"Frauenwelten" in Tübingen

Amanda Seyfried als Linda Lovelace.
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Es war acht Jahre nach dem Riesenerfolg von „Deep Throat“, als Linda Lovelace (eigentlich: Linda Boreman) in ihrer Autobiografie die dunkle Geschichte hinter der strahlenden Fassade offenbarte: Ihr Ehemann Chuck Traynor hatte sie mit vorgehaltener Waffe zuerst zur Prostitution und dann in die Pornoproduktion gezwungen. Das gesamte Drehteam hatte weggesehen und die blauen Flecken überschminkt. Boreman wurde später, an der Seite von Gloria Steinem und Catherine MacKinnon, zur flammenden Aktivistin gegen die Pornoindustrie. Sie starb 2002 bei einem Autounfall.

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Während der Dokumentarfilm „Inside Deep Throat“, der 2005 herauskam, all das skandalöserweise verschwieg, wurde Linda Boremans Lebensgeschichte nun endlich verfilmt. Gloria Steinem, die die Filmemacher Rob Epstein und Jeffrey Friedman beriet, ist berührt: „Obwohl der Film nicht die ganzen Brutalitäten zeigt, trieb es mir die Tränen in die Augen, dass Linda glücklich darüber gewesen wäre, dass ihre wahre Geschichte jetzt in der ganzen Welt präsent ist.“ In der ganzen Welt? In Deutschland wird „Lovelace“ erstaunlicherweise nicht im Kino laufen (ab 14.1. auf DVD). Dafür hat Terre des Femmes das so aufschlussreiche Dokument über die Pornoindustrie jetzt nach Tübingen geholt uns zeigt ihn auf dem Filmfestival „Frauenwelten“.

35 Filme laufen dort vom 20. bis 27. November, darunter „FEMEN. The Inside Story“. Achtung: Es handelt sich nicht um den berüchtigten Dokumentarfilm, der die Rolle des mysteriösen Viktor beleuchtete, sondern um eine Dokumentation der Französin Caroline Fourest und der Tunesierin Nadia el Fani. Letztere war mit ihrem Film „Laicité Inch’Allah“, einem Plädoyer für eine säkulare Verfassung in ihrem Heimatland, zur Zielscheibe der tunesischen Islamisten geworden.

Außerdem auf dem Spielplan: „Sarabah“, eine Dokumentation über die Berliner Rapperin Sister Fa uns ihren Kampf gegen die Genitalverstümmelung in ihrer Heimat Senegal. Oder: „Von der Küche ins Parlament“, der vom Kampf der Schweizerinnen um das Frauenwahlrecht erzählt.

Mit dem Thema Prostitution beschäftigen sich gleich mehrere Spiel- und Dokumentarfilme, darunter „Ware Frau“ über den Handel mit nigerianischen Frauen. Regisseur Lukas Roegler ist einer der Teilnehmer der Gesprächsrunde am 24. November, bei der mit ihm die Stuttgarter Sozialarbeiterin Sabine Constabel, der Augsburger Kriminalkommissar Helmut Sporer und der Kommissar a.D. Manfred Paulus, der Aufklärungsarbeit in Osteuropa betreibt.

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Outside Deep Throat

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Im Foyer des Kölner Cinedom helfen junge langhaarige Hostessen in schwarzen Tops (mit einem weit geöffneten blutroten Frauenmund als Logo) gerne weiter. „Inside Deep Throat? Die Treppe rauf, Kino 5. Viel Spahaß!“

In Kino 5 erklärt ein blonder Jüngling im Nadelstreifensakko dem Publikum im Auftrag von Constantin Film, was in dem „Superfilm“ Sache ist. Superschade eigentlich, dass er zu jung ist, um damals selbst dabei gewesen zu sein. Es war nämlich bestimmt supercool, sich 1972 "Deep Throat" im Kino anzuschauen. Denn, weiß er, „es konnte passieren, dass die Nachbarreihe dabei mal eben ’n Blowjob gemacht hat.“ (Will sagen: Oralverkehr.) Hihi.

Am allercoolsten findet der junge Mann allerdings, wie viel Kohle ‚Deep Throat‘ den Machern gebracht hat. „Es hat 25.000 Dollar gekostet, den Film zu machen, und eingespielt hat er 600 Millionen!“

Nach der Vorführung sind alle noch zur Party in einem Kölner Club eingeladen. „Mit’n bisschen Gogo und kleinen Schweinereien.“ Höhö. Dann surrt der Projektor. "Inside Deep Throat", der Dokumentarfilm über "Deep Throat", beginnt.

"Deep Throat" ist der wohl berühmteste Pornofilm der westlichen Welt. Erstens, weil er der erste Pornofilm ist, der die Nische der schmierigen kleinen Pornokinos verließ, und in den großen Häusern Millionen einspielte (die übrigens alle von der Mafia kassiert wurden, die in den USA die Faust auf den Pornokinos hat).

Die „Handlung“: Eine Frau, die beim Sex nichts empfindet, geht zum Arzt. Der stellt fest: Kein Wunder, denn ihre Klitoris sitzt im Hals. Was im Rest des Films passiert, dürfte klar sein.

Der junge Mann im Nadelstreifen weiß folgendes nicht, darum erinnern wir: 1972, das war die Zeit der Frauenbewegung und die Zeit, in der Frauen ihre Lust entdeckten. Das körperliche Zentrum dieser Lust, das machten sie den Rein-Raus-Fans klar, ist die Klitoris (das physiologisch weibliche Pendant zum Penis). Dieses Lustorgan verpflanzten die Macher von "Deep Throat" (Tiefer Rachen) nun in den Frauenhals.

Doch angeblich war "Deep Throat" gar kein Angriff auf das aufkeimende (sexuelle) Selbstbewusstsein der Frauen, sondern eine kühne Attacke gegen die reaktionären, sexfeindlichen Puritaner. Im Zuge der „sexuellen Revolution“ galt der Film als „sexuell befreiend“. Promis von Jack Nicholson bis Jackie Kennedy zeigten sich an den Kinokassen.

Acht Jahre nach seinem Start wird "Deep Throat" noch einmal zum Politikum. Hauptdarstellerin Linda Boreman, Künstlername Linda Lovelace, veröffentlicht ein Buch, Titel "Ordeal" (Martyrium), deutscher Titel: "Die Wahrheit über Deep Throat". In diesem Buch schilderte die New Yorkerin, unter welchen Umständen sie zur gefeierten Pornoqueen wurde.

Mit 20 Jahren trifft die junge Frau aus dem ebenso puritanischem wie brutalem Elternhaus Chuck Traynor. Der Ex-Marine, Vietnam-Veteran und Jaguar-Fahrer hilft ihr zunächst, ihre Eltern zu verlassen, sodann entpuppt er sich als Ex-Bordellbesitzer auf der Suche nach einer neuen Einnahmequelle. Das „erste Mal“ soll in einem Hotelzimmer mit fünf Geschäftsmännern stattfinden. Als Linda sich weigert, droht Traynor ihr, sie zu erschießen.

„‚Zieh deine Kleider aus, oder du bist eine tote Nutte!‘, sagte er. Plötzlich wusste ich, dass er mir nichts vormachte. Er würde mich erschießen. Ich zog stumm meine Kleider aus, Tränen rannen mir übers Gesicht, ich zitterte am ganzen Körper. Jener Tag, jene Stunde, jener Augenblick war der Wendepunkt in meinem Leben. Und ich frage mich: Würde ich dasselbe wieder tun? Würde ich das alles noch einmal durchmachen? Nein. Heute hätte ich mich für die Kugel entschieden.“

Linda Boreman wird Chuck Traynors Gefangene. Er behält alles Geld (inclusive der 1.200 Dollar, die sie später für "Deep Throat" bekommt), sie muss ihn um Erlaubnis fragen, wenn sie duschen, schlafen, essen will. Er schlägt und tritt sie grün und blau, zwingt sie mit vorgehaltener Waffe zum Sex mit Hunden. Er führt ihr Gartenschläuche in den After ein und dreht auf. Und er „übt“ mit ihr, wie sie ihre Halsmuskulatur so entspannen kann, dass sie einen Penis komplett aufnehmen kann – ihre Schlüsselqualifikation für "Deep Throat".

Acht Jahre später wird Linda Boreman, die Hauptdarstellerin des „Befreiungs“-Pornos "Deep Throat", zur Kronzeugin der Feministinnen im Kampf gegen Pornografie und Sexualgewalt.

Doch über all das erfahren wir in dem Dokumentarfilm von Fenton Bailey und Randy Barbato nur am Rande. Dafür alles über das prüde Amerika und die Richter, die "Deep Throat" auf den Index setzten mit dem Argument, der Film „bestärke die Frau im Glauben an einen klitoralen Orgasmus“. Was nicht ohne Ironie ist.

Folgt der Reigen der Pornografen. „Der Film zeigte auf, dass Frauen ein Recht auf ein eigenes Sexualleben haben“, erklärt Larry Flint, der in seinem Porno-Magazin Hustler als erster realistische Fotostorys über Vergewaltigungen zeigte. Playboy-Herausgeber Hugh Hefner, der darauf brannte, Linda Lovelace bei seinen Sexpartys bei der Penetration durch einen Hund zuzusehen und Schriftsteller Norman Mailer, der seine Ehefrau in einem „Anfall von Eifersucht“ erstach, stimmen zu. Hier geht es um die wahre Befreiung der Frau!

Und der Protest der Feministinnen? Prüde, männerfeindliche Zicken. Linda Boreman? Unglaubwürdig und hysterisch.

„Linda brauchte immer jemanden, der ihr sagte, was sie tun sollte. Dann war sie glücklich. Als sie Deep Throat drehte, war sie glücklich“, erzählt der Ex-Friseur und Deep Throat-Regisseur Gerard Damiano.

Bei Linda Boreman klingt das etwas anders. Die Filmcrew war im Nebenzimmer, als Chuck Traynor sie so zusammentrat, dass Linda laut um Hilfe schrie. Niemand kam. Regisseur Damiano gerät erst am nächsten Tag in Rage, als er die blauen Flecken an den Beinen seiner Hauptdarstellerin sieht. Sie werden überschminkt.

Und die Medienreaktionen 2005? „Linda Lovelace hatte Orangenhaut und Hängetitten“, ist der einzige Kommentar, den neon, das Magazin für den hippen Twen, dem Regisseur des Dokumentarfilms entlockt. Auch auf vier Seiten Playboy findet sich, klar, kein einziges Wort über Lindas Martyrium, im Gegenteil: „Goldkehlchen Lovelace genießt die Jahre als Filmstar.“

Im Spiegel ist Linda Boreman ebenfalls eine „haltlose junge Frau auf der Suche nach ihren 15 Minuten Ruhm“, aber immerhin erfahren die LeserInnen, dass sie ihre Rolle „angeblich unter Gewaltandrohung“ spielte. Angeblich. Linda Boreman selber kann zu all dem leider nichts mehr sagen: Sie starb im Jahr 2002 bei einem Unfall.
Vor dem Kölner Club Triple A bieten inzwischen langhaarige Studentinnen in Krankenschwester-Kostüm mit Häubchen und Strapsen à la Lovelace auf Silbertabletts die angekündigten „kleinen Schweinereien“ an: blutrote Weingummi-Münder. Der glatzköpfige Fotograf eines Regionalmagazins erscheint. „Schiebt sie euch rein, Mädels“, feuert er die Damen an. „Wir machen jetzt hier mal ’n bisschen Deep Throat!“ Die Lindas kichern.

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