They make love, not war

Bonobo-Mutter mit ihren Kindern
Artikel teilen

Im zentralafrikanischen Regenwald, in einem schwer zugänglichen Gebiet – einer Insel gleich von drei Flüssen umschlossen – lebt ein kleines Volk, das 1929 entdeckt worden ist. Seine Sitten und Gebräuche werden erst seit 1974 erforscht, vor allem von dem japanischen Ethologen Takayoshi Kano. Der Verhaltensforscher von der Universität Kyoto ­errichtete sein Lager in Wamba (damals noch Zaire, heute Demokratische Republik Kongo) und machte sich zu Fuß auf den Weg, um dieses überaus scheue Volk aufzuspüren. Hinter dichtem Blattwerk versteckt, beobachtete Professor Kano zunächst nur "zehn Individuen". Er drang tiefer in den Regenwald vor und stieß auf immer größere Gruppen: "50 bis 100 ­Individuen." Kano wollte es nicht glauben, aber es war nicht zu übersehen: Er hatte eine matriarchale Gesellschaft gefunden, der Aggressionen nahezu fremd sind. Statt zu streiten, hat dieses Volk Sex: Frauen mit Männern, Frauen mit Frauen, Männer mit Männern und Frauen mit sich selbst.

Anzeige

Die Frauen geben sich lustvoll quiekend einander hin. Wenn sie es mit Männern treiben, quieken sie auch. Aber wehe, ein Mann wagt bei einer unerfahrenen jungen Frau Dominanzgehabe! Dann sind sofort ältere Frauen zur Stelle, die ihn dominieren. Nicht durch Gewalt, sondern einfach weil sie "einflussreiche Frauen" sind, die "aus Zuneigung respektiert werden", sagt Professor Kano. Die Männer sind bei der schwulen Erotik eher schüchtern: Sie reiben ihre Genitalien aneinander, manchmal auch nur ihre Hintern.

Als Verzeihung für männliches Dominanzgehabe – Einsicht und Reue vorausgesetzt – gewährt die älteste, respektierteste Frau dem Mann oftmals einen Koitus. Überhaupt dient Sex dem Abbau von Spannungen und der Konfliktvermeidung. 

Das nie verwirklichte Hippie-Ideal "Make love not war" wird im Garten Eden zwischen dem Kongo-Strom und den Flüssen Lomami und Kasai also völlig selbstverständlich in die Tat umgesetzt – allerdings nicht von Menschen, sondern von Menschenaffen: den Bonobos, bei denen die Frauen den Ton angeben. Im Gegensatz zu den Hippies. Und zu den Schimpansen. Mit ihnen wurden die ­Bono­bos als so genannte "Zwergschimpansen" lange in einen Arten-Topf geworfen, obwohl sie eine eigene Art und etwas ganz Besonderes sind. Vieles, was der Mensch als die vermeintliche Krone der Schöpfung für sich allein in Anspruch nimmt, teilt er mit den Bonobos: auch den aufrechten Gang. Bonobos sind schon deshalb keine Zwergschimpansen, weil sie nicht kleiner als Schimpansen sind, sondern nur leichter und graziler. Sie können sich ausgezeichnet mit geradem Rücken auf ihren zwei Beinen fortbewegen, statt mit gekrümmten Rücken auf Händen und Füßen.

Die Bonobos sind unsere nächsten Verwandten und gleichen dem Menschen noch mehr als die Schimpansen. Vor allem aber gleichen die Bonobofrauen uns Menschenfrauen. Ihre Genitalien liegen vorne und nicht hinten wie bei den Schimpansinnen. Darum schauen Bonobos beim Sex einander an – lange galt die Paarung von Angesicht zu Angesicht als ausschließlich menschliche Errungenschaft. Anders als bei Schimpansinnen lässt bei Bonobofrauen die Genitalschwellung, die sexuelle Erregung signalisiert, nur selten nach. Wie auch wir Menschenfrauen (theoretisch) können Bonobo­frauen ständig sexuell aktiv sein, was sie sind (praktisch).

Enge freundschaftliche Bindungen zwischen nicht verwandten Frauen schien nur der Homo sapiens zu kennen – bei den Bonobos sind sie viel, viel enger. Im Garten Eden im Regenwald des Kongobeckens machen Frauen grundsätzlich gemeinsame Sache. Frauenfreundschaften und Frauenseilschaften sind die Basis des matriarchalen und gewaltfreien Gesellschaftssystems.

Bei den Bonobos verlassen nicht die Jünglinge nach Erlangen der Geschlechtsreife die Gruppe wie bei den Schimpansen; die pubertierenden Mädchen gehen weg und schließen sich einer anderen Gruppe an. Um dort aufgenommen zu werden, ­bemüht sich das Mädchen um die Freundschaft mit einer älteren Frau. Nach und nach wird die Fremde dann auch vom Rest der Frauengemeinschaft akzeptiert.

Bonobomänner bringen über 60 Kilogramm auf die Waage und die Frauen höchstens 40 Kilo. Trotz ihrer körper­lichen Überlegenheit haben die Männer gegen die geballte Frauensolidarität und Frauenpower keine Chance. "Über hingebungsvolle Fellpflegedienste versuchen die Männchen die Gunst der tonangebenden Weibchen zu erringen", staunt www.discovery.de. Und der Bonobo-Experte Frans de Waal gibt zu bedenken: "Hätte man Bonobos bereits früher gekannt, dann hätten Rekonstruktionen der menschlichen Evolution die Gleichwertigkeit der Geschlechter vielleicht stärker betont, statt sich auf Krieg, Jagd, Werkzeugtechnologie und andere maskuline Stärken zu konzentrieren."

Als die Affenforscherin Jane Goodall den wilden Schimpansen, die sie in Tansania beobachtete, Namen gab, statt sie wie Gegenstände mit Buchstaben von A bis Z zu katalogisieren, ging ein Aufschrei durch die von Menschenmännchen dominierte Wissenschaftswelt. Goodall fehle die "objektive Distanz", hieß es empört. Das geschah in den 1960er Jahren – immerhin wurden da schon lebendige Menschenaffen erforscht. Am ­Anfang des 20. Jahrhunderts zog man nur Schlüsse aus Toten, indem man sie sezierte und ihre Schädel vermaß. Darum war es keinem aufgefallen, dass der beliebteste Schimpanse im Zoo von Amsterdam in Wahrheit ein Bonobo war. Mafuca aus dem Kongo überlebte die Gefangenschaft nicht lange: Nach nur fünf Jahren im Zoo starb er 1916.

Der Säugetier-Konservator Anton Portielje im Zoologischen Museum von Amsterdam präparierte die sterblichen Überreste. Als er die grazilen Gliedmaßen, besonders aber die auffällig langen Beine berührte, fragte er sich, "ob der überaus populäre Mafuca nicht möglicherweise eine neue Primatenart repräsentiere". So erzählt es Frans de Waal in seinem Buch 'Bonobos – die zärtlichen Menschenaffen' (mit eindrucksvollen Fotos von Frans Lanting). Doch bis diese neue Art "entdeckt" wurde, sollten weitere 13 Jahre vergehen.

1933, wurden die Bonobos wegen der immer offensichtlicher werdenden anatomischen Unterschiede als eigene Art eingestuft: Pan paniscus. Dass sie erst 1974 erstmals vor Ort im afrikanischen Regenwald erforscht wurde, liegt auch an den Bürgerkriegen, welche die Menschen in der Heimat der friedfertigen Bonobos seit dem Ende der belgischen Kolonialherrschaft ständig gegeneinander führen. Aber der ausschlaggebende Grund für das Desinteresse war wohl eher, dass die Bonobos nach wie vor als Zwergschimpansen galten. Allerdings fiel auf, dass die Bonobos, die in Freiheit bis zu 50 Jahre alt werden, in Gefangenschaft viel früher sterben als Schimpansen. Oft raffen sie einfache Erkältungen, von Menschen eingefangen, wie die Fliegen dahin. Offenkundig sind Bonobos für Ansteckung durch den Homo sapiens besonders empfänglich. Auf die Idee, dass dies an ihrer signifikanten Menschenähnlichkeit liegen könnte, kam damals niemand.

Als Professor Kano 1980 die ersten sensationellen Ergebnisse seiner Bonobo-Beobachtungen im Regenwald veröffentlichte, wurden sie von der Wissenschaftswelt überhaupt nicht als sensationell gewürdigt, denn: Durch Jane Goodall wusste man inzwischen, dass Schimpansen Werkzeuge benutzen – im Gegensatz zu den Bonobos. Waren diese "Zwergschimpansen" also weniger intelligent?

Doch im Garten Eden zwischen den drei Flüssen gab es immer im Überfluss zu essen. Darum hatten die Bonobos es nie nötig, mit Halmen nach Maden und Würmern zu ­stochern oder mit Steinen Nussschalen und Insektenpanzer zu knacken – was eine "technische Intelligenz" erfordert. Momentan wird die "emotionale Intelligenz" der Bonobos erforscht: ihre Fähigkeit, sich in andere einzufühlen. In dieser Hinsicht sind sie anscheinend den Schimpansen weit ­voraus. Und womöglich auch uns.

Die Bonobos wurden früher von ihren menschlichen Nachbarn auf der Insel im Regenwald respektiert und geachtet. Aber diese ursprünglich auch isoliert lebenden Menschen geraten zunehmend in Bedrängnis, weil ihr Lebensraum von Weißen aus den reichen Industrienationen und deren für Hungerlöhne schuftenden schwarzen Arbeitern abgeholzt wird. Nicht nur um Edelholz zu gewinnen, sondern auch Gold, Diamanten und Coltan, ohne das unsere Handys nicht funktio­nieren würden. Die Konsequenz: Nun ­ermorden die Nachbarn ihre Nachbarn und verkaufen sie als Buschfleisch, das bei geldgierigen Reichen, korrupten Politikern und machtbesessenen Warlords in der (so genannten) Demokratischen ­Republik Kongo als Delikatesse gilt.

Mittlerweile sind 70 Prozent des Urwalds im Kongo vernichtet, und die internatio­nale Welttierschutzgesellschaft WSPA (World Society for the Protection of Animals) schätzt, dass es nur noch 10.000 bis 20.000 freilebende Bonobos gibt. Wohlgemerkt: Sie sind einzigartig und nirgendwo anders auf dieser Erde anzutreffen – außer in Zoos, wo es wegen der Gesundheitsprobleme von Bonobos in Gefangenschaft schwierig ist, sie zu züchten. Für sein 1997 erschienenes Buch über die zärtlichen Menschenaffen ­recherchierte Frans de Waal den damals ­aktuellen Stand und kam auf "100 Individuen" in allen Zoos weltweit.

Es ist makaber. Jetzt, da die Bonobos vom Aussterben bedroht sind, wird ihnen auf einmal attestiert, dass sie nicht nur eine eigene Art sind, sondern sogar der Gattung Homo zugehören, die der Homo sapiens allein für sich gesichert hat. Es war schon länger bekannt, dass die Schimpansen 98,5 Prozent ihrer Gene mit uns Menschen teilen. Aber im Mai 2003 erschütterte eine bahnbrechende Entdeckung die Wissenschaftswelt. "Bislang ging man davon aus, dass der moderne Mensche Homo sapiens der einzige lebende Vertreter der Familie der Hominiden und der Gattung Homo ist. Doch nach einem neuen Vergleich mit dem Erbgut verschiedener Menschenaffen gehören auch Schimpansen und Bonobos zur Menschengattung: 99,4 Prozent ­Gemein­samkeit!"

ls Frans de Waal in den 1990er Jahren für sein Buch über die zärtlichen Menschenaffen recherchierte, interviewte er u. a. auch eine nicht namentlich genannte Fachjournalistin. Kaum, dass De Waal sein Aufnahmegerät eingeschaltet hatte, outete sie sich als Feministin. Und sagte: "Die Bonobos sind unsere letzte Chance." Damit meinte sie, dass die taffen Mädels aus dem Regenwald uns Frauen in den reichen Industrienationen Munition gegen Soziobiologisten à la Randy Thornhill und Craig Palmer liefern könnten.

In ihrem im Jahr 2000 erschienenen, weltweit beachteten Buch 'A natural History of Rape' (Naturgeschichte der Vergewaltigung) behaupten diese amerikanischen ­Insektenforscher allen Ernstes: Weil Menschenmännchen durch ihre "Steinzeitgene" dominiert werden, ist Vergewaltigung "eine natürliche Fortpflanzungsstrategie".

Falls die taffen Regenwaldmädels die brutale Intelligenz der Menschenmännchen nicht überleben sollten – ihre Botschaft ist bei uns angekommen.

Das Foto wurde dem eindrücklichen Band von Frans de Waal und Frans ­Lanting entnommen: "Bonobos. Die ­zärt­lichen Menschenaffen" (Birkhäuser).

Weiterlesen
"Wilde Zärtlichkeit", Claudine André (Kosmos)

Artikel teilen
 
Zur Startseite