Unsichtbares sichtbar machen

Foto: Sepp Dreissinger
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Sie war eine Jahrhundertkünstlerin und ein Mensch voller Widersprüche. Sie verband Leidenschaft mit Lakonie, heiligen Ernst mit ironischer Distanz – in Bezug auf ihre Arbeit wie auf sich selbst. Wobei man bei der Österreicherin noch weniger eine Grenze zu ziehen vermag zwischen Kunst und Leben als bei anderen KünstlerInnen, hat sie sich doch zumeist selbst zum Gegenstand ihrer Werke gemacht.

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Welcher Mensch steht hinter diesen Werken? Die erste Biografie nimmt man mit Freude, aber auch ein wenig Furcht in die Hand. Würde die Biografin der komplexen Persönlichkeit gerecht werden, die man hinter den Bildern vermutet? Und würde sie das Geheimnis ihrer Kunst ergründen können?

Beide Fragen dürfen getrost mit Ja beantwortet werden. Natalie Lettner gelingt das Kunststück, das Leben und die Person Lassnigs mit ihrem Werk zu verknüpfen, ohne in platte psychologische Interpreta­tionen abzugleiten. Sie erzählt detailreich und fundiert das Leben der Künstlerin und, so ganz nebenbei, auch noch ein Stück (Kultur)Geschichte.

Bereits Mathilde Gregorz, Marias Mutter, sowie deren Vater waren unehelich geboren worden. Auch ihre Tochter gehört in Kappel am Krappfeld zu den Geburten, die als „Schande“ gelten, obwohl sie viele waren, denn Dienstboten, Mägde und Tagelöhnerinnen durften nicht heiraten. Ihre Mutter kann Maria erst mit fünf, sechs Jahren zu sich nehmen, zuvor wächst sie bei ihrer Großmutter auf, vernachlässigt, sich selbst überlassen und verwahrlost. Ihren Vater ­bezeichnet Maria später als „Rabenvater“.

Nach der Heirat mit Jakob Lassnig, ­Besitzer einer Backstube in Klagenfurt, kann Mathilde ihrer Tochter eine Familie bieten, wenn auch ohne Geborgenheit. Sie war eine zugleich starke und labile Frau, und sollte bis zu ihrem Tod Maria Lassnigs wichtigste Bezugsperson bleiben; eine intensive, aber ambivalente Beziehung.

Die Tochter wird sich von dem Selbstbild der dicken, dummen, ausgeschlossenen „Riedi“ auf der Klosterschule nie mehr ganz befreien können. Und das, obwohl sie eine gute Schülerin war, die, wie Fotos beweisen, zu einer hübschen Frau heranwächst – aber sich in ihren späteren Selbstporträts konsequent „verhässlicht“. Erst in der antikatholischen Wandervogel-­Bewegung findet sie gute und sogar lebens­lange FreundInnen.

Maria leidet an einer extremen Form der Hochsensibilität: Lärm, Geruch, Druck, alles nimmt sie ohne Filter wahr – im Alltag ein Handicap, aber eine Chance für ihre spätere „Body-awareness-Kunst“, die den Körper nicht abbildet, sondern versucht, dessen Gefühl in Form und Farbe zu übersetzen. Wie bei vielen Hochsensiblen verbindet sich auch bei Maria eine naive Weltfremdheit mit tiefem Misstrauen; eine große Anpassungsfähigkeit mit der Unfähigkeit, Kompromisse einzugehen. Was mit zunehmendem Alter extremere Formen annimmt, bis hin zu paranoiden und autistischen Zügen.

Die schon als Kind zeichnerisch Begabte beginnt mit 21 ein Studium der Malerei 1940 in Wien; eine ehrgeizige Studentin, angepasst auch gegenüber dem NS-Regime, für das sie sich jedoch nicht engagiert und von dem sie sich nach dem Krieg rasch distanziert. Von ihren Professoren lernt sie Malen, aber nichts über die Moderne. „Sie malen ja ganz entartet, Lassnig. Sie verderben mir meine Schüler“, sagt ein Professor zu ihr.

Nachdem die Österreicherin nach Kriegsende die Stile der Moderne in einem atemberaubenden Tempo durchexerziert hat, wird sie es ablehnen, jemals an einem Erfolg festzuhalten und ihn zur Masche zu machen, wie viele ihrer KünstlerInnenkollegen. Lassnig zieht es vor, sich ständig neu zu erfinden – eine Erklärung für die ungeheure Vielfalt ihres Gesamtwerks. Ihr Hauptstudienobjekt ist von Anfang an sie selbst. Sie stellt sich ohne Eitelkeit dar: als Zitrone, Knödel, Monster, Phallus, Fußballspielerin oder Prophetin, zwischen Schmerzensfrau und Comic, mit zunehmendem Witz und Selbstironie.

Zu Männern hat Lassnig ein gutes Verhältnis, besser als zu Frauen. Sie verliebt sich schnell und hat bis ins hohe Alter Verehrer: deutlich jüngere Liebhaber und ambivalente Gefühle zwischen Bedürftigkeit und Autonomiestreben. In jüngeren Jahren hütet sie sich vor Ehe und Mutterschaft, die in dieser Zeit das Ende der Karriere bedeuten. Zu ihren Liebesbeziehungen gehört Arnulf Rainer, dessen raschen Ruhm sie schwer verwindet; oder Oswald Wiener, mit dem sie zeitlebens befreundet bleibt. „Illusion von den versäumten Heiraten“ (1997), „Illusion von der versäumten Mutterschaft“ (1998) heißen melancholisch-ironische Werke der knapp Achtzigjährigen.

Die Kunstwelt der Nachkriegszeit ist eine Männerwelt. Lassnig lehnt es stets ab, ins Frauenkunst-Eck gestellt zu werden. Von ihren Zeichentrickfilmarbeiten in dem Künstlerinnen-Kollektiv Women Artist Filmmakers in New York abgesehen wird sie nie dezidiert feministisch arbeiten. „Ich glaube, wenn man eine nachdenkliche Frau ist, ist Feminismus nicht zu vermeiden“, sagt sie jedoch ein Jahr vor ihrem Tod in einem Interview. 

Sie wird schon früh gefördert und ausgestellt, aber ihre Unfähigkeit zu Selbstmarketing und Networking, begleitet von einem oft schroffen Auftreten, verlangsamen ihre Karriere. Immer, wenn sie sich gerade irgendwo hinaufgearbeitet hat – in Wien, Paris, New York –, tritt sie wieder die Flucht zu neuen Ufern an. Und vor allem: Sie ist ihrer Zeit oft so weit voraus, dass sie zunächst nicht bemerkt wird.

Trotzdem ist Lassnig bereits in den 1970er-Jahren endgültig im österreichischen Kunstkanon angekommen. Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg holt 1980 die bereits 60-Jährige aus den USA als erste Professorin an die Hochschule für Angewandte Kunst, wo sie sich als schlechte, wenig einfühlsame Pädagogin, aber gute, weil fordernde Lehrerin erweist. Ihre extreme asketische Lebensweise behält sie auch noch bei, als sie über Geld nicht mehr nachzudenken braucht.

Eine große Einzelausstellung im Museum Moderner Kunst in Wien 1985 macht sie in Österreich endgültig berühmt, der internationale Ruhm folgt langsam, aber stetig. Ein Gipfel ist der Goldene Löwe auf der Biennale in Venedig 2013 und die Schau im MoMA PS1 in New York im Jahr 2014. Da kann sie schon nicht mehr selbst hinreisen.

Malen bleibt für Maria Lassnig bis zum Schluss ein existenzieller, körperlicher Kraftakt. Als sie in ihren letzten Monaten, im 95. Lebensjahr, nicht mehr malen kann, zeichnet sie trotzdem täglich.

Kirstin Breitenfellner

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Natalie Lettner: Maria Lassnig. Die Biografie (Brandstätter Verlag, 29.90 €); Sepp Dreissinger: Maria Lassnig. Gespräche & Fotos (Album Verlag, 46 €).

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