Matchpoint für Mütter

Serena Williams mit Tochter Olympia. - Foto: instagram.com/olympiaohanian
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Oympia, Serena Williams drei Jahre alte Tochter, sitzt auf Papa Alexis Schoß, spielt mit ihrem VIP-Ausweis und winkt der Mama zu. Die spielt wie so oft mal wieder Tennis. Nicht auf irgendeinem Ascheplatz im Training, sondern im Viertelfinale der US Open, im Arthur-Ashe-Stadion in Flushing Meadows auf dem Center Court. Mutter Serena winkt lächelnd zurück. Das Video ging um die Welt. Es ist nicht nur niedlich – es ist ein Statement. Serena Williams ist Spitzensportlerin – und Mutter. Und alle Welt darf, nein, soll es wissen.

Zum ersten Mal in der Grand-Slam-Geschichte haben im September gleich neun Mütter an einem Spitzen-Turnier teilgenommen. NEUN. Drei von ihnen sind ins Viertelfinale eingezogen. Und eine stand schließlich im Finale: die Weißrussin Victoria Azarenka, die Frau mit den schrillsten Kampfschreien auf dem Court. Auch wenn sie sich gegen die Japanerin Naomi Osaka geschlagen geben musste, ist Azarenka eine Siegerin. Denn nach Schwangerschaft, Babypause und einem öffentlich ausgetragenen Sorgerechtsstreit um ihren dreijährigen Sohn Leo war sie in der Hackordnung der Branche abgerutscht. Und nun das: Alles ist möglich!

Serena Williams: Ich bin so glücklich, dass hier so viele Mütter sind!

Möglich gemacht wird es unter anderem durch eine neue Regel der Spielerinnen-Organisation WTA, die es Müttern erlaubt, bis zu drei Jahre nach der Geburt bei zwölf Turnieren mit der Weltranglistenposition wieder anzutreten, die sie vor der Pause hatten. Sie müssen sich also nicht mehr bei kleineren Turnieren durch die Qualifikation quälen, was viele Frauen davon abgehalten hatte, nach der Geburt wieder in ihren Beruf zu gehen. Heute organisiert die WTA sogar eine professionelle Kinderbetreuung während der Turniere und sorgt für Familienunterkünfte. „Ich bin so glücklich, dass hier so viele Mütter sind. Vor allem, weil ich selbst auch eine bin!“, posaunte Serena Williams während des Turniers in die Mikrofone der internationalen Medien.

Die 39-jährige Serena Williams hatte selber nach der Geburt ihrer Olympia nicht an ein Comeback geglaubt. Bei der Geburt 2017 wäre sie beinahe gestorben. Zweimal hatte sie eine Lungenembolie. Lange Zeit konnte sie nicht einmal bis zum Briefkasten laufen. Doch seit Sommer 2018 hat die Tenniswelt ihre Königin zurück. Und die beweist seither enorme Schlagkraft – auf der Weltrangliste (derzeit ist sie die Nummer 9) wie für Mütter im Leistungssport – da ist sie die Nummer 1. Kein Turnier, auf dem Serena neben dem glänzenden Pokal ihre nicht weniger strahlende Tochter in die Kameras hält.

Und die Tennisqueen stellt klar: „Arbeitende Frauen haben es nie leicht. Es ist hart, nicht immer so für dein Kind da sein zu können, wie du es willst. Aber wir müssen das jetzt durchkämpfen. Es ist unsere Zeit!“ Das hatten bei den US Open auch ihre acht Kolleginnen verstanden und den Ball aufgenommen. Victoria Azarenka verkündete: „Es hört nicht auf, man darf als Mutter berufliche Ziele und Träume haben. Wir sollen tun dürfen, was immer wir wollen!“ Auch Sohn Leo war mit nach New York gereist. Zuvor hatte sie erfolgreich die Klausel „Babypause“ in ihren Sponsorenverträgen erkämpft.

Zwetana Pironkowa: Roger Federer wird auch nicht gefragt, ob er seine Kinder vermisst!

Zwetana Pironkowa – von Fans wegen ihrer aggressiven und ausgebufften Spielweise verehrt – nutzte die Pressekonferenz, um die Sportwelt aufzuklären: „Ich bin heute besser organisiert und mental widerstandsfähiger; ja sogar körperlich profitiere ich, weil ich nun ein viel besseres Gespür für meinen Körper habe.“ Als sie nach ihrem Sieg im Achtelfinale nach ihrem Sohn gefragt wurde, antwortete sie: „Roger Federer wird auch nicht gefragt, ob er seine vier Kinder vermisst.“

Die deutsche Fedcup-Spielerin Tatjana Maria schließlich, die selbst mit Tochter Charlotte um die Welt reist, erklärte: „Dass Serena als Mutter zurückgekommen ist, hilft uns allen!“ Im Tennis findet gerade eine Revolution statt, die Strahlkraft für den gesamten Spitzensport haben könnte. Denn da sind Schwangerschaft, Babypause und Mutter-Sein noch nicht vorgesehen. Der Körper ist das Kapital, jede Einschränkung gilt als Schwäche und Verlust.

Während im Spitzensport an jedem Laktat-Wert endlos herumgedoktert wird, ist selbst die Menstruation noch immer ein Tabuthema. Die chinesische Schwimmerin Fu Yuanhui löste bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 ein mediales Erdbeben aus, als sie auf die Frage, warum sie die Goldmedaille verpasst hatte, schlicht antwortete: „Ich habe gestern meine Tage bekommen und mich deshalb erschöpft gefühlt.“

Ein Kind bedeutete bis heute in fast allen Sportarten auf Spitzenniveau noch immer das Karriere-Ende. Und bis zu der Spielerinnengeneration von Serena Williams hieß es auch im Tennis: Frau muss sich entscheiden: Karriere oder Kind? Die wenigen Profispielerinnen, die Kinder bekamen, sind dann auch artig zurückgetreten. Oder sie bekamen das Kind erst, als der Tennisschläger im Schrank verstaubte. So machte es Steffi. So machte es Martina Hingis. So machte es Arantxa Sánchez Vicario.

Nun aber ist Umdenken angesagt. Nicht etwa, weil im Management des Damentennis der Feminismus ausgebrochen wäre, sondern weil Spielerinnen wie Serena Williams den Sport ganz nach oben spielen. Ohne ZuschauerInnen kein mediales Interesse, keine Sponsoren, keine Werbeflächen, kein Geld. Jede Sportart braucht ihre „Darlings“, ihre Zugpferde. Verschwinden sie, wird es ruhig.

Steffi hat das Damentennis groß gemacht, Rosi Mittermeier das Ski-Rennen, Katarina Witt das Eiskunstlaufen, Heike Drechsler die Leichtathletik. Und: Auch die Sponsoren wollen Frauen sehen – weil ihre Kundinnen Frauen sehen wollen. Das Thema Gleichberechtigung ist längst Teil der Marketingstrategie geworden. Warum nur einen Markt bespielen, wenn es einen doppelten gibt? Heute kämpfen Frauen weltweit dafür, gleichzeitig Spitzensportlerin und Mutter sein zu können.

Frauen wollen nicht mehr für den Sport auf ein Kind verzichten!

Auch in den unbekannteren Sportarten, die oft nur während der Berichterstattung zu Olympia gewürdigt werden, tut sich was. In Deutschland sind die Kugelstoßerin Christina Schwanitz und die Beachvolleyballerin Laura Ludwig die bekanntesten Beispiele. Schwanitz holte bei der Leichtathletik-WM in Doha Bronze – zwei Jahre nachdem sie Mutter von Zwillingen geworden war. Ludwig holte Gold in Rio. Ihr erster Einsatz mit Kind wäre bei den Spielen in Tokio gewesen, die wegen Corona nun 2021 stattfinden soll. Die Hockey-Spielerin Lisa Altenburg bekam 2013 eine Tochter, ein halbes Jahr später spielte sie wieder in der Bundesliga, 2016 holte sie in Rio mit dem Team Bronze. Die US-Schwimmerin Dara Torres gewann zwei Jahre nach der Geburt in Rio Silber.

Nicht immer läuft es so rund. Die US-Langstreckenläuferin Alysia Montano nahm noch im achten Monat schwanger an US-Meisterschaften teil, ihr Sponsor Nike zahlte nur, wenn sie lief. Sponsorengelder machen den Großteil der Einkünfte in diesen Sportarten aus. Im Juli appellierte die amerikanische Sprinterin Allyson Felix (zwölffache Weltmeisterin und sechsmalige Olympiasiegerin) bei den „Inspiration Games“ in Zürich: „Mütter müssen mehr unterstützt werden! Frauen wollen nicht mehr für den Sport auf ein Kind verzichten!“ Viele Sportlerinnen hatten für den Sport bereits auf ihre Jugend verzichtet.

Die Kanadierin Francine Darroch, eine frühere Langstreckenläuferin, forscht an der Universität Carleton zu Müttern im Spitzensport. Sie sagt: „Die beste Zeit Kinder zu bekommen und der Karrierehöhepunkt fallen bei Frauen zusammen. Es ist noch immer sehr schwer, diese zwei Identitäten auszuhandeln.“ Ihre Studien zeigen: Sportlerinnen, die mit ihrem Sport gut verdienen und starke familiäre Unterstützung haben, schaffen ihr Comeback trotz Kind. Für alle anderen wird es schwer. Für schwangere Athletinnen gibt es keine besonderen Förderungen.

Nur nebenbei: AthletInnen, die wegen einer Verletzung zwangspausieren müssen, werden sehr wohl weiterfinanziert. Forscherin Darroch: „Dabei kann eine Verletzung den Körper sehr viel länger beeinträchtigen als eine Schwangerschaft.“ Der Spitzensport verzichte aus Ignoranz auf einen Großteil seines Potenzials. Darroch: „Nicht ihr Körper hindert diese Frauen, die Umstände sind es!“ Ihre Studien zeigen zudem, dass Leistungssportlerinnen wie Serena Williams – ihr Vermögen wird auf 200 Millionen Dollar geschätzt – als Mütter eine noch größere Aufmerksamkeit erregen.

Billie Jean King: Seid mutig! Schreibt Geschichte!

Allein Töchterchen Olympia hat bei Instagram mehr als 600.000 Follower. Sponsor Nike hat rasch reagiert und bringt in Kürze die erste Schwangerschaftskollektion auf den Markt. Ein deutliches Zeichen setzt nun auch die Internationale Tennis Federation (ITF): Fortan wird der Fed Cup, das bedeutsamste Nationenturnier im Frauentennis, nicht mehr Fed Cup, sondern „Billie Jean King Cup“ heißen, benannt nach der legendären US-Tennisspielerin. Die hat nicht nur zehn Mal den Fed Cup gewonnen, sondern auch ein Match gegen einen Mann. 1973 unterlag der großmäulige Ex-Profi Bobby Riggs der Wimbledonsiegerin King im „Battle of the Sexes“.

Zuvor hatte King schon seit Jahren um gleiche Preisgelder für Tennisspielerinnen gekämpft. Auch dieser Kampf zahlt sich nun endlich aus. Der Preistopf der Finalrunde wird dem Wettbewerb der Männer, dem Davis Cup, angeglichen. Damit erhöht sich das Preisgeld der Frauen mal eben von vier auf zwölf Millionen Dollar. „Ich bin zutiefst geehrt, dass die Weltmeisterschaft des Damentennis zukünftig nach mir benannt wird und nehme diese Ehre gleichzeitig als Verantwortung wahr“, sagte die 76-jährige Billie Jean King, sie lebt offen lesbisch. Die Botschaft, die sie auf ihrem T-Shirt zum neuen Cup präsentierte, lautete: „Seid mutig, schreibt Geschichte!“

Sie sind mutig, und sie schreiben Geschichte.

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Zeigt her eure Muskeln!

Foto: AFP
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Wir haben eine neue Steffi Graf! Sie heißt Angelique Kerber, hat an diesem Wochenende in New York das Finale der US-Open gegen die Tschechin Karolina Pliskova in drei Sätzen gewonnen – und ist die neue Nummer Eins der Tennis-Weltrangliste der Frauen. Sie löst damit die Amerikanerin Serena Williams ab.

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Die Kerber, die ist so ein richtiges Mannsweib!

Das erste Mal seit 19 Jahren, nach Steffi Graf, führt also eine deutsche Spielerin diese Liste an. „Steffi ist mein Idol“, war Angelique Kerber nie müde geworden zu betonen. Aber sie ergänzte stets: „Es war mir auch immer wichtig, meinen eigenen Weg zu gehen!“

Und etwas ist tatsächlich gänzlich neu an Kerber, und es erzählt eine Menge über das Standing von Frauen im Profisport. Denn Steffi Graf, die war ja nicht nur ein Tennis-Champion, sondern auch ein Champion in Selbstbeherrschung. Die Frau hämmerte Bälle wie Tornados übers Spielfeld, wollte aber um Himmels Willen „nicht aussehen wie ein Muskelpaket“. Sie schlug alle aus dem Feld, aber das Siegerinnen-Lächeln blieb trotzdem immer sonnig bis heiter. Ich bin schneller und ich bin stärker als so mancher Mann - aber ich tue keinem was, das war die Botschaft von Steffis schüchternem Mädchen-Lächeln.

Ganz anders die Kerber: Die ballt siegestrunken die Fäuste und bleckt die Zähne, sie wirft sich im Taumel des Triumphes auf den Boden, feuert den Tennisschläger von sich und knutscht bei der Siegerinnen-Ehrung ihren riesigen Pokal. Genau an der Stelle, an der Steffi Grafs Name eingraviert ist übrigens. Und selbstverständlich gratulierte Graf ihrer Nachfolgerin prompt zum „Riesenerfolg“! Und der ist größer als der ganze Ruhm und die Ehre, die der erste Platz der Weltrangliste so mit sich bringt.

Die knutscht ja sogar ihren riesigen Pokal! 

Denn wer an diesem Wochenende die Gelegenheit hatte, mit männlichen Tennisfans der alten Schule zu sprechen, der mag als Antwort auf ein begeistertes „Wir haben eine neue Nummer Eins!“ auch Sätze gehört haben wie: „Na ja, die Kerber, die ist ja auch so ein richtiges Mannsweib!“

Recht so! Denn dank Sportlerinnen wie Angelique Kerber und auch den Williams-Schwestern Serena und Venus wagen Frauen es öfter, sich nach einem fulminanten Erfolg einfach mal voll und ganz dem stolzen Siegestaumel hinzugeben. Auf dem Spielfeld wie im echten Leben. Ganz wie die Männer. Warum? Weil es großartig ist.

Und damit kann die Titulierung „Mannsweib“ eigentlich nur als Kompliment verstanden werden.

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