Unterhaltsreform, eine Katastrophe!

Foto: Oliver Mengedoht/Funke Foto Services/IMAGO
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Wie kann ein Minister so eklatant die Lebensrealität von Alleinerziehenden ausblenden?“ – „Erst das Fiasko um die Kindergrundsicherung, nun werden Alleinerziehende auch noch geschröpft und noch weiter entrechtet!“ – „Wem will Marco Buschmann da eigentlich Geschenke machen?“ – Alleinerziehende Mütter fassen sich in diesen Tagen an den Kopf. Mit großer Sorge sehen sie eine Reform auf sich zurasen, die viele von ihnen in finanzielle Bedrängnis bringen wird.

Im August 2023 hatte der Bundesjustizminister Eckpunkte für eine Reform des Unterhaltsrechts vorgestellt. Noch zu Ende des Jahres soll der Gesetzentwurf veröffentlicht werden. Ziel ist es laut FDP, das Gesetzgebungsverfahren noch vor der nächsten Bundestagswahl abzuschließen. Jetzt wird es also ernst, was konkret droht, sind Kürzungen der Unterhaltszahlungen an Mütter und ein Gezerre um die Betreuungszeiten des Vaters. Im Klartext: Wenn Papi beim Unterhalt sparen will, muss er sich nur ein bisschen mehr in die Betreuung „einbringen“. Buschmann reichen 29,5 Prozent in der Betreuungszeit des Vaters. Ein Schlag ins Gesicht für Frauen.

Alleinerziehende, das sind in Deutschland vor allem Mütter. 2,2 Millionen Kinder wachsen in einer „Ein-Eltern-Familie“ auf, davon 88 Prozent bei ihren Müttern. Rund 700.000 Väter kommen ihrer Unterhaltspflicht überhaupt nicht nach. Nur jede vierte Alleinerziehende erhält regelmäßig den ihr zustehenden Mindestunterhalt. Dreiviertel erhalten entweder überhaupt keinen oder nur unregelmäßige Zahlungen.

Manche Mütter verzichten sogar freiwillig darauf, weil sie Angst vor Repressalien durch den Vater haben. Etwa, wenn Gewalt in der Ehe oder gegen das Kind der Scheidungsgrund war.

„Diese Zahlen scheint die FDP nicht zu kennen!“, wundert sich Sybille Möller, die Vorstandsvorsitzende der „Mütterinitiative für Alleinerziehende“ (MIA). Jedes zweite Kind im Bürgergeldbezug kommt aus einer Ein-Eltern-Familie. Mütter müssen ein zwölfjähriges Kind mit vier Euro am Tag satt bekommen.

„Die geplante Reform wird das verschärfen“, so Möller und sie erklärt: „Wenn der Vater die 30 Prozent eingeklagt hat, sein Umgangsrecht aber nicht im eingeklagten Umfang wahrnimmt, steht die Mutter mit einem deutlichen Loch im Familienbudget da und hat dennoch die Kinder zu versorgen. Sie müsste dann auf Abänderung des Unterhalts klagen. Das kostet Nerven, Zeit und Geld. Von allem hat sie zu wenig.“

Die geplante Reform verlagert damit Fragen des Unterhalts in den Bereich des Umgangsrechts. Ein Vater, der an Unterhalt sparen möchte, kann nun 30 Prozent Mitbetreuung einklagen. „Anders als die 50 Prozent im Wechselmodell wird er das höchstwahrscheinlich auch durchsetzen können, denn der Gesetzgeber hat das Umgangsrecht des Vaters als „kindeswohldienlich“ normiert. Selbst Gründe wie Gewalt in der Ehe werden dem in aller Regel untergeordnet“, weiß Möller.

FamilienrichterInnen erwarten zusätzliche Streitigkeiten zwischen den Kindeseltern, ob 29 oder 30 Prozent bzw. 49 oder 50 Prozent Betreuung stattfindet. Denn: Wer will das genau bemessen? Gilt das Parken vor dem Fernseher auch als Betreuungszeit? „Grundsätzlich wäre es ja zu begrüßen, wenn Väter sich mehr um das Kind kümmern würden. Und einige wenige wollen und machen das auch wirklich paritätisch. Die übergroße Mehrheit der Fälle aber sieht anders aus“, sagt Heidi Thiemann von der Stiftung „AlltagsheldInnen“, die sich für alleinerziehende Mütter einsetzt. „Die Leidtragenden werden die Kinder sein.“

Die Stiftung „Alltagsheldi:nnen“, die „Mütterinitiative für alleinerziehende Mütter“ sowie die Initiativen „Solomütter.de“ und „Fair für Kinder e.V.“ haben erst kürzlich einen Offenen Protestbrief zum Debakel der Kindergrundsicherung an die Bundesregierung und an Familienministerin Lisa Paus (Grüne) geschickt. Finanzminister Christian Lindner (FDP) erwiderte, es sei „eine beklagenswerte Tatsache, dass die Erwerbsbeteiligung von Alleinerziehenden im vergangenen Jahrzehnt trotz des Ausbaus der Kinderbetreuungsstruktur zurückgegangen ist. Wir wollen nicht zusätzliche Anreize geben, sich nicht um Arbeit zu bemühen.“ Paus hat Lindner nicht widersprochen.

Da war es wieder, das Klischee der alleinerziehenden Mutter, die es sich in der sozialen Hängematte gemütlich macht. Soll das heißen, alleinerziehende Mütter seien zu faul, arbeiten zu gehen? Thiemann: „Im Gegenteil! Die Erwerbstätigkeit alleinerziehender Mütter mit Kindern unter 18 Jahren ist im vergangenen Jahrzehnt beständig gestiegen und lag 2020 bei 72 Prozent!“ Hinzu kommt: Alleinerziehende können oft gar nicht voll berufstätig sein, weil es an der nötigen Infrastruktur in der Kinderbetreuung mangelt. 2023 fehlten in Deutschland 378.000 Kitaplätze, vor allem im Westen.

Heidi Thiemann macht ihrem Ärger Luft: „Diese Reform begünstigt insbesondere die Interessen der gutverdienenden FDP-Wählerschaft. Sie ist ein klares Zugeständnis an Männerinteressen zulasten von Frauen und Kindern!“

Recherchen von „Correctiv“, einem gemeinnützigen Recherchenetzwerk, belegen reges Lobbying von Väterrechtlern im Justizministerium und bei der FDP (auch EMMA berichtete in der letzten Ausgabe darüber). „Diesen Männerbünden verdanken wir bereits heute erzwungene Gesetzesänderungen im Familienrecht, die zur eklatanten Verschlechterung der Rechte von Müttern geführt haben!“ Diesen Backlash werde die Unterhaltsreform nicht aufhalten, sie werde ihn sogar weiter vorantreiben, beklagen die Expertinnen.

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