Alice Schwarzer in anderen Medien

Medien gegen Vergewaltigungsreform

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Die Zeit/Sabine Rückert, 30.6.2016
"Der angestrebte 'Paradigmenwechsel' besteht offensichtlich darin, bei Nötigung und Vergewaltigung die Wahrheitsfindung unüberprüfbar aus der Objektivität heraus und in die persönliche Deutungshoheit der Anzeigeerstatterin zu legen. Was leidenschaftliche Liebesnacht und was Vergewaltigung war, definiert die Frau am Tag danach. Die Folge: Bei den Sexualpartnern zieht das Misstrauen ein. Und die Sexualität an sich – also ein sonst schönes und erwünschtes Verhalten – wird durch derartige Kampagnen ins Zwielicht und in die Nähe des Verbrechens gerückt. Das Intime gerät in Verdacht, das Schlafzimmer wird zum gefährlichen Ort. Eine solche Verrechtlichung des Intimlebens ist beunruhigend. Dieser geschützte Raum, in dem eine Beziehung ausgehandelt und Verhalten erprobt werden kann, wird der Kontrolle durch das Gesetz überantwortet. (…) Selbst die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hatte sich dem 'Team GinaLisa' angeschlossen und getwittert. Darin wird sie mit den Worten zitiert: 'Wir brauchen die Verschärfung des Sexualstrafrechts. ›Nein heißt nein‹ muss gelten. Ein ›Hör auf‹ ist deutlich.' Warum macht ein Kabinettsmitglied so etwas? Wir wissen es nicht. Doch Politiker, die sich hervortun wollen, nehmen immer gern prominente Kriminalfälle zum Anlass. Und so dürfte die Sache Lohfink der Familienministerin gerade recht gekommen sein. Jedenfalls fiel sie – obwohl die Opfereigenschaft des Partygirls mehr als nur fragwürdig ist – der Justiz in den Rücken und versuchte, durch Äußerungen von höchster Stelle das Verfahren zugunsten von Lohfink zu beeinflussen. Dabei verraten Schwesigs Statements, dass sie kaum etwas von der Sache wusste."

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Anmerkung der Redaktion: Die heute stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT war 2010 bekannt geworden durch ihre Vorverurteilung des mutmaßlichen Opfers im Kachelmann-Prozess, Monate vor dem Beginn des Prozesses. Der Prozess endete mit einem Freispruch des Angeklagten wg. „Mangels an Beweisen“. Das Gericht hatte sich – im Gegensatz zu Frau Rückert – auch nach acht Monaten nicht imstande gesehen, die Wahrheit herauszufinden. mehr

 
Die Zeit/Heinrich Wefing, 30.6.2016
"Familienministerin Schwesig hätte besser geschwiegen. Und ihr Kollege Heiko Maas, der Justizminister, auch. (…) So droht der Fall Lohfink plötzlich eine ganz andere Angst zu befeuern: die Angst, dass böse rachsüchtige Frauen ihre Sexpartner in der Hand haben, dass auch unbescholtene Männer Gefahr laufen, sozial exekutiert zu werden, wenn sie mit der falschen Frau ins Bett gehen. Es ist die Kachelmann-Angst. Tatsächlich gibt es im Bereich der Sexualdelikte viele falsche Beschuldigungen, und natürlich stellen sich oft heikle Beweisfragen, eben weil Sex etwas so Intimes ist, weil es nur selten Zeugen gibt, weil fast immer Aussage gegen Aussage steht." 

Die Behauptung, „im Bereich der Sexualdelikte (gäbe es) viele falsche Beschuldigungen“, ist faktisch falsch. In keinem Bereich gibt es belegbar so wenige Falschbeschuldigungen wie bei der Sexualgewalt. Ganz einfach, weil die Beweislage so schwierig ist und nicht selten die Opfer zu Täterinnen gemacht werden.
 

ZeitOnline/Thomas Fischer (Vors. Richter am Bundesgerichtshof), 28.6.2016
"Die Versprechungen, die mit dem (Gesetzes)Entwurf verbunden werden, können sich ganz überwiegend nicht erfüllen. Selbstverständlich wird die Dunkelziffer nicht sinken, sondern sich erhöhen: Das ist der notwendige Effekt jeder Ausweitung der Strafbarkeit. Wer heute sagt, 100.000 'Vergewaltigungen' pro Jahr blieben unverfolgt, wird morgen sagen, es seien 300.000. So ist das halt: Wenn man meint, es sei unerträglich, dass das ungefragte Wegfressen des letzten Frühstücksbrötchens nicht als Unterschlagung strafbar sei, muss man damit leben, dass die Dunkelziffer des Paragraf 246 ins Unendliche schnellt. An den Beweisproblemen wird das nichts ändern. Symbolischer Aktionismus mit geringstmöglichen praktischen Effekten – so geht 'Schutz durch Strafrecht 2016'. Übrigens: In den USA, wo sexuelle Belästigungen und so weiter seit Langem wesentlich härter verfolgt werden als bei uns, wo angeblich ganze so genannte Universitäten von 'Vergewaltigungskulturen' geprägt sind, wo feministische Forderungen wie 'Ja ist Nein' und so weiter Teil der Immatrikulationsvoraussetzungen für Hauptschulen und Zustimmungsformulare für einmal Anfassen kostenfrei in Apotheken und Schulbussen ausliegen: Dort gibt ein immer höherer Teil der (weiblichen) Bevölkerung in Befragungen an, dass sie ständig mehr und immer mehr Übergriffen ausgesetzt seien. Man fordert jetzt Strafbarkeit für 'Anstarren'. Die Dunkelziffer auch dieses Gewaltverbrechens soll enorm sein." 

Der Jurist ist bundesweit durch seine enthemmten, pöbelnden Kommentare bekannt geworden. Erstaunlich, dass ein Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof sich das leisten kann.
 

SpiegelOnline/Jan Fleischhauer, 20.6.2016
"Die Unabhängigkeit der Justiz gilt in diesem Land als hohes Gut, jedenfalls im Prinzip. Dass man die Urteilsfindung nicht dem Volkszorn überlässt, sondern Fachleuten, die auch noch bei den empörendsten Taten einen kühlen Blick bewahren, ist nach allgemeiner Auffassung eine große Errungenschaft der Moderne. Entsprechend unwirsch reagiert der verständige Teil der Öffentlichkeit, wenn Leute davon sprechen, dass man kurzen Prozess machen müsse, und generell über zu lasche Urteile klagen. Wie gesagt, so verhält es sich im Prinzip. Die Betroffene sollte allerdings nicht eine Frau in einem Vergewaltigungsfall sein. Dann interessieren keine Ermittlungsergebnisse der Strafverfolgungsbehörden und auch keine Strafprozessordnung. Dann reicht der Augenschein, um zu einem eindeutigen Urteil zu kommen. (…) Der Fall Gina-Lisa Lohfink ist ein Präzedenzfall, aber nicht für die Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen, sondern für eine Form der Affekt-Justiz, die meint, auf den mühsamen Prozess der Wahrheitsfindung verzichten zu können."

Der Autor ist eigentlich für sein queres Denken gegen den Mainstream bekannt. In dem Fall schwimmt er mittendrin.
 

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung/Claudius Seidl, 3.7.2016
"Dass ausgerechnet die Justiz jetzt solchen Zwiespalt überwinden, dass sie Klarheit schaffen soll, wo sich nicht einmal die Handelnden ganz klar über ihren Willen, ihre Wünsche, ihr Begehren sind, ist tatsächlich eine deprimierende Aussicht. Die Verhältnisse, welche das Gesetz zu schaffen droht, die Möglichkeit, dass man, ausgerechnet in einer Lage, in welcher es doch darum geht, sich hinzugeben, sich zu verlieren, immer die Gefahr bedenken muss, dass man nicht nur ein Zeichen falsch deutet, sondern dass man für diese Fehlinterpretation als Vergewaltiger bestraft werden kann, läuft nicht bloß auf das notorische 'Nein heißt nein' hinaus, sondern tatsächlich auf das kalifornische 'Nur ja heißt ja'. Man wäre also gezwungen, sich bei jeder Eskalationsstufe eines Liebesspiels vom Gegenüber die explizite Zustimmung zu holen. Viel Spaß beim Sex, möchte man da sagen." 

Ach, was soll frau dazu sagen? Ein älterer Herr, der nie gelernt hat, zwischen einvernehmlichem Sex und Vergewaltigung zu unterscheiden. „Viel Spaß beim Sex“ kann das nur selten gewesen sein – zumindest nicht für Sie. 

 

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Hat sie wirklich NEIN gesagt?

Justizminister Maas und Frauenministern Schwesig schreiten zur Tat. Foto: Imago/Christian Thiel
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Die Gesetzesänderung ist überfällig. Schon 2011 hatte Deutschland sich zur Anpassung an die EU-Standards verpflichtet, die Gesetzesänderung ist also seit fünf Jahren überfällig. Kommt es wie erwartet, wird der Bundestag am 7. Juli die Reform des Vergewaltigungs-Paragraphen verabschieden, nach dem in Zukunft nicht nur der aktive Widerstand der Opfer zählt, sondern auch sein Wille. Es soll dann genügen, dass das Mädchen, die Frau NEIN gesagt hat. Kommt es trotzdem zu sexuellen Handlungen, ist es eine Vergewaltigung.

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Nein heißt Nein - das war lange nicht selbst-
verständlich

Das ist doch selbstverständlich? Oh nein. Denn bisher war das nicht so. So hatte zum Beispiel der Bundesgerichtshof 2006 eine Verurteilung wegen Vergewaltigung aufgehoben mit der Begründung: „Dass der Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt. Das Herunterreißen der Kleidung allein reicht zur Tatbestandserfüllung nicht aus.“

Es gibt Menschen in Deutschland, die der Meinung sind, dass es dennoch nicht nötig ist, das Gesetz zu ändern. So zum Beispiel die ZEIT-Journalistin Sabine Rückert, die kurz vor Verabschiedung eine Philippika gegen die beabsichtigte Reform schrieb (und bekannt geworden war durch ihre vehemente Parteinahme pro Jörg Kachelmann und Vorverurteilung des mutmaßlichen Opfers schon Monate vor Eröffnung des Prozesses).

Rückert schreibt allen Ernstes, durch das Eintreten für eine Reform des § 177 würde „die Sexualität an sich (…) in die Nähe des Verbrechens gerückt“. Denn: „Was leidenschaftliche Liebesnacht und was Vergewaltigung war, definiert die Frau am Tag danach. Die Folge: Bei den Sexualpartnern zieht das Misstrauen ein.“

Zurück zur Realität. Jüngst veröffentlichte das Kriminologische Institut Niedersachsen (KFN) erschütternde Zahlen. Demnach ist vor 20 Jahren in Deutschland noch knapp jeder vierte der einer Vergewaltigung Beschuldigte verurteilt worden, heute ist es nur noch jeder zwölfte – und in manchen Bundesländern sogar nur jeder 25.

Dass die Bereitschaft zu verurteilen so extrem schwankend ist, liegt nach Auffassung des Kriminologen Christian Pfeiffer auch an den Vernehmungsmethoden der Polizei. Wird die Aussage eines mutmaßlichen Opfers auf Tonband oder gar Video registriert, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung, weil eine direkte Aussage des Opfers überzeugender ist. Bei einer durch den vernehmenden Polizisten verschriftlichten – und in seine Worte gefassten – Aussage hingegen werden die Schilderungen des Opfers nicht selten verwässert oder gar verfälscht. Also wird entsprechend weniger verurteilt. Der Kriminologe plädiert darum nicht nur dringlich für die Gesetzesänderung Nein-heißt-Nein!, sondern auch für bessere Vernehmungsmethoden.

Wird man nicht mehr zwischen Liebes-
nacht & Verge-
waltigung unter-
scheiden?

Auch bei einem Nein-heißt-Nein-Gesetz bleibt die Frage der Glaubwürdigkeit der Opfer. Denn gerade bei Sexualdelikten steht ja fast immer Aussage gegen Aussage. Und da kann es auch passieren – wie im Fall Gina-Lisa Lohfink –, dass eine Frau zwar unüberhörbar Nein! gesagt hat, bzw. „Hört auf!“ – dass RichterInnen jedoch dieses Nein dennoch anders werten (In dem Fall: Vielleicht hat sie es ja gar nicht so gemeint – und wollte nur nicht während der Sexualakte mit zwei Männern auch noch gefilmt werden). Alles steht und fällt also weiterhin mit der Glaubwürdigkeit der Opfer.

Die Verabschiedung des Nein-heißt-Nein-Gesetzes wäre also nur ein erster Schritt.

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