„Mein Körper war nicht das Problem“

Die bekannteste Transfrau der Schweiz, Nadia Brönimann, sagt: "Das Skalpell hat meine Probleme nicht gelöst." FOTO: Matthieu Zellweger
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Nadia Brönimann, ist Ihre neue Frisur der erste Schritt einer großen Veränderung – hin zu Christian, der Sie früher waren?
Ja, der Gedanke einer Detransition brodelt schon lange in mir. Ich empfinde es immer mehr als Korsett, das gewohnte Bild von Nadia aufrechtzuerhalten. Dauernd diese scheinbar perfekte Weiblichkeit darzustellen, erschöpft mich. Ich fühle mich gefangen in einem weiblichen Rollenmuster, das mich zunehmend einengt. Ständig zu überlegen, wie ich wirke, ob ich auch genügend Weiblichkeit ausstrahle, empfinde ich als Stress. Das äußere Erscheinungsbild und das innere Empfinden stimmen nicht mehr überein.

Die kurzen Haare widerspiegeln quasi Ihr Inneres?
Mich nur als weiblich zu definieren, fühlt sich nicht mehr richtig an. Ich spüre, dass Christian wieder Raum braucht. Ein Schritt auf dieser neuen Reise ist es, dass ich die Haare wieder kurz trage und meine Kleidung nicht mehr unbedingt weiblich sein muss. Wenn ich Schmuck trage, dann nicht mehr, um meine Weiblichkeit zu zelebrieren, sondern einfach, weil ich Lust dazu habe – ich als Mensch „Nadia/Christian“. Kurz: Der Deckel auf dem Kochtopf, in dem es seit längerem brodelt, wird mit diesen Schritten endlich ein wenig angehoben. Beim Thema trans denkt man nicht daran, dass Geschlechterrollen so starr interpretiert werden, also lange Haare automatisch als weiblich gelten. Tatsächlich wird oft ­suggeriert, dass trans Menschen die Geschlechter quasi hinter sich lassen – dabei bewegen sich viele darin in starren, binären Rollen. Das Klischee davon, was weiblich und männlich sein soll, ist sehr ausgeprägt. Aber das Streben nach Perfektion im Bezug auf das Geschlecht ist eine Falle. Bei uns trans Menschen, wie bei allen anderen Menschen auch, sollte das Ziel sein, dass man sich selbst akzeptiert und nicht einer Geschlechternorm entsprechen will.

Werden Sie die Hormone umstellen?
Ich weiß es noch nicht. Ich habe meinen Körper 30 Jahre lang dazu gezwungen, das Östrogen zu akzeptieren, und mittlerweile spüre ich die Langzeitfolgen dieser Hormonersatztherapie deutlich. Mit 55 ist eine erneute Umstellung zurück zum Testosteron nicht einfach, ich fürchte mich vor neuen Komplikationen. Schön wäre, wenn es einen sanfteren Mittelweg gäbe. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn mir das alles mit 35 schon klar gewesen wäre. Oder ich den Mut gehabt hätte, mir einzugestehen, diesen Weg zurückzugehen. Dann wäre heute vieles einfacher.

Möchten Sie wieder Christian genannt werden?
Ich bin immer noch Nadia und möchte sie nicht auslöschen. Aber ich habe immer häufiger Lust, mich wieder Christian zu nennen. Zum Beispiel beim Unterschreiben. Ich möchte wieder Ja sagen zu Christian, den ich jahrelang verdrängt und weggeschoben habe. Ich trauere darum, was ich ihm und seinem gesunden Körper angetan habe. 

Unzählige Operationen, Schmerzen, Nebenwirkungen von Hormonen und am Ende die Erkenntnis, dass es die falsche Entscheidung war, das Geschlecht medizinisch anzupassen – eine bittere Bilanz.
Absolut. Dabei hätte es offensichtlicher nicht sein können, dass das eigentliche, wahre Problem nicht mein Körper war. Es war eine Flucht, weil ich mich als Christian damals nie gut genug fühlte. Ich dachte, wenn ich dem entfliehe, wenn ich meine Hülle ändere, wird alles gut, dann bin ich jemand anderes. Bloß: Das Innere, die Seele bleibt ja gleich. Ich kam mit meiner Anpassung nie bei mir selbst an, sondern flüchtete in ein anderes, weiteres Lebensextrem, in einen anderen Körper. Das Herz von Nadia war und ist aber immer noch das Herz von Christian.

Wie waren die Reaktionen auf Ihre Instagram-Posts?
Es waren überwältigend viele, fast alle positiv. Häufig von Menschen, die ich seit Jahren kenne, mit denen ich aber teils bloß lose im Kontakt bin. Nur die trans Community schweigt. Es gab keinen einzigen Kommentar, keine einzige Rückmeldung. Dabei sehe ich ja, wer sich die entsprechenden Beiträge auf Instagram angeschaut hat, da waren auch viele trans Menschen dabei.

Warum dieses Schweigen?
Viele trans Menschen sehen mich als Verräterin. Dass ich über meinen Detransition-Wunsch spreche, macht mich zur persona nona grata. Man wirft mir vor, ich sei schuld, dass die Bevölkerung das Thema trans negativ bewerte – was ich übrigens in meinen vielen Begegnungen nicht so wahrnehme – und dass trans Menschen angefeindet würden, da ich mit dem Detrans-Thema das feindliche Lager und die SVP bediene. Man nennt mich rechtspopulistisch und transphob. Dabei nehme ich doch niemandem etwas weg. Ich will nur, dass über diesen einen Aspekt, der im Leben von vielen trans Menschen sehr real ist, genauso ehrlich und offen gesprochen wird wie über alles andere. Und dass jene, die detransitionieren, trotzdem Teil der Community sein können. Ich könnte mir mein Leben sehr viel einfacher machen, wenn ich zu diesem unpopulären Thema schweigen würde.

Warum reagiert die trans Community derart ablehnend?
Sie will sich dem Thema nicht stellen, und ich frage mich, wovor sie Angst hat. Davor, dass einem der Spiegel vorgehalten werden könnte? Dass man über etwas spricht, was nicht sein darf? Aber es gehört nun mal dazu. Ich kenne viele trans Menschen, die wie ich hadern, besonders nach der körperlichen Anpassung. Weil sie merken, dass es ihnen seelisch trotzdem nicht besser geht oder weil sie körperlich unter den Folgen der Behandlungen leiden. Sie verschweigen das oft jahrelang, weil die Erkenntnis, dass die medizinische Anpassung doch nicht das erhoffte Glück gebracht hat, zu schlimm ist. Und auch, weil das niemand hören mag. Dabei wäre es wichtig, in diesem Moment von der Community in den Arm genommen zu werden. Stattdessen erfährt man Ablehnung. Die Toleranz, die nach außen so laut gefordert wird, wird in den eigenen Reihen nicht gelebt.

Wohin wenden sich jene, die detransitionieren wollen?
Es gibt in der Schweiz bis jetzt kein Auffangnetz, kein Hilfsangebot, weder medizinisch noch psycho­logisch. Man ist komplett auf sich allein gestellt. Aber man kann diese Menschen doch nicht einfach so alleine lassen. Sie brauchen Hilfe und möchten gehört werden. Vor zwei Monaten habe ich deshalb die Instagram-Seite „detrans_schweiz“ erstellt, damit es zumindest ein erstes, niederschwelliges Angebot gibt, wohin sich Betroffene wenden können. Denn wo sind all die progressiven Leute, die Fachstellen, die befürworten, dass sogar Teenager ihren Körper medizinisch verändern dürfen? Sie sind auf einmal nicht mehr zu finden, wenn sich die Anpassung bei manchen trans Menschen als falsch herausstellt. Auch Ärztinnen und Psychologen sind weit weg, wenn Jahre später jemand unter seinem neuen Körper leidet.

Sie haben sich vor 26 Jahren operieren lassen. Sind in diesem Bereich nicht auch Fortschritte gemacht ­worden?
Das stimmt, aber es gibt immer noch häufig Komplikationen. Bloß reden trans Menschen nicht gern darüber. Die Sexualität leidet, die Fruchtbarkeit ist unwiderruflich weg, die Orgasmusfähigkeit häufig gestört und Inkontinenz verbreitet. Ich selbst habe seit meiner Anpassung mit körperlichen und seelischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Keineswegs besser ergeht es einer viel jüngeren, mit mir befreundeten 30-jährigen Transfrau, die ihre körperliche Angleichung erst vor acht Jahren gemacht hat: Sie leidet seither unter chronischen Kopfschmerzen. Ich höre und sehe viele Geschichten und eben nicht immer nur die schönen und guten.

Sie kritisieren schon lange den Umgang mit Jugend­lichen, die sich trans fühlen und dass sie viel zu früh und zu schnell mit Medikamenten behandelt werden. In vielen Ländern sieht man das mittlerweile auch so – in der Schweiz nicht.
Ich staune, wie wenig hier die internationale Debatte beachtet wird. In anderen Ländern geht man inzwischen zum Glück sorgfältiger mit dem Thema um. Jugendliche können sich nicht mehr selbst die Diagnose trans stellen, ohne dass diese jemand hinterfragen darf, wie das in der Schweiz Usus ist. Auch Pubertätsblocker werden im Ausland kaum noch verschrieben, stattdessen wird vertiefter psychologisch abgeklärt. In der Schweiz hingegen halten die Fachleute unbeirrt an ihrer Meinung fest. Mir scheint es nicht sehr vertrauenserweckend, wenn Medizinerinnen und Psy­chiater nicht in der Lage sind, Dinge immer wieder infrage zu stellen oder neue Erkenntnisse miteinzubeziehen. Die Folgen einer Behandlung sind für die Betroffenen einfach zu einschneidend, als dass man diese ignorieren oder verschweigen dürfte.

Sie kämpften lange für die Akzeptanz von trans Menschen – und jetzt dafür, dass die trans Community Leute wie Sie akzeptiert.
Ja. Weil ich will, dass gerade junge Menschen ehrlich über alle möglichen Folgen einer Anpassung aufgeklärt werden und dass sie sich bewusst sind, was im schlimmsten Fall passieren kann: dass sie eines Tages erkennen müssen, dass ihre medizinische Geschlechtsangleichung nicht der richtige Weg war und ihnen nicht die erhoffte Befreiung brachte. Und dass diese Erkenntnis eine große Trauer in ihnen auslösen wird. Dass es dann ein noch größerer Kraftakt ist, auf der Spur zu bleiben, wenn man erkennt, in welcher Sackgasse man sich befindet.

Sie passten Ihr Geschlecht an in einer Zeit, in der das noch nicht so einfach war wie heute. Wie haben Sie das damals gemacht?
Ich schaffte es, sehr überzeugend aufzutreten. Ich wusste genau, was ich den Ärzten sagen musste, damit sie mich als Frau sahen. Es reichte ein 20 Minuten dauerndes Gespräch, und der leitende Arzt gab grünes Licht für die Abgabe von Hormonen und die darauf folgenden Operationen. Meine Hausärztin und meine Psychologin warnten mich damals beide vor einer überstürzten Anpassung: Bevor ich damit beginne, müssten zuerst andere Baustellen in meinem Leben angeschaut und aufgearbeitet werden. Ich wollte nicht auf sie hören.   

Das Interview führte Bettina Weber. Es erschien zuerst in der Schweizer SonntagsZeitung. 

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