Vestager: Eier für Brüssel
"Madame Cojones“, die Frau, die Eier hat. So wird Margrethe Vestager in Brüssel genannt. Google, Facebook, Apple, Amazon – sie alle hat sie da gepackt, wo es weh tut – bei den Steuern. Nachzahlungen, Kartellbußen in Milliardenhöhe wurden dank ihrer Aktivitäten fällig. Von Donald Trump wird die „tax Lady Europas“ „wirklich gehasst“.
"Die gläserne Decke zerstören und Türen eintreten."
Vestager genießt das. Sie hat erreicht, dass Europa nicht mehr wehrlos scheint gegenüber den Tech-Giganten, hat uns ein neues Selbstbewusstsein gegeben. Aktuell heißt es für die 50-jährige Dänin und bekennende Feministin: Alles oder nichts. Ganz hinauf auf die Stelle des bisherigen EU-Kommissionspräsidenten Juncker oder ganz hinaus aus dem Parlament. Denn Vestager kandidiert für die Nachfolge Junckers. Sie wäre damit die erste Frau. Das gefällt ihr. „Frauen müssen die gläserne Decke zerstören und Türen eintreten“, sagt sie oft. Sie kämpft für eine selbstbewusstere Sprache von Frauen, selbstverständlich steht sie auch hinter der #MeToo-Bewegung.
Die Entscheidung, ob sie das Amt bekommt, soll noch vor dem Sommer fallen. 20 Prozent aller WirtschaftsvertreterInnen, BeamtInnen, BeraterInnen, PolitikerInnen und JournalistInnen würden sie laut einer Umfrage unter EU-Stakeholdern wählen. Der deutsche EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber (CDU) bekam nur vier Prozent. Vestagers Team muss stapelweise Autogrammkarten verschicken. Ein Grund für die Begeisterung liegt im Charisma der Dänin, in ihrem Kampfgeist, ihrer klaren Haltung in einer Zeit der politisch korrekten Schwurbelei.
Vielen scheint es so, als brächte mit ihr endlich jemand Stabilität in die Großbaustellen der Globalisierung. „Ich spreche schon aus Prinzip nicht mit Lobbyisten“, sagt sie. Sie spricht nur mit Firmenchefs – und zwar nach ihren Regeln. Mächtige Männer, die es sonst gewohnt sind, von der EU umschmeichelt zu werden, müssen manchmal monatelang auf einen Termin mit ihr warten. Vor ihrer Vernehmung dürfen sie sich die Fotogalerie in ihrem Büro anschauen. Ausschließlich Familienbilder stehen dort, von ihrem Ehemann, dem Lehrer Thomas Jensen, mit dem sie seit 24 Jahren verheiratet ist, von ihren drei Töchtern und von ihrem Golden Retriever Karlo. So menschlich, die Frau. Dann schlägt sie zu. Ganz unaufgeregt, gern in Kleid mit Turnschuhen. „Diskussionsfreude und Souveränität“ hätten ihr ihre Eltern mit auf den Weg gegeben, sagt die Pastorentochter. Sie ist die älteste von vier Geschwistern und geprägt von ihrer freien Kindheit im dänischen Westjütland. Werte wie Standfestigkeit, Disziplin, Zuverlässigkeit und Verantwortung hält sie hoch. Sie mag Macht, aber nicht um ihrer selbst willen, sondern um damit etwas zu bewegen.
Mit 21, da war sie noch Ökonomiestudentin in Kopenhagen, stieg sie bei den Sozialliberalen ein, und seither ist Politik ihr Beruf. Mit 29 Jahren wurde sie Ministerin für Erziehung und Religion, die jüngste in der dänischen Geschichte. Und die erste, die im Amt Mutter wurde.
Vestager war schon in Kopenhagen ein solches Faszinosum, dass sie als Vorlage für „Borgen“ diente, den dänischen Serienknüller, der in drei Staffeln die „gefährlichen Seilschaften“ einer Politikerin auf dem Weg ins Amt der Ministerpräsidentin schildert. Die Hauptdarstellerin hatte Vestager zur Inspiration einen Tag lang begleitet.
"Die EU sorgt für
mehr Schutz
für ihre BürgerInnen.“
Seit 2014 spielt „Borgen“ live in Brüssel, denn im „Team Juncker“ ist Margrethe Vestager erst richtig durchgestartet. Die übrigen 27 EU-KommissarInnen sind außerhalb von Brüssel ein Trupp der Namenlosen.
Mit Emmanuel Macron, der sie schon seit Jahren umflötet, teilt sie die gleiche grundsätzliche Leidenschaft für Europa. Sollen die Briten halt austreten, Vestager ist überzeugt: Das Brexit-Debakel schweißt den Kontinent zusammen. Und zusammen müsse man die großen Themen angehen: Klima, digitale Sicherheit, Migration. „Die EU sorgt für mehr Fairness, mehr Gerechtigkeit, mehr Schutz für ihre BürgerInnen“, lautet ihre Botschaft. Mit anderen Worten: Die EU kann liefern. Margrethe Vestager nimmt man es ab. Vestager kann liefern!