Luise Pusch: Die Hermaphrodite
Warum heißt es eigentlich "der Zwitter" und nicht "die" oder "das Zwitter"? Zwitter sollen doch gerade eine Mischung aus beiden Geschlechtern sein; warum wird dann bei ihrer Benennung nur das Männliche berücksichtigt? Die Antwort ist: Männliches darf nicht unter einen weiblichen Oberbegriff fallen. So lautet das Oberste Gesetz patriarchaler Sprachen.
Deshalb wird ein Mann, der Hebamme wird, Geburtshelfer genannt; sofort werden die entsprechenden Verordnungen umgeschrieben. Aber eine Frau, die zum Amtmann befördert werden soll, muß jahrelang gegen die männliche Verwaltung - und im Rahmen des Männerapparats Justiz - prozessieren, bis ihr die Bezeichnung Amtfrau gewährt wird. Sogar die männlichen Anteile eines Zwitters genießen den sprachlichen Schutz der Geschlechtsidentität, der gewöhnlich nur für echte Männer gilt und Frauen verwehrt bleibt.
Ein Zwitter wird auch Hermaphrodit genannt nach dem Sohn der Göttin Aphrodite und des Gottes Hermes. Der erste Bestandteil dieses zusammengesetzten Wortes ist maskulin, der zweite feminin. Eigentlich müßte es also die Hermaphrodite heißen, denn normalerweise bestimmt der letzte Teil eines Kompositums das grammatische Geschlecht. Wir sagen "die" und nicht "der Kaffeekanne", weil es "die Kanne" und obwohl es "der Kaffee" heißt.
Mit dem restaurierten (entpatrifizierten) Wort Hermaphrodite bezeichne ich im folgenden Sätze, in denen eine Frau oder eine Gruppe von Frauen sowohl mit einem Femininum als auch mit einem Maskulinum benannt wird. Beispiel: Marie Baum war erst Lehrerin, dann wurde sie Gewerbe-Inspektor.
Eine Ministerin soll einmal gesagt haben, sie sei mindestens so tüchtig wie irgendein Minister, und deshalb gebühre ihr die Anrede FrauMinister anstelle des "lächerlichen" Frau Ministerin. Eine Gärtnerin erklärte mir einmal, sie müsse sich selbst als Gärtner bezeichnen, sonst dächten alle, sie sei Floristin, während sie doch in Wirklichkeit "die Schwerarbeit eines Gärtners" tue. Eine Architektin bestätigte die Gärtnerin: Sie müsse sich als Architekt vorstellen, sonst dächten die anderen, sie sei "bloß" Innenarchitektin.
Zuguterletzt las ich in einem Buch über Komponistinnen folgende Hermaphrodite der Komponistin Grete von Zieritz: "Ich bin ... nicht in der Lage, auch nur ein Blatt zu zeichnen, obwohl meine direkten weiblichen Vorfahren gute Malerinnen gewesen sind, keine Sonntagsmalerinnen, sondern studierte, anspruchsvolle Maler [...]" (Eva Weissweiler: "Komponistinnen aus 500 Jahren", Fischer, 1981).
Für Grete von Zieritz genügt anscheinend die Versicherung, daß ihre "weiblichen Vorfahren" gute Malerinnen gewesen sind, noch nicht, um deren Qualifikationen überzeugend herauszustreichen. Das Prädikat "gute" wird nach ihrem Verständnis offenbar konterkariert durch die Bezeichnung Malerinnen. Malerinnen, so fürchtet sie, wird notwendig assoziiert mit Sonntagsmalerinnen. Ob sie nie etwas von Artemisia Gentileschi, Angelika Kauffmann, Mary Cassatt, Berthe Morisot, Paula Modersohn-Becker, Sonia Delaunay, Georgia O'Keeffe gehört hat? Zieritz macht ihre malenden Vorfahrinnen zu Männern honoris causa.
Wenn wir Frauen zu Männern honoris causa machen, verharren wir in einem "gleichnisartigen", "bildhaften", "metaphorischen" Bereich, statt selbstbewußt unseren eigenen Wert und unsere eigene Realität zu definieren. Das Standardbeispiel für Metaphern in den Lehrbüchern zur Poetik und Rhetorik ist Achilles war ein Löwe. Achilles war nicht wirklich ein Löwe. Er war bloß ein Mensch, kämpfte aber, so geht die Sage, "tapfer wie ein Löwe". Die Vorfahrinnen von Grete von Zieritz waren nicht wirklich Maler, sondern Malerinnen, denn sie waren ja keine Männer, sondern bloß Frauen. Aber sie malten "wie Maler", sowie Achill kämpfte "wie ein Löwe" - deshalb bekommen sie den Ehrentitel Maler.
Als vor Jahren eine C-4-Professorin der Linguistik "Sekretär" (also Vorstandsmitglied) der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft DGfS wurde, lehnte sie es rundweg ab, sich "Sekretärin der DGfS" zu nennen. Natürlich fürchtete sie, mit einer Schreibkraft verwechselt zu werden. So verpaßte sie die günstige Chance, eine neue, ihre eigene Realität zu definieren, das heißt bei der Außerkraftsetzung des Vorurteils "weiblich gleich zweitrangig" mitzuwirken. Erst wenn Sekretärin sowohl "Schreibkraft" als auch "Mitglied eines Vorstandes" bedeuten kann (sie hätte diese Bedeutungserweiterung miteinleiten können!), wird der Sekretär seines Nimbus entkleidet sein. Zusätzlich hilfreich ist es, wenn Sekretär auch "Schreibkraft" bedeutet.
Ähnlich wie unsere Wortpaare Gärtnerin/Gärtner, Architektin/Architekt, Malerin/Maler, Sekretärin/Sekretär funktionieren im Englischen die Paare governor/governess und master/mistress. "He's a professional" bedeuted "Er ist ein Fachmann", während "She's a professional" in der Regel "Sie ist eine Nutte" bedeutet.
Wenn wir maskuline Personen- und vor allem Funktionsbezeichnungen auf uns selbst und andere Frauen anwenden bzw. anwenden lassen, tun wir dies vielleicht in der edlen Absicht, unserem Geschlecht den Rang zuzusprechen, der uns gebührt, erreichen aber genau das Gegenteil: Die Ablehnung weiblicher Bezeichnungen durch Frauen bestätigt nur den Mythos von der Maßstäblichkeit der Männer und ihre unverschämte Unterstellung, sie seien etwas Besseres als Frauen.
"...eine andere Bonner Frau, eine herbe Hamburgerin, gelernte Juristin. Helmut Schmidt entdeckte in ihr (Anke Fuchs), 'das Zeug zum Bundeskanzler'." Das schrieb die,,Zeit" am 28.12.1984. Warum entdeckte Helmut Schmidt in der "herben Hamburgerin" Anke Fuchs "das Zeug zum Bundeskanzler" und nicht "das Zeug zur Bundeskanzlerin"? Weil es bisher noch keine gegeben hat. Wenn Schmidt in Fuchs das Zeug zu einer entdeckt hätte, so wäre das etwa so, wie wenn sie in ihm das Zeug zu einem "Barherrn" entdeckt hätte, mit anderen Worten zu etwas, das es gar nicht gibt. Wenn sie sich ihn hingegen als Bardame vorstellen könnte, so wäre das zwar skurril, aber noch verständlich, weil ja alle wissen, was eine Bardame ist (oder ein Bundes kanzler). Alle haben schon mal eine oder einen gesehen, entweder "in Wirklichkeit" oder in den Medien.
Als ich klein war, wollte ich Schuster werden, nicht Schusterin. Schusterinnen gab es nicht. Ich hatte nur die Wahl, entweder etwas zu werden, was ich als Mädchen nicht werden konnte (Schuster) oder etwas, was es nicht gab (Schusterin).
Seit den Anfängen der Frauenbewegung beklagen und kritisieren wir das Fehlen weiblicher Vorbilder in der Realität (keine Bundeskanzlerinnen, Schusterinnen usw.) und in der Literatur (keine Heldinnensagen, Häuptlinginnen, Trapperinnen, Seeräuberinnen, Kalifinnen). Das Schlimme ist, daß dieses System sich immer wieder selbst erneuert, daß die Geschichte sich gestaltet nach dem Prinzip "wer hat, dem wird gegeben" - falls wir nicht bewußt gegensteuern.
Alles Neue baut auf Altem auf, neue Formen werden gebildet aus altem Stoff. Kinder orientieren sich bei ihren Spielen und sonstigen Zukunftsentwürfen an den "Gegebenheiten". Metaphern und Vergleiche, und seien sie noch so kühn, operieren ebenfalls mit "Gegebenheiten". Deshalb sind fast alle Metaphern und Vergleiche, die Personen involvieren, männlich fundiert, denn Männer besetzen die Tradition und die Öffentlichkeit, also denjenigen Teil der Realität, der sichtbar, "gegeben" ist.
Das Perfide an der ganzen Chose ist nun, daß Sprache und Denken metaphorisch strukturiert sind und daß ohne Metaphern offenbar überhaupt kein Denken, geschweige denn denkerischer Fortschritt möglich ist. Die Struktur und nötigenfalls die Umstrukturierung von Metaphern und Vergleichen gehen uns Frauen also ganz zentral an.
Metaphern und Vergleiche stellen eine Verbindung her. Die Verbindung, Gleichsetzung sollte neu, ungewohnt, überraschend sein und ist es auch manchmal. Die beiden Pole aber, die miteinander verknüpft werden, sind nicht neu. Sie sind gegeben, vertraut, bekannt, sonst hängt der Vergleich in der Luft. Nehmen wir die Metapher Achill, das Vieh. Die Gleichsetzung der beiden ist neu, aber die verknüpften Teile sind bekannt. Oder nehmen wir die Vergleiche: Eduard sieht aus wie eine Nonne/Kuh/Linsensuppe. Eduard sieht aus wie ein weiblicher Papst/der Papst auf weiblich. Das kann ich ohne weiteres sagen, aber nicht, Eduard sieht aus wie eine Päpstin/katholische Priesterin.
Die Beispiele zeigen, daß bei einem Vergleich die Kombination zwar seltsam bis phantastisch sein mag, daß aber das, was kombiniert wird, real sein muß. Metaphorisches Reden ist zwar "nur bildhaft", setzt aber Realität voraus. Einen "richtigen" Literaturpapst gibt es nicht, wohl aber einen "richtigen" Papst. Und da es keine Päpstin gibt, ist eine Literaturpäpstin auch schwer vorstellbar. Das heißt, sie wird uns nicht in den Schoß fallen - das verhindert sozusagen der Stoff, aus dem Metaphern (normalerweise) sind.
Die folgenden Hermaphroditen machen das sehr deutlich. Es geht um Vergleiche und Metaphern aus Bereichen, die nahezu ausschließlich von Männern geprägt wurden bzw. sind: (Feudal)Herrschaft inklusive Gefolgschaft und Rebellion, politische oder religiöse Agitation, usw. "Wie gesagt, meine nächstjüngere Schwester zog ich mir als Knappen heran [...] ich glaube, ich war kein Tyrann dabei oder Diktator. Ich brauchte einfach einen Zuhörer. Ich bin immer ein Proselytenmacher gewesen - einer, der Anhänger sucht, der seinen Glauben verbreitet. Ich möchte gerne andere überzeugen, ich erkläre gerne Sachen und gebe sie weiter, vielleicht wäre ich interessierten Kindern eine gute Lehrerin gewesen. Da war meine Schwester meine beste Zuhörerin, und eine dankbare und stille. Das heißt, ich brauchte keinen Gesprächspartner, ich brauchte einen Zuhörer." (aus: Imme de Haen: "Aber die Jüngste war die Allerschönste. Schwesternerfahrungen und weibliche Rolle." Fischer, 1983).
Daß hier eine Frau über sich spricht und kein Mann, merkt frau erst, wenn sie bei dem Wort Lehrerin angekommen ist... Knappe, Tyrann, Diktator - das sind alles Bezeichnungen für Männer. "Knappe" bezeichnet nicht nur den rein männlichen Beruf aus feudaler Zeit, es ist überdies eng verwandt mit "Knabe": das Wort "Knäppin" wäre also etwa so sinnvoll wie "Knäbin". Sie zog also ihre Schwester als "Knappen" heran. Wenn sie über einen Bruder gesagt hätte:"Ich zog ihn mir als Knappen heran", so wäre das auch metaphorisches Reden gewesen, aber die Metapher wäre in der historischen Realität verankert gewesen. Die Wörter Tyrannin und Diktatorin lassen sich zwar ohne weiteres bilden, aber sie sind so realitätsfern wie Bundeskanzlerin, Häuptlingin oder Päpstin, und es sollen mit diesen Bildern ja gerade "lebhafte, anschauliche Vorstellungen" hervorgerufen werden.
Aber es gibt noch andere Sprachgesetze. Es gibt, vor allem, die Kongruenzregel, die mit der soeben formulierten Metaphernregel im Streit liegt, weil sie sich nicht darum schert, ob es im wirklichen Leben Bundeskanzlerinnen, Dirigentinnen oder Päpstinnen gibt. Eine Frau kann nicht Kanzler werden, sondern nur Kanzlerin, Dirigentin, Päpstin, usw. - aus rein grammatischen Gründen. Es erinnert ein bißchen an Morgensterns Wiesel auf dem Kiesel im Bachgeriesel, das dort "des Reimes wegen" gesessen haben soll.
Entsprechend hätte ich "der Grammatik wegen" nur Schusterin werden können. Die Kongruenzregel wurde in den hier zusammengestellten Belegen, den Hermaphroditen, permanent verletzt. Ohne Verletzung der Kongruenzregel keine Hermaphrodite, sozusagen.
Wir sollten die Kongurenzregel wiederbeleben und einsetzen, wo immer es geht. Sie bietet uns eine elegante Möglichkeit zur Schaffung weiblicher Realität - sogar aus dem Nichts. Früher hieß es beispielsweise die Kirche als Grundherrin, einfach aus Gründen der Grammatik, die sich bis weit ins 19. Jahrhundert nach den Regeln des Lateinischen richtete. Weil die Kirche Femininum ist, wurde aus dem Herrn eine Herrin, obwohl es Grundherrinnen in Wirklichkeit kaum gab.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts orientiert man sich allerdings mehr an "der Wirklichkeit" als an der Grammatik. Es heißt heute eher:"Die Universität ist der größte Arbeitgeber am Ort." Nicht Arbeitgeberin, denn Arbeitgeberinnen - gibt's die überhaupt?
Feministinnen aber haben die alte Kongruenzregel begeistert aufgegriffen und wenden sie gerne an: "Ich fühle mich von vielen gehört, viele hatten mich verstanden, vielen hatte mein Buch geholfen - diese Resonanz war eine Energiespenderin für dieses Buch."(Senta Trömel-Plötz: "Gewalt durch Sprache", Fischer, 1984). Damit nicht genug werden mittels der "feministisch motivierten Motion" immer mehr Schwestern "einfach so" erschaffen: "Ratgeberin für Hungerstreikerinnen" (Kapitelüberschrift in Hannelore Schröders Buchmanuskript der Dokumentation ihres Hungerstreiks) oder "Veranstalterin: Frauenzentrum Baden" (Flugblatt zur Ankündigung eines Vortrags, Mai 84, Baden b. Zürich).
Literaturpäpstinnen, Energiespenderinnen, Ratgeberinnen, Klassikerinnen und unzählige andere spannende weibliche Gestalten fallen uns, wie gesagt, nicht in den Schoß - aber wir können sie uns einfallen lassen und sie im "wirklichen Leben" aufstellen neben all den Mannsbildern ...
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Luise Pusch: Sexualstraftäter (EMMA 10/1989)