Maria Kolesnikova vor Gericht
Das Herz ist ihr Markenzeichen. Selbst als sie es nach ihrer Verhaftung nicht mehr zeigen konnte, blieb es in den sozialen Medien präsent. Zum Beispiel in einer Zeichnung auf Instagram, die Maria Kolesnikova als eine Art Jeanne d’Arc in Ritterrüstung vor der weiß-rot-weißen belarussischen Flagge zeigt, lächelnd und die Hände zu einem Herzen geformt.
Die drei Frauen, die zu Galionsfiguren der Massenproteste gegen Europas „letzten Diktator“ geworden sind, hatten sich die symbolischen Gesten aufgeteilt: Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja die geballte Faust, Veronika Zepkalo das Victory-Zeichen und Maria Kolesnikova eben das Herz. Das hielt sie auch den vermummten Polizisten entgegen, die die Frauenproteste niederschlagen sollten, es aber zunächst nicht recht wagten.
Diese weiß gekleideten Frauen, die den bewaffneten Männern Blumen an ihre schwarzen Uniformen steckten, wären peinliche Opfer von Polizeigewalt gewesen, zumal in einem Land, in dem der schnauzbärtige Macho-Präsident gern darüber schwadroniert, seine Sache „unter Männern ausmachen“ zu wollen. Doch es rächte sich, dass Aleksander Lukaschenko Frauen nicht ernst nimmt. Denn jetzt muss er die Sache mit Frauen ausmachen.
Nachdem Lukaschenko drei Männer hatte verhaften lassen, die bei den Präsidentschaftswahlen am 9. August 2020 gegen ihn antreten wollten, stiegen kurzerhand deren Frauen in den Ring. Eine davon ist Maria Kolesnikova. Wobei die hochgewachsene Frau mit dem platinblonden Kurzhaarschnitt, die als Hobbys Kickboxen und Surfen angibt, nicht die Ehefrau eines inhaftierten Oppositionellen ist wie die anderen beiden der „drei Schwestern“.
Kolesnikova war Stabschefin von Viktor Babariko gewesen, dem Direktor der Belgazprombank, dessen Bewegung sich die Musikerin angeschlossen hatte. Die 38-jährige Flötistin und Dirigentin hatte ihre Ausbildung am Minsker Konservatorium begonnen. Vor zwölf Jahren ging sie nach Stuttgart und studierte dort Alte und Neue Musik. Sie pendelte zwischen beiden Städten, noch im Frühjahr wirkte sie beim Stuttgarter Eclat- Festival für Neue Musik mit, sah ihren Platz dann aber in ihrer Heimat, im Zentrum der Proteste. „Es macht mich als Künstlerin ein bisschen traurig, dass ich gerade nicht weitermachen kann. Aber ich weiß: Es ist jetzt wichtig und notwendig, dass ich in Belarus bin“, erklärte sie eine Woche nach den mutmaßlich gefälschten Präsidentschaftswahlen.
Wenige Tage später antwortete die Widerständlerin Claus Kleber im heute journal auf seine Frage, ob man sich „Sorgen um Ihre Sicherheit“ machen müsse: „Ich spüre mich komplett in Sicherheit.“ Die „Stimme des belarussischen Volkes“ gebe ihr „Kraft und das Gefühl, wir sind alle zusammen“.
Drei Wochen später wurde Maria Kolesnikova laut Augenzeugen in einen Wagen gezerrt und zur ukrainischen Grenze gebracht. Sie sollte, wie ihre beiden Mitstreiterinnen, das Land verlassen. Das war das erste Mal, dass sie – die bei den Demonstrationen stets eindringlich dafür plädiert hatte, friedlich zu bleiben – Gewalt anwandte: Sie zerriss ihren Pass. Seitdem sitzt sie in Untersuchungshaft.
Bei den anschließenden samstäglichen Frauen- Demonstrationen, die inzwischen ob ihrer Schlag- und Strahlkraft, die man in Belarus vormals nur Männern zugetraut hätte, genderneutral niedergeknüppelt werden, skandieren Tausende Teilnehmerinnen: „Bringt unsere Mascha zurück!“
Diktator Lukaschenkos Strategie, „Mascha“ als abgehobene Künstlerin zu diskreditieren, die das Leben der normalen Leute nicht kennt, hat nicht gefruchtet. „Jeder Belarusse weiß, wie man Kartoffeln anbaut. Das weiß ich auch“, sagt Maria Kalesnikowa. Sie verbringe schließlich „jeden Sommer in der Datscha meiner Großeltern“. Und auch die Zeiten, in denen man sie als Feministin verunglimpfen konnte, sind vorbei: „Das ist ein riesiger Fortschritt“, sagt Kolesnikova. „Belarus ist sehr patriarchal. Feminismus ist quasi ein verbotenes Wort. Das kehrt sich gerade komplett um.“