Macron & Putin: Verraten worden?
Mitte November 2020 klingelte bei Ben Smith von der New York Times (NYT) das Telefon, dran war – der Präsident von Frankreich. Emmanuel Macron hatte, ungewöhnlich genug, selber zum Telefon gegriffen. US-Medien, allen voran die bei Linksliberalen meinungsführende NYT, hatten Macrons Vorgehen gegen den „politischen Islam“ scharf als „Islamophobie“ kritisiert.
Vor fünf Jahren, als Islamisten 130 Menschen in Paris ermordeten, hätte die westliche Welt ausnahmslos an der Seite Frankreichs gestanden, klagte Macron dem Kolumnisten. Jetzt aber, wo ein Lehrer vor seiner Schule und eine Betende in einer Kirche von Islamisten enthauptet worden seien, bedrohe ihn nicht nur die arabische Welt und Präsident Erdoğan, sondern kritisierten ihn auch West-Medien dafür, dass er dem „islamistischen Separatismus“ den Kampf angesagt habe.
Macron: Für sein Vorgehen gegen den politischen Islam als "Islamophob" kritisiert
Genau 21 Jahre zuvor, im November 1999, hatte sich ein anderer Präsident mit einer ganz ähnlichen Klage an die New York Times gewandt: Wladimir Putin. In einem Artikel für die NYT beklagte der russische Präsident das Unverständnis des Westens für seinen Kampf gegen die islamistische Radikalisierung der Tschetschenen. Vorausgegangen war, dass selbsternannte „Gotteskrieger“ in der russischen Föderation nicht nur den zweiten Tschetschenienkrieg angezettelt, sondern auch versucht hatten, die Zentralmacht in Moskau durch Terrorakte in Bedrängnis zu bringen. Die Terroristen hatten Hunderte von Menschen in einem Moskauer Wohnblock in die Luft gesprengt, ein Theater mit verminten (ferngezündeten) „Schwarzen Witwen“ besetzt und eine Schule in Geiselhaft genommen.
Reaktion des Westens? Schulterzucken und ein Raunen: „Vielleicht war das ja doch der KGB“ – ganz wie die Verschwörungstheoretiker nach 9/11. Dass Tschetschenien bereits 1993 (!) die Scharia eingeführt hatte – inklusive Kopftuchzwang und Steinigung von „Ehebrecherinnen“ – schien niemandem aufzufallen.
Seit langem nun gelten tschetschenische Söldner als die brutalsten Ausbilder des IS. Und auch Abdoulakh Azorov, der am 16. Oktober 2020 den Lehrer Samuel Paty enthauptete, ist ein in Frankreich aufgewachsener Sohn tschetschenischer Eltern. Der 18-jährige Mörder von Paty war über 90 Kilometer angereist und twitterte direkt nach der Tat: „Von Abdoulakh, Allahs Diener, an Macron, den Chef der Ungläubigen: Ich habe einen eurer Höllenhunde exekutiert, der gewagt hat, Mohamed zu erniedrigen.“
Putin: Unverständnis des Westens für seinen Kampf gegen islamistische Radikalisierung
Die „Erniedrigung“ des Propheten hatte darin bestanden, dass der beliebte Geschichtslehrer Paty seinen SchülerInnen anlässlich des Prozesses gegen die Attentäter von Charlie Hebdo die Karikaturen zeigte, die zehn Journalisten das Leben gekostet hatten. Der Lehrer wollte das zum Anlass für ein Gespräch über Meinungsfreiheit und Toleranz nehmen.
Nach der Enthauptung des Lehrers kündigte Macron umgehend „härteste Maßnahmen gegen den politischen Islam“ an. 231 Gefährder sollen ausgewiesen, verdeckt islamistische Organisationen verboten werden. Darunter das den Muslimbrüdern nahestehende, als „links“ geltende CCIF (Collectif contre l’islamophobie en France), das gerne im Namen des „Antirassismus“ und gegen „Muslimfeindlichkeit“ agiert.
Der Nährboden, auf dem die islamistischen Terroristen wachsen, soll nun ausgetrocknet werden. Allein in den ersten Tagen nach den Enthauptungen des Lehrers und der Betenden in der Kirche in Nizza wurden 80 Verfahren gegen Menschen eröffnet, die im Netz die Enthauptungen gebilligt oder gar bejubelt hatten.
Die Hatz im Netz gegen Paty war über neun Tage gegangen. Angefangen hatte der Vater einer seiner SchülerInnen. Die war allerdings an dem entscheidenden Tag gar nicht in der Klasse gewesen, sie hatte die Schule geschwänzt. Im Netz behauptet der Vater der Schülerin, Paty habe „zum Hass gegen alle Muslime“ aufgerufen (auch hierzulande ein beliebtes Totschlagargument gegen alle KritikerInnen des politischen Islam). Dem schloss sich umgehend das CCIF an und verkündete, es wolle „die Vorfälle untersuchen“; sowie ein einschlägig bekannter Imam und Hassprediger, Abdelhakim Sefrioui. Er erließ eine Art Fatwa gegen Paty.
Das erreichte den 18-jährigen Azorov in dem 90 Kilometer entfernten Evreux. Er machte sich auf den Weg. Hatte jemand Paty während der neuntägigen Hatz im Netz beigestanden? Nein. Im Gegenteil. Er wurde von der Polizei vernommen und ermahnt. Der denunzierende Vater der Schülerin aber wurde zusammen mit dem Hassprediger von der Schulleitung empfangen.
Samuel Paty: Seiner Ermordung ging eine neuntägige Hetze im Netz voraus
„Bis heute ist das Schweigen die Religion des Staates“, klagte daraufhin Schulinspektor Jean-Pierre Obin. Er hatte bereits 2004 einen alarmierenden Report veröffentlicht über das Eindringen der islamistischen Parallelgesellschaft in die staatlichen Schulen. Dort machten sie heute das Gesetz, aufgeklärte LehrerInnen und aufgeklärte MuslimInnen stünden mit dem Rücken zur Wand – ganz wie in Deutschland.
Und die Tschetschenen? Solche wie Azorov? „Sie waren bisher ein blinder Fleck auf unserer Terrorismuskarte“, erklärt der französische Sicherheitsdienst. Erstaunlich. Schließlich sind die Eltern des Mörders Teil einer Community, deren Radikalisierung seit Jahren unübersehbar ist.
In Deutschland warnten Verfassungsschützer erstmals 2018 vor „gewalttätigen Islamisten aus Tschetschenien“, in einer „mittleren, dreistelligen Zahl“ – 25 Jahre nach Einführung der Scharia in dem Land. Wann wohl tritt der erste aus diesen Kreisen hierzulande zum Köpfen an?
Doch wenn erst Tote da liegen, ist es eh zu spät. Der Terrorismus ist ja nur die Spitze des Eisberges des politischen Islams. Letzterer treibt sein Unwesen seit einem Vierteljahrhundert auch in Deutschland, ging Mitte der 1990er Jahre im Westen in die Offensive. Seither lassen Politik und Medien die Islamisten weitgehend gewähren, aus Angst vor dem Vorwurf des „Rassismus“ und im Namen der „Religionsfreiheit“ (Merkel). Als ginge es hier um Glauben – und nicht um eine totalitäre, rechte Ideologie.
Schariagläubige Islamverbände fördern Antiaufklärung und Parallelgesellschaften
Diese Kräfte agitieren nicht nur im Netz. Auch in ihrer legalistischen Variante vergiften sie die Köpfe. In Deutschland fördern allen voran schariagläubige Islamverbände Antiaufklärung und Parallelgesellschaften. Sie machen aufgeklärten MuslimInnen das Leben schwer und verhindern die Integration. Dennoch sind ausgerechnet diese Verbände noch immer die „Dialogpartner“ von Politik und Gesellschaft. In Innenminister Seehofers „Islamkonferenz“ haben sie inzwischen die säkularen MuslimInnen verdrängt und geben den Ton an (Der Deutsch-Ägypter Hamed Abdel-Samad ist deswegen unter Protest aus der Islamkonferenz ausgetreten, siehe emma.de/islamismus).
Solange sich das nicht ändert, wird der international organisierte Islamismus auch hierzulande weiter an Terrain gewinnen – und müssen auch wir uns auf zukünftige Terroranschläge gefasst machen. Für letzteres braucht es noch nicht einmal mehr einen Lastwagen oder Sprengsätze. Ein Schlachtermesser genügt. Überall. Jederzeit. Da schützen keine Polizisten und auch kein Absperrgitter – es schützen nur Aufklärung, Umdenken und ein konsequenter Kampf gegen den Islam-Faschismus in allen seinen Facetten. Seite an Seite mit den bedrohten, nicht-fundamentalistischen MuslimInnen. So, wie Präsident Macron es gerade versucht.
ALICE SCHWARZER