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Jetzt im Kino: In Liebe, eure Hilde

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„In Liebe, Eure Hilde“ ist der achte Film, den du zusammen mit Andreas Dresen gemacht hast. Das gibt es im Filmgeschäft fast nie. Wie schafft man das?
Laila Stieler Wir waren zusammen auf der Filmhochschule Babelsberg, er im Regiedepartment, ich in der Dramaturgie, und dann fragte er mich, ob wir zusammenarbeiten wollen. Dabei stellten wir fest, dass wir eine Wellenlänge haben. Es hat bei uns viel mit Humor zu tun und mit einem gemeinsamen Blick auf das Leben.

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Dieser Erwartungshaltung zum Blick auf den Osten setzen du und Dresen andere Geschichten entgegen, zum Beispiel mit dem Film „Gundermann“.
Wir fühlten uns zunehmend unwohl mit dem, wie und was über die DDR-Vergangenheit erzählt wurde. Hauptsächlich störte uns dieses Schwarz-Weiß-Denken, das Aufteilen in Opfer, Täter, Mitläufer. Wir aber haben das Leben in der DDR nicht schwarz oder weiß empfunden, sondern widersprüchlich. Und dieses Grau, diese Schattierungen wollten wir erzählen. Bei „Gundermann“, dem singenden Baggerfahrer, der Rockmusiker war und systemkritisch und zugleich IM, ging es um den Hauptwiderspruch: Gundermann liebt das Land und gleichzeitig hasst er es. Er will es verbessern. Er findet den Sozialismus gut. 

In deinen Drehbüchern legst du immer ein Augenmerk auf starke Frauencharaktere.
Worüber eine Autorin schreibt, hat sicher immer etwas mit ihrer Prägung und Herkunft zu tun. Mit Bildern, Erinnerungen und Überzeugungen. Vielleicht hat mein Frauenbild viel mit den Heldinnen meiner Kindheit und Jugend zu tun. Mit Figuren wie Paula, Solo Sunny oder Franziska Linkerhand. Mit Schriftstellerinnen wie Anna Seghers, Maxi Wander, Christa Wolf. Oder mit Schauspielerinnen wie Jutta Voigt, Jutta Wachowiak oder Ludmilla Gurtschenko. Ich erzähle ja oft von Frauen, die ich kenne, denen ich begegnet bin, die mir gefallen haben. Diese Nähe entsteht durch ein Erkennen, ein Wiederfinden von etwas Vertrautem und hat insofern was mit den eigenen Wurzeln zu tun.

Mittlerweile ist dein Erzählstil unverkennbar, man bezeichnet dich sogar als „Drehbuchschreiber-Marke“.
Das schrieb ein Journalist über mich zu dem Zeitpunkt, als es diesen Serienschub aus den USA gab und plötzlich auch hierzulande das Interesse an Drehbuchautoren aufkam. Schmeichelhaft, aber naja … Ich bin in einem Dokumentarfilmerhaushalt aufgewachsen, mit einem Fuß immer im Fluss des Lebens stehend. Das realistische Kino liegt mir, für mich ist das kein Schimpfwort. Für mich war bei Serien wie „Kommissarin Lund“, „Breaking Bad“ oder „The Wire“ vor allem der neue Umgang mit Figuren interessant. Die hatten plötzlich Tiefe, da gab es was zu entdecken. Welche Drehung gibt es noch, welche Seite an einer Figur kann ich noch erzählen, welche Entwicklung? Und dann dieses Slowburning, dieses langsame Köchelnlassen, das passt gut in mein System des Erzählens, weil das Leben eben genau so ist: Du wirst langsam gar gekocht.

Wie bist du für „In Liebe, Eure Hilde“ auf die Geschichte der „Roten Kapelle“ gekommen, jenes Widerstandsnetzwerk gegen das NS-System?
Ich kenne die „Rote Kapelle“ seit der Schule, da hatten wir das Thema ausführlichst behandelt. Neben dem normalen Geschichtsunterricht gab es Geschichten, Erzählungen, Filme, Besuche von Widerstandskämpfern. Das alles hat mich damals schon sehr fasziniert, ich stellte mir immer die Frage: Wie hättest du dich verhalten? Diese Frauen im Widerstand, die haben mich interessiert, weil Widerstand gegen die Nazis oft noch als etwas sehr Männliches wahrgenommen wird. Ich habe mich dann für die „Rote Kapelle“ entschieden, weil sie so ein breites Spektrum der Gesellschaft widerspiegelte: vom Künstler bis zum Arbeiter.

Was hat dich bei den Recherchen am meisten überrascht?
Mir wurde plötzlich bewusst, wie unfassbar jung diese Frauen waren. Ich hatte mir Widerstandskämpferinnen immer als ältere Menschen vorgestellt. Es gibt diesen Film „KLK an PTX“, ein DDR-Klassiker, anständig erzählt, aber natürlich in der Lesart der Erwartungen an die Widerstandskräfte. In dem sehen die Frauen tatsächlich alle älter aus. Aber Liane Berkowitz war erst 19. Hilde Coppi war 30 – das hat mich gereizt, diese Jugend dieser Frauen zu begreifen.

Man nimmt sie in der ersten Filmszene am See eher als eine Freundesgruppe und nicht zuerst als KämpferInnen wahr.
Ich glaube, das waren sie auch. Ein Freundeskreis, keine feste Struktur. Junge Leute, die zum Teil nicht wussten, welcher Gefahr sie sich aussetzen. Die leichtsinnig waren und sich vielleicht für unsterblich hielten.

Das Erzählen in Grauzonen ist dein Markenzeichen. Selbst die Nazifrauen sind ambivalent.
In den Briefen und Kassibern der Widerständlerinnen aus dem Gefängnis habe ich immer wieder von zwei Aufseherinnen gelesen. Da ist eine, die wirklich hilft, und eine, die eine Bestie ist. Aus denen habe ich versucht, eine Figur zu machen, weil wir Menschen selten das Eine oder das Andere sind. Dieses Bedürfnis, Figuren zu verstehen, in ihren guten wie in ihren schlechten Seiten, das haben Andreas und ich auf jeden Fall gemeinsam.   

Das Gespräch führte Maria Wiesner.­ - "In Liebe, eure Hilde" läuft jetzt im Kino.

ÜBER HILDE COPPIHilde Coppi wurde 5. August 1943 in Berlin-Plötzensee von den Nationalsozialisten enthauptet.

Berlin, 1942. Hilde Coppi wird verhaftet. Der Vorwurf: Das Verfassen von Schriften gegen das Nazi-Regime, Abhören von Feindsendern, Spionage. In der Berliner Haftanstalt Plötzensee wird sie den Rest ihres kurzen Lebens verbringen und dabei auch ein Kind zur Welt bringen. Von diesem Punkt aus erzählen Drehbuchautorin Laila Stieler und Regisseur Andreas Dresen in zwei Richtungen: in fahlen Bildern vorwärts über Hildes Zeit im Gefängnis bis zu ihrer Hinrichtung. Und in farbgesättigten Rückblenden Schritt für Schritt zurück an den Punkt, an dem Hilde Hans Coppi kennenlernt. Über ihn gelangt sie in einen Freundeskreis von jungen Leuten aus verschiedenen Schichten, die sich gegen das Regime wehren. Sie kleben Zettel, verteilen Flugblätter und senden geheime Funksprüche. 1942 werden sie als Mitglieder der von der Gestapo sogenannten „Roten Kapelle“ verhaftet und 1943 in Plötzensee hingerichtet. Während die Geschichte der „Weißen Rose“ um Sophie Scholl Schulstoff geworden ist, waren die „Rote Kapelle“ und Hilde Coppi lange vergessen.

 

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