March for Our Lives: Starke Mädchen!

Emma Gonzales und Naomi Wadler (mitte)
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4 Minuten und 25 Sekunden Schweigen reichten aus, um die mächtigste Lobby der Welt – die US-Waffenlobby NRA – ins Wanken zu bringen. 4 Minuten und 25 Sekunden stand die Schülerin Emma Gonzales schweigend auf der Bühne, die Haare kurz geschoren, die Jeans zerrissen, während ihr die Tränen das Gesicht herunterliefen.

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Emma Gonzales, 17, hat das tödliche Schulattentat an der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland, Florida, am 14. Februar überlebt. Viele ihrer Freundinnen und Freunde nicht. „Es brauchte nur etwas mehr als sechs Minuten, um 17 Freunde von uns zu nehmen, 15 zu verletzen und jeden, wirklich jeden in der Douglas-Gemeinschaft für immer zu verändern. Jeder, der dabei war, versteht, was das heißt. Jeder, der auch nur einmal von dem kalten Atem der Waffengewalt gestreift wurde, versteht, was gemeint ist“, ruft Emma Gonzales von der Bühne in Washington. Sie spricht nur knapp zwei Minuten. Dann schweigt sie, minutenlang, bis diese etwas mehr als sechs Minuten verstrichen sind. Die Menschen in Publikum halten sich in den Armen und weinen. Irgendwann rufen sie in die bleierne Stille von Emmas Schweigen: „Never again, never again!“ Niemals wieder.

https://www.youtube.com/watch?v=hDEc4ImIVHk

Emma Gonzales ist das Gesicht einer Bewegung geworden, die inzwischen ganz Amerika erfasst hat. Sie heißt „March for Our Lives“ und wird von Schülern angeführt. Vor allem: Von Schülerinnen. Junge Frauen, die für schärfere Waffengesetze in ihrem Land kämpfen. Und damit auch: für ihre Zukunft. Der Todesschütze Nicolas Cruz, der sich am Valentinstag 2018 von einem Uber-Fahrer zu seiner ehemaligen Schule bringen ließ, den Feueralarm auslöste und losballerte, war gerade mal 19 Jahre alt. Er darf in den USA nicht einmal ein Bier kaufen. Aber eine tödliche Knarre.

Auch Naomi Wadler, 11 Jahre alt, sprach an diesem Tag zu den Hunderttausenden, die durch Washington zogen. Sie hat die Gedenkveranstaltung für die Parkland-Opfer an ihrer Grundschule in Alexandria, Virginia, organisiert. Die Schüler gingen für 18, nicht für 17 Minuten nach draußen und gedachten der Opfer. Eine Minute für jedes Opfer aus Parkland. Und eine weitere für Courtlin Arrington, ein afro-amerikanisches Mädchen, das kurz nach dem Attentat in Florida an ihrer Schule in Alabama erschossen wurde. „Ich bin heute hier, um an die vielen afro-amerikanischen Mädchen zu erinnern, deren Schickale es nicht auf die Titelseiten der Tageszeitungen schaffen! Deren Stories nicht in den Abendnachrichten laufen. Die nicht mehr sind als eine Nummer in einer Statistik.“

https://www.youtube.com/watch?v=C5ZUDImTIQ8

„Ich habe einen Traum!“, ruft auch die neunjährige Yolanda von der Bühne. Den Satz hat sie bei ihrem berühmten Großvater ausgeliehen, dem Bürgerrechtler Martin Luther King, der vor 55 Jahren fast an der gleichen Stelle von der Beendigung der Rassentrennung in Amerika träumte. Seine Enkelin Yolanda Renee träumt von einer „waffenfreien Welt“. Sie ruft: „Enough is enough!“ Und dann: „We are going to be a great generation!” Wir werden eine großartige Generation sein!

https://www.youtube.com/watch?v=TvskFQN-4eY

US-Präsident Trump schweigt zu den Protesten.

In der nächsten EMMA: Emma Gonzales im Porträt - ab 26. April im Handel.

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Frauenhass betrifft #YesAllWomen

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“Morgen ist der Tag, an dem ich meine Rache an der Menschheit verüben werde. Seit ich in der Pubertät bin, bin ich gezwungen in Einsamkeit, Ablehnung und unerfülltem Begehren zu leben. Mädchen haben mit anderen Männern geschlafen oder sie geliebt, aber ich ging leer aus. Ich bin 22 Jahre alt und noch immer Jungfrau. Ihr Mädchen habt euch nicht für mich interessiert. Ich weiß nicht, warum. Ich werde euch alle dafür bestrafen.“

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So hat es Elliott Rodger aus Santa Barbara in seinem Abschieds-„Manifest“ verkündet. Inzwischen hat er seine Drohung wahrgemacht. Am Freitagabend hat der 22-jährige Student und Sohn des Hollywood-Regisseurs Peter Rodgers sechs Menschen – drei Frauen und drei Männer – getötet und 13 weitere verletzt.

Zunächst erstach er drei Kommilitonen in seiner Wohnung, dann ging er zum „Alpha Phi“-Studentinnenwohnheim und erschoss zwei Frauen und verletzte eine dritte. Danach schoss er aus seinem Auto „auf all die beliebten Kids“, die immer auf ihn herabgeschaut hätten.

An seinem Motiv hatte Rodger keinen Zweifel gelassen. „Ich bin der perfekte Mann, und ihr werft euch trotzdem diesen ganzen anderen dämlichen Typen an den Hals. Am Tag meiner Rache werde ich ins Gebäude der schärfsten Studentinnenverbindungen meiner Uni gehen, und ich werde jede einzelne blonde, verwöhnte Schlampe abschlachten, die ich dort sehe.“

Es ist nicht der erste Amoklauf mit dem Motiv Frauenhass. Aber es ist der erste, bei dem dieses Motiv nicht entweder unter den Teppich gekehrt oder als Randaspekt behandelt wird. Unter #YesAllWomen twittern jetzt Frauen (und Männer) aus aller Welt darüber, was bis dato stets unerwähnt blieb: Dass das Thema Geschlecht bei fast allen Amokläufen eine entscheidende Rolle spielt.

„Ich will die Frauen!“ hatte Marc Lépine gebrüllt, als er am 6. Dezember 1989 die Polytechnische Hochschule von Montréal stürmte und 14 Frauen erschoss. In mehreren Räumen der Uni hatte der 25-Jährige die Studentinnen von den Studenten getrennt und dann gezielt die Frauen ermordet. „Ich hasse Feministinnen!“ hatte der beruflich gescheiterte Sohn eines algerischen Vaters und einer kanadischen Mutter gerufen.

Im Herbst 2006 überfiel je ein Mann eine Amish-Schule in Pennsylvania und eine weitere in Colorado. Beide Male trennte der Täter die Mädchen von den Jungen und brachte sechs Mädchen um und verletzte fünf weitere. Aber: „Die breite Berichterstattung in den Medien hielt die Tatsache, dass nur Mädchen angegriffen wurden, für kaum erwähnenswert. Stellen wir uns nur einmal vor, der Killer wäre in eine Schule marschiert und hätte die Kinder nach Rasse oder Religion aufgeteilt“, schrieb damals der schwarze New York Times-Kolumnist Bob Herbert in EMMA. „Der Angriff wäre als das verurteilt worden, was er wirklich war: ein Hassverbrechen.“ (Hate Crime)

Als am 11. März 2009 der 17-jährige Tim K. in Winnenden in seiner ehemaligen Schule Amok läuft und dort elf von zwölf seiner Opfer, die er mit gezielten Kopfschüssen hinrichtet, Mädchen sind, erwähnen die Medien das ebenfalls mit keinem Wort. Als EMMA die Frage aufwirft, ob es sich auch hier um das Motiv Frauenhass gehandelt haben könnte, erntet sie nur Ignoranz und Häme.

Es ist, als säßen wir im Bauch eines Walfisches. Mittendrin, da, wo der gewaltige Fisch selbst nicht zu sehen ist, sondern nur eine diffuse Undurchdringlichkeit“, schreibt Alice Schwarzer. „Anders lässt es sich nicht erklären, dass ein Amokläufer in einer Schule gezielt zwölf Menschen töten kann, von denen elf weiblich sind und der zwölfte als ‚Frauenversteher’ gilt, aber niemand es sieht. Und was das vollends Beklemmende ist: Nicht nur die Medien wollen es nicht wahrhaben – auch die Polizei und die ermittelnde Staatsanwaltschaft schließt fest die Augen.“

Am 22. Juli 2011 ermordet Anders Breivik in Oslo und auf der Insel Utoya 77 Menschen. In einem 1500-seitigen Manifest hatte Breivik unter anderem erklärt, das er das „Patriarchat wiedererrichten“ will. Denn: „Das Erstarken des Feminismus bedeutet das Ende der Nation und das Ende des Westens.“ Breivik erklärt der „Verweiblichung“ der westlichen Männer und der „Wahlfreiheit der Frauen“ den Krieg. Aber davon ist in den Medien kaum die Rede.

„Über den Fremdenhass von Massenmörder Breivik haben wir viel gelesen – aber auffallend wenig über sein Lieblingsthema: die Frauen“, schreibt EMMA.

Nach seinem Amoklauf am Freitag hat Elliott Rodger sein Motiv so unmissverständlich benannt, dass selbst die Medien nicht mehr wegsehen konnten. Und auch die Frauen schauen nun endlich hin und machen die Kultur der Gewalt gegen Frauen zum Thema, die den Boden für solche Attentäter bereitet. #Yesallwomen ist die Antwort auf den Hashtag #Notallmen: Es seien schließlich nicht alle Männer Gewalttäter. Soraya Chemaly entgegnet: „#notallmen practice violence against women but #YesAllWomen live with the threat of male violence. Every. Single. Day. All over the world.“

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