahren eine Partnervermittlung für Lesben und Schwule betreibt. In dieser Zeit hat sie etwa 30 ernsthafte Anfragen nach einer "verschärften Partnervermittlung" (mit Elternschaft) verzeichnet. Eine Anzeige, die sie für ein Frauenpaar in dem Schwulenmagazin Magnus schaltete, fand bundesweit Resonanz.
"Vielleicht ist das Kinderkriegen für Lesben jetzt sowas wie eine neue Freiheit", vermutet auch Lela Lähnemann vom Berliner "Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen". Mag sein. Man muß allerdings keine Szenekennerin sein, um zu ahnen, daß ein deutscher Gayby-Boom in der feministischen Lesbenwelt wohl kaum auf ungeteilte Zustimmung treffen würde. Wer will schon ein Baby, wenn sie sich gerade so schön aus den "verkrusteten Strukturen der bürgerlichen Kleinfamilie" ausgeklinkt hat? lautet die strenge Frage. Oder mal ganz pragmatisch: Wer tauscht freiwillig das ungebundene Leben in der Szene oder auf der Chefetage gegen Brei-Töpfchen und Windeln?
Und auch die Kritikerinnen der Reproduktionstechnologie melden sich zu Wort, wenn die Frage nach deutschen Samenbanken aufkommt. Hardlinerin Jutta Oesterle-Schwerin vom Lesbenring lehnt Samenbanken grundsätzlich ab. Lela Lähnemann ist wegen der Risiken bei der privaten Lösung zwar dafür, will aber verhindern, "daß man sich den Spender per Katalog nach Augenfarbe und IQ aussuchen kann." (Warum eigentlich nicht? Den ganzen Mann sucht frau sich doch auch aus.)
Übrigens: Die Wahrscheinlichkeit, daß das alternativ gezeugte Wesen ein männliches wird, ist ziemlich groß. Denn die männlichen Samenzellen sind schneller als die weiblichen, die sind dafür ausdauernder. Die Chance, ein Mädchen zu bekommen, ist also am größten, wenn die Insemination vor den Eisprung gelegt wird, denn dann bleiben zur Befruchtung nur die weiblichen Eizellen übrig. Die gängigen Tests verfärben sich aber erst dann, wenn der Eisprung schon stattgefunden hat. Wenn frau dann inseminiert, wird's eben ein Junge. Hoffentlich weiß Martina das.
Chantal Louis, 5/94