Raser im Verkehr: Mann am Steuer
Kürzlich spülten mir digitale Algorithmen den eigenwilligen Kommentar eines bekennenden Porsche-Fans auf den Schreibtisch. Es ging in dem Beitrag um aggressives Verhalten im Straßenverkehr und der Sportwagenfahrer versuchte es mit einem konkreten Lösungsvorschlag. Man könne doch die linke Spur exklusiv für Autos mit mindestens 300 PS reservieren, gekoppelt mit einer Mindestgeschwindigkeit von 180 km/h. Wer mindestens zweimal gegen die Regel verstößt, bekomme den Führerschein auf Lebenszeit entzogen. Niemand müsse sich dann mehr über die Drängler auf der linken Spur aufregen und die vielen Führerscheinentzüge hätten mittelfristig sogar eine Reduktion der Schadstoffe zur Folge.
Der groteske Vorschlag mutet an wie die auf die Spitze getriebene maskuline Dominanz im deutschen Straßenverkehrswesen. Solche Männerträume sind allerdings nicht aus der Luft gegriffen. Es gibt vielfältige Belege dafür, wie stark besonders die Automobilität von Männern beherrscht, gestaltet und priorisiert wird. Die Ursache ist eine seltsame, scheinbar magnetische Anziehungskraft auf Männer, sobald die autonome Fortbewegung mit großen, lauten und statusaufgeladenen Fahrzeugen ins Spiel kommt.
Seinen Anfang nimmt das Phänomen in der Verkehrspolitik, dem patriarchalen Unterbau einer blockierten Mobilitätswende. Seit Gründung der Bundesrepublik gab es tatsächlich noch nie eine Verkehrsministerin und nur 15 Prozent Staatssekretärinnen. Im Verkehrsausschuss des Bundestages sind nur 20 Prozent Frauen vertreten. Es ist also nicht verwunderlich, dass ein derart ungleiches Geschlechterverhältnis eine Verkehrspolitik befördert, die aus Männerperspektive gestaltet wird. Folge sind eine Vielzahl geschlechterungerechter Subventionen wie beispielsweise das Dienstwagenprivileg, die Entfernungspauschale oder das Dieselprivileg. Alles Felder, die deutlich häufiger von Männern in Anspruch genommen werden.
Erster Profiteur dieser männerzentrierten Verkehrspolitik ist die mit der Verkehrspolitik eng verbundene Automobilindustrie. Es ist bekannt, dass die einstige deutsche Vorzeigebranche in der Klimakrise die dringend notwendige Transformation mutwillig verschleppt hat. Statt auf emissionsfreie und funktionale PKW zu setzen, produziert die Autorindustrie bis heute immer größere und leistungsstärkere Boliden. Der FAZ-Journalist Edo Reents schrieb im vergangenen Jahr, dass „eher ein Kamel durchs Auspuffrohr gehen würde, als dass diesen Brummern ein Haar gekrümmt würde“.
Verantwortlich für die Fehlentwicklung sind Männerbünde in den Aufsichtsräten und vor allem Vorstandsetagen der großen Konzerne in Wolfsburg, Stuttgart und München. In den obersten Führungsgremien aller Marken des Volkswagenkonzerns sitzen tatsächlich nur 11 Prozent Frauen. Bei der Mercedes-Benz-Group sind es immerhin 16 Prozent. Hier wird sogar die Mercedes-Tochter Daimler Trucks von Karin Rådström als einziger weiblicher CEO geführt. Bei knapp acht Prozent Frauenanteil in den Vorständen und Geschäftsführungen landet man allerdings bei den Markentöchtern der BMW Group aus München.
Flankiert wird dieser Schulterschluss zwischen maskuliner Verkehrspolitik und anachronistischer Autoindustrie von männlich dominierten Lobbyverbänden, Bundesbehörden und Forschungseinrichtungen. So gibt es beim einflussreichen ADAC, Europas größtem Verein mit über 22 Millionen Mitgliedern (mittlerweile mehr als die katholische Kirche), sowohl im Vorstand als auch im Präsidium keine einzige Frau. Man mag es kaum glauben. Nur im 18-köpfigen Verwaltungsrat, der sich aus den Vorsitzenden der eigenständigen Regionalclubs zusammensetzt, dürfen zwei Frauen sitzen.
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat e. V. (DVR) ist damit beauftragt, durch Kommunikationskampagnen die Sicherheit auf deutschen Straßen zu erhöhen. Finanziert wird der DVR vorwiegend vom Bund sowie den öffentlichen Unfallkassen. Im Präsidium der Organisation beträgt der Frauenanteil 25 Prozent und im mächtigen 35-köpfigen Vorstand sogar nur 14 Prozent. Im Übrigen sitzen in dem Gremium acht Lobbyisten der Automobilindustrie und jeweils nur eine Person, die für zu Fuß gehende oder Fahrradfahrende Menschen ihre Stimme erhebt. Autoland Deutschland eben.
Das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg erfasst Jahr für Jahr die Zulassungszahlen nach Leistungsklassen. In der höchsten Kategorie, hier werden PKW mit über 2.000 Kubikmeter Hubraum gezählt, liegt der Männeranteil bei knapp 80 Prozent. Betrachtet man einzelne Autotypen, kann man pauschal festhalten, dass die Männerquote durchweg mit steigenden PS überproportional ansteigt. Das gipfelt dann bei einem Anteil von nur 1,7 Prozent Frauen als Halterinnen beim über 1.000 PS (!) starken Ferrari SF 90 Stradale.
Überdurchschnittlich viele Männer am Steuer von besonders leistungsstarken PKWs bilden sich folgerichtig irgendwann auch in den Statistiken der Verkehrsverstöße sowie der Unfallzahlen ab. Wer ein PS-Monster besitzt, will es bitte auch ausreizen.
Wie absurd allerdings die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in solchen amtlichen Datensätzen ausfallen, überrascht sogar manchen Verteidiger des Patriarchats. Hier nur ein kleiner Ausschnitt aus dem schier unerschöpflichen Datenschatz aus Flensburg: Über 92 Prozent aller Führerscheinentzüge im Jahr 2022 entfallen auf Männer! 91 Prozent der meist lebensgefährlichen Überholverstöße werden von Männern begangen und es sind auch knapp 93 Prozent Männer, die die verbotenen Radarwarngeräte einsetzen.
Die Zahlen der Unfallstatistik räumen endgültig mit dem Mythos auf, Männer wären die besseren Autofahrer. Wird ein Mensch im Straßenverkehr durch einen PKW getötet, dann saß in 79 Prozent der Fälle ein Mann als Hauptverursacher am Steuer. Stand dieser Hauptverursacher unter Alkoholeinfluss, liegt der Männeranteil sogar bei traurigen 95 Prozent.
Warum ist das so? Es bleibt abschließend der Versuch, diese Frage wenigstens ansatzweise zu beantworten. Es sind die ungesunden Geschlechterrollenbilder, die Jungs und Männern in unserer Gesellschaft immer noch eingeimpft werden. Strebe nach Autarkie, nach Status und Stärke. Lebe risikoorientiert und überflügle deine Wettbewerber im notwendigen Konkurrenzkampf. Das laute, große und leistungsstarke Automobil, das den Mann wie eine Ritterrüstung umschließt, scheint die Bedürfnisse dieser so geprägten „echten Männer“ zu erfüllen.
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Boris von Heesen: Mann am Steuer. Wie das Patriarchat die Verkehrswende blockiert (Heyne, 18 €)