Lisa Ortgies: Spitzenväter
Lisa Ortgies ortet nach dem bekannten Hausfrauen-Syndrom jetzt das neue Atlas-Syndrom: Darunter leiden Männer, die gar zu viel auf ihren Schultern tragen.
Bernd aus Nordrhein-Westfalen ist sich nicht zu schade, seinen blassen Schmerbauch zu entblößen und benutzt einfach sein Sweatshirt als Einkaufsbeutel, um Konserven und Waschmittelbeutel zu einem bereit stehenden Einkaufswagen zu balancieren. Da könnte sich so manche Hausfrau, die über schwere Einkaufstüten klagt,
eine Scheibe abschneiden. Schwierige Herausforderungen verlangen eben nach unkonventionellen Lösungen.
Zum ersten Platz beim Wettbewerb ‚Hausmann des Jahres‘, veranstaltet vom Schwammhersteller Spontex, reicht es trotzdem nicht. Dafür gibt es am Ende einen Beutel mit hochwertigen Putzschwämmen sowie ein Spontex-T-Shirt. Und die Aufmerksamkeit der geladenen Presse, die Frauen und Kinder beiseite drängelt, um ein Gruppenfoto zu bekommen: von der Speerspitze der männlichen Emanzipation in Deutschland.
Da stehen sie, bekleckert und verschwitzt, aber glücklich. Männer, die die Rolle verweigern und sich in ein soziokulturelles Abenteuer stürzen. Acht von 6.000 Bewerbern. Und ich war mit der Kamera dabei – als sich die Elite deutscher Hausmänner von einer Jury aus Hausfrauenbund und Hotelfachkräften schikanieren ließen, um: eine Pizza kindgerecht zu belegen, Fenster streifenfrei zu putzen oder Tellerstapel scherbenfrei und unter Zeitdruck zu säubern. Zum Takt einer Technoscheibe, die aus mannshohen Lautsprechern dröhnt, um den Stress zu potenzieren. Gewonnen hat übrigens ein blonder Adonis, der beim Spülen auch noch Zeit fand für eine Tanzeinlage.
Dass bei dieser Aktion auch 5.000 Euro Preisgeld locken, kann den Eindruck nicht schmälern, dass hier eine mutige Avantgarde am Werk ist. Nicht mal drei Prozent der deutschen Männer wagen den Wechsel in ein Dasein als Hausmann. Und wenn man bedenkt, wie Personalchefs und Kollegen auf Männer im Erziehungsurlaub reagieren, dann ist klar: Diese Männer haben die Hölle hinter sich.
Hier lächeln sie stolz in die Objektive, aber wer weiß schon, wie es wirklich in ihnen aussieht, nach dem Spießrutenlauf auf dem Weg zum Vollzeitpapa? Der Verzicht auf ein eigenes Einkommen und damit auf ein selbstbestimmtes Leben, die Preisgabe all ihrer Fähigkeiten, die jetzt nur noch Haushalt und Kindern dienen. All die Aufstiegschancen, die sie verpassen, und dabei der Totalausfall irgendeiner Art von gesellschaftlicher Anerkennung. Kann man das wirklich von einem gesunden und gut ausgebildeten Mann in den besten Jahren verlangen?
Dass Millionen von Frauen dasselbe durchmachen, kann in diesem Zusammenhang kein Argument sein. Frauen sind fehlende Wertschätzung schließlich gewöhnt. Vollzeitmütter müssen auch nicht unter dem fiesen Spott der Kollegen und Kumpels leiden, weil ihre Existenz eine Selbstverständlichkeit ist und sie deshalb eher komplett übersehen werden. Was würden Vollzeitväter darum geben, auch nur einen Tag unsichtbar zu sein! Stattdessen müssen sie sich ständig von wildfremden Menschen für ihr aufopferndes Engagement auf die Schulter klopfen lassen. Ganz zu schweigen von den sexuell vernachlässigten Müttern, die ihnen auf dem Spielplatz verzweifelte Avancen machen … die Jungs haben ja nie ihre Ruhe!
Kein Wunder, dass sich 97 Prozent der Väter lieber mit einer Doppelbelastung arrangieren, vor allem, da die ja meistens die Doppelbelastung ihrer Frau ist, statt ganz zu Hause zu bleiben. Schließlich gibt es auch für berufstätige Väter 5.000 Euro zu gewinnen. Die Großbäckerei ‚Mestemacher‘ vergibt im nächsten Jahr zum ersten Mal den gleichnamigen Preis an den ‚Spitzenvater des Jahres‘: Einen Mann, der „situationsbedingt mitwirkt bei der Kleinst-, Klein- und Schulkinderbetreuung“ und aus „innerlicher Überzeugung handelt“. Um die zu überprüfen, hält sich die Initiatorin des Projekts, Professorin Ulrike Detmers, vor allem an folgende Kriterien: die Anzahl der Kinder und eine qualifizierte Vollzeitstelle der Mutter. Denn aus der Sicht der Professorin ist es in einer kinderreichen Familie dem Spitzenvater zu verdanken, wenn die Partnerin trotzdem Karriere macht. Ich würde spontan die Erfolge einer Frau zwar immer deren eigenem Können zuschreiben (?!), aber ein bisschen Mitleid für die berufstätigen Spitzenväter ist vielleicht auch nicht verkehrt.
Denn diese betroffenen Männer verzichten ja gegebenenfalls auf ein umfangreiches Servicepaket, wie das Allensbach-Institut in einer aktuellen Umfrage herausgefunden hat. An der schiefen Arbeitsbelastung zu Hause hat sich nämlich nichts geändert: Für die Wäsche zum Beispiel sind zu 85 Prozent die Frauen zuständig, beim Bügeln sind es 82 und beim Kochen 71 Prozent. Über die niedrigsten Tätigkeiten wie Klo schrubben gibt es keine spezielle Erfassung, aber nach einer Studie des Heidelberger ‚Instituts für interdisziplinäre Frauenforschung‘ putzt überhaupt nur jeder 27. Mann ab und an auch mal die ganze Wohnung.
Und wenn man unsere Spontex-Hausmänner als Stichprobe nimmt, liegt der Schnitt eher um 0. Denn bei einer Befragung der Kinder zum Thema „Wer ist bei Euch fürs Klo zuständig?“ kam von allen, ohne Zögern: „die Mama!“. Dabei muss man wohl fairerweise berücksichtigen, was auch der deutsche Hausfrauenbund bestätigt: Viele Männer werden schon von ihren Müttern zu Haushaltsversagern erzogen, und die Ehefrauen machen in der Tradition weiter („Mein Mann kann das nicht.“) Woher soll ein Mann bei einem komplizierten Gerät wie dem WC auch wissen, dass auch die Unterseite der Klobrille von Spritzern befreit werden muss? Dazu müssten sie das Ding ja mal hochklappen und das haben wir Frauen ihnen ja erfolgreich ausgetrieben, indem wir aus Steh- Sitzpinkler gemacht haben. Männer konzentrieren sich eben lieber auf weniger komplexe Tätigkeiten wie kaputte Automotoren oder die Installation eines neuen Druckers. Und selbst wenn sie nur den Wagen nach der Autowäsche trocken fahren, sparen sie dabei schließlich noch Haushaltsgeld!
Wie es in den Zweiversorgerfamilien nun wirklich mit der Arbeitsaufteilung aussieht, weiß keiner ganz genau. Fest steht nur, dass auch dort, wo beide berufstätig sind, die Frau doppelt soviel Zeit in die Hausarbeit investiert wie ihr Mann. Das ergab der Vergleich der wöchentlichen Arbeitsstunden in fast allen Studien. In Verlauf der begleitenden Interviews schwören die befragten Männer (und Frauen!) trotzdem Stein und Bein, dass die Pflichten jeweils fifty/fifty geteilt werden – was offenbar weniger mit der tatsächlichen und eher mit der gefühlten Arbeit zu tun hat.
Und damit ist natürlich auch die psychische Grenze zur Überlastung bei Männern viel schneller überschritten als bei Frauen, die Tendenz haben, ihren Arbeitseinsatz eher zu unterschätzen. Folgerichtig haben britische Ärzte schon vor ein paar Jahren eine neue Erkrankung bei doppelbelasteten Vätern diagnostiziert: Das Atlas-Syndrom, benannt nach jenem Kerl aus der griechischen Mythologie, der das ganze Himmelsgewölbe stemmen muss. Die Symptome beim Atlas-Syndrom reichen von „Übermüdung, schlechter Laune, Lustlosigkeit bis hin zu extremer Gereiztheit“. Das liest sich wie die Beschreibung der alltäglichen Gefühlslage einer berufstätigen Mutter. Aber seit es auch Männern ab und zu halb so beschissen geht, hat dieser Dauerzustand endlich den Status einer Krankheit. Konsequenterweise bietet ein Caritas Verband in Nordrhein-Westfalen schon seit einiger Zeit ‚Vater-Kind-Kuren‘. Dass sich dafür nicht genug Männer melden, liegt sicherlich nicht daran, dass so wenige unterm Atlas-Syndrom leiden, sondern an der rollentypischen Neigung zur Selbstlosigkeit?! In England dagegen hat man, abgesehen von einer Londoner Beratungsstelle für Männer mit postnatalen Depressionen (kein Scherz!), aus der tragischen Entwicklung noch keine Konsequenzen gezogen.
Gott sei Dank ist die Mehrheit der deutschen Mütter vernünftig genug, ihre Männer erst gar nicht mit unangemessenen Forderungen zu belästigen (siehe Allensbach-Studie). Den meisten doppelbelasteten Vätern hierzulande geht es also noch gold – wenn wir die vermutlich drastische Dunkelziffer mal beiseite lassen. Sie bleiben unerkannt und unbehelligt. Noch nicht mal die Werbung mit ihren avantgardistischen Role-Models hat sie bisher entdeckt. Ein neuer Fertigteig inklusive Backform zum Beispiel wird mit einem sehr jungen Vater beworben, der im realen Leben wohl eher in die Kategorie ‚älterer Stiefbruder in einer Patchworkfamilie‘ fällt. Äußerlich entspricht er dem modisch-trendigen Softie mit sanften Rehaugen, über die ein großer Pony fällt. Als Vorbild für potentielle und reale Väter, die heutzutage das Kinderkriegen genauso rausschieben wie die Frauen, fällt er damit aus. Dafür passt er wunderbar ins Beuteschema junger trendbewusster Frauen.
Die neuen Väter und Männer in der Werbung haben endlos Zeit: um sanft über zarte Babyhaut zu streichen oder ihre Frau mit Fertiggerichten zu verwöhnen. Andere treten als Deppen auf, die frau einkaufen schickt, um ihnen dann die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Oder sie werden als Strafe für ihre Faulheit mit Küchenpapier ausradiert. Der Trendforscher Matthias Horx beklagt bereits eine öffentliche „Vertrottelung des Mannes“. Und das erste schwule Pärchen, dass für tiefgefrorene „4-Sterne-Menüs“ wirbt: Holger und Max, ist so karikatural schwul, dass heterosexuelle Hausfrauen gähnen.
All diese Kampagnen haben eins gemein: eine Zielgruppe aus fernsehenden Frauen, die mit Fantasiemännern amüsiert oder verführt werden sollen. Denn gerade die Deppen-Spots laufen vor allem im Umfeld frauen-affiner Programme wie ‚Desperate Housewives‘. Entworfen werden solche Kampagnen wahrscheinlich von kinderlosen Frauen und entspannten Familienvätern, die die künstlerische Freiheit eines 14 Stunden Tages voll ausnutzen können, weil ihnen zu Hause jemand den Rücken freihält.
Als Lösung all unserer Probleme gilt im Moment das Vorbild amerikanischer Verhältnisse, wo erwerbstätige Mütter und Väter aus Zeitmangel auf vielfältige Dienstleistungen zurückgreifen. Dort sorgen gestresste Minijobber (selbst schuld, hätten sie was Vernünftiges gelernt …) für einen stressfreien Alltag, in dem sie die Mittelschicht mit Babysitting, Wellness, preiswertem Restaurantessen, Wäsche- und Reinigungs- sowie Fahrdiensten versorgen. Gleichzeitig werden Arbeitsplätze geschaffen und die Konjunktur angekurbelt, um schnell und viel Geld in Umlauf zu bringen. Könnte dieser Trend nun auch Old Germany erfassen?
Die bevorstehenden Feiertage (erhöhtes Stress- und Streitrisiko!) könnten neugierige Frauen schon mal nutzen, um das Erfolgsmodell ‚männliche Verhaltensstarre plus amerikanisches Konsumverhalten‘ einmal für sich selbst zu testen: Schieben Sie einen Fertigteig in den Ofen und gehen Sie in der Zeit zur Kosmetikerin; das Weihnachtsessen bestellen Sie am besten beim Pizzaservice und die Geschenke bei Ebay; das Klo können Sie auch mit Duftkerzen pflastern, statt es zu putzen. Und Ihren Mann schicken Sie als ‚Spitzenvater 2006‘ und als ‚Hausmann 2006‘ ins Rennen – das bringt im neuen Jahr zusätzliche Tausender, die Sie für diverse Dienstleistungen verballern können, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Frohes Fest!
Lisa Ortgies, EMMA Januar/Februar 2006
PS Auf Nachfrage verriet die Autorin der Redaktion, wie es bei ihr zugeht: Lisa und Martin haben ein Kind, sie ist freie Journalistin, er fest angestellter Management-Berater. Sie schätzt die „gefühlte“ Belastung auf 60 (Lisa) zu 40 (Martin). Aber: „Vielleicht ergäbe das Auszählen der tatsächlichen Stundenzahl ein ganz anderes Bild.“ Zu ihrem Glück ist er „hyperaktiv“ und liegt seine Schmerzgrenze für Dreck „deutlich niedriger als meine“. Darum räumt er öfter auf. Glückliche Lisa.