Mein Leben als Mann
Was mir die Männer beim Ausgehen so erzählen, während ihre Frauen zu Hause die Kinder hüten.
Also Eva Herman und Ursula von der Leyen jetzt mal beiseite: Als Mann wäre ich bestimmt gebärfreudiger, als ich (null Kinder) es jetzt bin. Oder etwas verständlicher formuliert: Als Mann würde ich gerne Vater sein wollen, weil es mir dann vergleichsweise unproblematisch und mit dem Restleben kompatibel erschiene. Diesen Satz würden mindestens auch meine Freundinnen Corinna (ein Kind, elf Jahre) und Karolin (zwei Kinder, drei und fünf Jahre) unterschreiben und alle Kinderlosen sowieso. Vielleicht aber zusätzlich noch einige hundert oder tausend oder Millionen Frauen in diesem Land.
Zwar melden sich jetzt allerorten verunsicherte Männer zu Wort und verleihen ihrem Unbehagen an der Gegenwart und dem Leiden an ihrer schwankenden gesellschaftlichen Rolle Ausdruck, gewissermaßen um eine Art Anti-Schirrmacher-Position zu besetzen und zu zeigen, dass es nicht nur simplen Hau-Ruck-Familienpatriotismus geben kann, sondern dem deutschen Mann auch noch ein Nachdenken zwischen Kinderzeugen und Geldverdienen möglich sein muss. Doch die sich da zum Glück mal äußern (wie Finn Cannonica in der EMMA 3/2006) sind vereinzelte Gestalten, und der durchschnittliche Mann, also der, den unsereins zu Hause auf dem Sofa sitzen hat, der tickt ganz anders. Nämlich so:
Neulich wollte ich mich nach Monaten einmal wieder mit meiner Freundin Karolin (siehe oben) für abends verabreden. Die sagte mir aber eine halbe Stunde vor unserem geplanten Kinobesuch ab, weil der Babysitter zwar pünktlich gekommen war, aber einen schlimmen Schnupfen hatte und sie ihn wieder schicken musste, Worauf die Kinder, die sich auf den Babysitter gefreut hatten, so quengelten, dass sie selbst nun nicht mehr aus dem Haus konnte, und ob ich nicht statt dessen mit ihrem Mann Hendrik – Unidozent und abends seltsamerweise grundsätzlich ausgeruht – den Abend verbringen wollte. Der käme dann direkt von der Uni ins Kino.
Mir auch recht. Nach dem Film gingen Hendrik und ich noch was trinken. Wie es dann so geht, kamen wir auf das Thema Kinder zu sprechen und Hendrik hub nun also nachts um elf zu einem halbstündigen Monolog an, wie er seiner Frau, meiner Freundin Karolin, niemals in den Sinn käme, zum Glück. „Weißt du, mein Leben war ja vorher – also vor den Kindern – quasi vollkommen sinnlos. Immer war ich so – getrieben. Ich war abends viel auf der Pirsch und tagsüber stand meine Arbeit immer total im Mittelpunkt. Das war ja so egoistisch! Seit die Kinder da sind, hat mein Leben erst wirklich einen Sinn. Das ist die totale Erfüllung. Eigentlich weiß ich jetzt erst, warum ich lebe.“
Meine zarten Einwände wie „Ja, aber dann hast du ja auch was falsch gemacht, wenn dein Leben vor der Geburt der Kinder vollkommen sinnlos war, oder wie meinst’n das? Und warum immer auf der Pirsch, du kennst Karolin doch seit zehn Jahren?“ wurden mit ungeduldigen Handbewegungen beiseite gewedelt, und ein Glas Wein später wurde es Hendrik dann ganz ernst: „Du hast ja auch so eine sinnentleerte Existenz, Annette. Immer nur arbeiten, ausgehen, Leute treffen, Spaß haben, wieder arbeiten. Das ist alles nichts. Da fehlt der tiefere Lebenssinn, glaub’s mir. Das wirst du schon noch merken, und zwar bald.“
Seither warte ich, dass ich was merke, aber es tut sich nichts. Das Gespräch erinnerte mich jedoch im Nachhinein stark an eine Situation in einer Talkshow, in der ich vor einiger Zeit zu Gast war und in der mir ein supersympathischer sächsischer Schreinermeister und herzensguter Mensch vor laufender Kamera, live und in Farbe ins Gesicht sagte, dass ich als alleinstehende, alte Frau schon noch bereuen würde, dass ich keine Kinder habe und dass ich einsam, traurig und verlassen (oder war es „verwahrlost“?) sterben würde.
Das kann zugegebenermaßen leicht passieren. Aber auch der Schreinermeister mit seinen fünf bis sieben Kindern kann vereinsamt, traurig, von allen guten Geistern, der Ehefrau und dem Nachwuchs verlassen – und zudem verwahrlost – sterben. Angesichts der Scheidungsrate in unserem Land (derzeit wird jede dritte Ehe geschieden, Tendenz stark steigend), ist dieses Szenario sogar höchst wahrscheinlich.
Das Gespräch mit Hendrik ist ja kein Einzelfall. Dauernd versuchen mich Männer zum Kinderkriegen zu überreden. Ein wahrer Klassiker ist der Satz: „Weißt du, das ist schön mit den Kindern. Ich bin ja so viel ruhiger geworden.“ Dicht gefolgt von: „Ich bin jetzt erst so richtig erwachsen.“ Wahlweise: „Die Geburt meines Sohnes war eigentlich erst das Ende meiner Kindheit.“ Und immer wieder gerne: „Vorher war ich so ein Egoist.“ Aber auch: „Ein Kind, das ist ein wichtiger gesellschaftlicher Beitrag.“
Ja, um Gottes Willen, möchte ich all diesen Männern zurufen, wie egoistisch ist das denn, wenn man die armen Kinder, die sich nicht wehren können, zur eigenen Formvollendung braucht? Und kriege ich irgendwas nicht mit, wenn ich glaube, dass meine Kindheit seit nahezu dreißig Jahren vorbei ist, ich jetzt bereits vollkommen ruhig, ziemlich erwachsen und nur mäßig egoistisch bin? Ist es vermessen, wenn ich glaube, dass es ein großer gesellschaftlicher Beitrag ist, einen spannenden Beruf zu haben, der da draußen in der Welt was bewegt? Ist das ein kleinerer, ein größerer, ein genau so großer Beitrag wie für 1,36 Kinder (die durchschnittliche Geburtenrate pro Frau in Deutschland) die Verantwortung zu übernehmen?
Mit solcherlei Fragen konfrontierte Jungväter gucken verständnislos wie Schafe auf zwei Beinen, während die Frauen/Freundinnen/ Mütter ihrer Kinder eben mal kichernd im Bad oder in der Küche verschwinden, um noch schnell eine Maschine mit Babywäsche zu schleudern oder ein Fläschchen warm zu machen. „Das verstehst du nicht, du hast ja keine Kinder“, murmeln die Männer dann meist kopfschüttelnd in meine Richtung und weisen jeglichen Egoismus ihrerseits weit von sich.
„Es ist fantastisch, wie bunt und bewegt mein Leben geworden ist“, sagte der Mann meiner Freundin Corinna damals, als der gemeinsame Sohn gerade mal zwei Jahre alt war. „Ich will das nicht mehr missen.“ Das wunderte meine Freundin Corinna im Nachhinein doch sehr. Nach ihrer Scheidung vor zwei Jahren erzählte sie mir, dass ihr Mann den häuslichen Trubel kaum aushielt und morgens gerne über eine Stunde früher als vor der Geburt des Kindes ins Büro ging, nur um abends später nach Hause zu kommen. Er tue das nur für sie und das Kind, erklärte er damals Corinna. Wenn er sich um seine Karriere kümmere, dann wäre das auch für die Familie eine solide Basis, auch finanziell.
Sogar mein Ex-Freund, den ich eine halbe Ewigkeit nicht gesehen hatte und vor etwa einem Jahr zufällig bei einer Ausstellungseröffnung wieder traf, erzählte mir, dass sein Leben erst „so richtig rund sei“, seit seine Frau im fernen Köln gerade das dritte Kind bekommen habe (deshalb konnte sie auch nicht bei der Ausstellungseröffnung dabei sein, die er – Professor an der Universität – in Begleitung einer ungewöhnlich gut aussehenden Doktorandin besuchte, die er mir sicherheitshalber nicht mit Namen vorstellte). „Jetzt sind wir eine richtig große Familie, und wenn ich am Wochenende nach Hause komme, dann bin ich bei den Kindern natürlich als Papa äußerst beliebt“, meinte er rasch zu mir, als sich die Doktorandin gerade um den Weißweinnachschub kümmerte.
So sieht das nämlich tatsächlich meistens aus: All diese Sinn-gefunden-Habenden, vor Rührung zerschmelzenden – oft späten – Väter sind meist nicht da, wenn Rotznasen abgeputzt, Windeln gewechselt, Breis gekocht werden müssen. Grundsätzlich weit weg sind sie, wenn man sich als Erziehungsberechtigte unbeliebt machen muss: Wenn Verbote erteilt werden müssen und Weisungen ausgegeben, wenn man festlegt, dass nur eine Stunde ferngesehen werden darf und die Nele nicht das dritte Mal in dieser Woche über Nacht bleiben kann. Wenn die aus Pappkartons errichtete und mit alter Wäsche ausgepolsterte Ritterburg nach vier Tagen im Wohnzimmer abgebaut werden soll, weil man gerne die ganzen Kekskrümel wegsaugen und die Wäsche endlich waschen würde. Wenn man versucht durchzusetzen, dass Reis mit überbrühten Tomaten gegessen wird, weil das eine nahrhaftere Mahlzeit ist als Pommes rotweiß. Wenn man mal entnervt auf die kleinen Pfoten haut, weil die schon wieder den Flur mit Fingerfarbe beschmiert haben und es einem dann sofort leid tut, dass man ein autoritäres und unbeherrschtes Aas war.
Stolz berichten Männer wie Hendrik, was sie mit ihren Kindern alles Tolles unternehmen: Kicken, Schwimmengehen, eine Stunde in den Zoo, Autoteile lackieren, obwohl „Mutti“ das grade letzte Woche erst wegen der giftigen Dämpfe verboten hat. Alles am Sonntag, versteht sich, und „um Karolin zu entlasten“. Unter der Woche vergräbt sich Hendrik gerne in seinem Büro an der Uni. Seinen Fachbereich kenne ich zufällig sehr gut und weiß daher, dass er auf einer Art Vierteldeputat arbeitet. Es besteht für Hendrik also keinerlei Notwendigkeit, 60 Stunden in der Woche an der Uni zu verbringen, es sei denn, er will es so.
Der Uni-Professor ist immerhin voller Professor, aber auch er könnte theoretisch seine Vorlesung und Lehrveranstaltung auf drei Wochentage legen statt sie über volle fünf zu verteilen. Als ich dies beim dritten Glas Weißwein und im Beisein der Doktorandin anspreche, entrüstet sich mein Ex. „Um Gottes Willen, aber wie stellst du dir das vor? Schließlich habe ich meine Verpflichtungen. Sprechstunden, Forschungsprojekte usw. Und außerdem, wozu? Die Sabine kümmert sich toll um die Kinder und macht das gerne.“
Keiner der Männer, die mir in weinseligen Kontexten und mit umflorten Blicken erzählen, dass ihr Leben erst einen Sinn hat, seit sie Kinder haben, hat Elternzeit genommen oder es auch nur erwogen. Auch in den aufgeklärtesten Beziehungen herrschen Verhältnisse wie in einer Wirtschaftswunderehe der 50er Jahre: Papa geht arbeiten, Mama bleibt daheim.
Interessant sind die Reaktionen, wenn man Männer wie Hendrik oder den Ex fragt, warum sie nicht nach der Geburt der Kinder zu Hause bleiben und sich der Aufzucht ihrer kleinen Sinnstifter widmen. „Ich will ja nicht verblöden“, sagt der Ex unumwunden – zugegebenermaßen nach dem vierten Glas Weißwein und mittlerweile sehr dicht an die Doktorandin gepresst, deren schöner Mund von einem triumphierenden Lächeln umspielt wird.
„Ja, und meine Karriere?“ fragt Hendrik, und ich beiße mit gerade noch auf die Zunge, als ich ihn fragen will, wie er eigentlich auf die Idee kommt, mir sein Vierteldeputat als Karriere verkaufen zu wollen. „Bei Karolin hat sich ja nach der Promotion erst mal jobmäßig nichts ergeben“, fährt er mit ungebrochenem Selbstbewusstsein fort und hofft wohl, dass ich nicht weiß, dass er noch immer an seiner Dissertation schreibt und ein Ende so schnell nicht in Sicht ist.
Das von meinem Ex spontan geäußerte „Ich will ja nicht verblöden“ ist ein Satz, den ich häufig höre. Seit sich auch mehr und mehr Frauen der Verblödung durch Nur-Hausarbeit-und-Kinderaufzucht widersetzen, jammern vor allem gerne Männer wie Frank Schirrmacher, die selbst keinen halben Tag zu Hause bleiben würden, über die Kinderlosigkeit der Deutschen und propagieren die Rückkehr zu einem traditionellen Familienmodell und einem Frauenbild aus der Vormoderne.
Lediglich fünf Prozent der Elternzeitnehmer in Deutschland sind derzeit Männer, und ein Umdenken ist nicht in Sicht. Zum Vergleich lohnt ein Blick nach Nordeuropa: In Schweden nehmen 35 Prozent der Väter Elternzeit, in Norwegen sind es beeindruckende 80 Prozent, in Island sogar 85 Prozent. Interessanterweise sind es auch genau die Länder, in denen der prozentuale Anteil arbeitender Frauen höher ist als bei uns. In Deutschland ist nur jede vierte Frau finanziell unabhängig, in den skandinavischen Ländern sind es weitaus mehr. Damit dürfte sich auch die Gefahr der Verblödung drastisch reduzieren, und zwar bei beiden Geschlechtern. Ein schöner Nebeneffekt des ganzen Gefüges: Über Geburtenrückgang muss sich in diesen Ländern ebenfalls niemand beklagen, weswegen der Trend dort ganz selbstverständlich zum zweiten und auch dritten Kind geht.
Bei einer Minderheit der Männer in Deutschland sieht es so aus, dass sie die Elternzeit furchtbar gerne nehmen würden, die Unternehmenskultur, der angedrohte Karriereknick oder die hochgezogenen Augenbrauen der Kollegen ihnen aber dummerweise einen dicken Strich durch die Rechnung machen. Doch der Großteil der Männer ist in Wirklichkeit ganz froh, dass sie sich hinter solchen Argumenten verschanzen können, und wenn man ihnen genau auf den Zahn fühlt und sie ehrlich sind, dann kommen die wahren Gründe durchaus zur Sprache: Sie fürchten die grauenvolle Gemengelage von geistiger Unterforderung bei gleichzeitiger organisatorischer Überforderung, die ein Kind und erst recht mehrere und ein Haushalt, den man zudem führen muss, zwangsläufig mit sich bringen.
Dagegen ist es im Büro vergleichsweise übersichtlich, vor allem aber hat man seine Ruhe, teilt sich den Großteil der Arbeit selbst ein, und zugleich tut man etwas, bei dem man nicht wieder jeden Tag – wie Mutti zu Hause – ganz von vorne beginnen muss. Fast das Wichtigste aber: Im Job bekommt der Mann – auch wenn es mal rau zugeht und er Rückschläge einstecken muss – die Anerkennung (auch finanziell), die ihm zwischen Windeleimer und Spielplatz verwehrt bleibt.
Aber ist es da nicht ganz wunderbar, wenn man das Beste aus beiden Welten haben kann und abends den beiden Kleinen noch zehn Minuten lang eine Gute-Nacht-Geschichte vorliest und am Wochenende mal mit dem Zwerg eine Stunde ins Schwimmbad geht? Das addiert doch noch mal Lebenssinn und Anerkennung zu dem Sinn und der Anerkennung, die der Mann bereits in seinem Broterwerb findet, und deshalb gucken junge Väter auch meist genuin glücklich aus der Wäsche. „Ich bin froh, dass ich tagsüber im Büro bin und keine Kinder hüten muss“, schrieb Martin Roos, Redakteur bei karriere jüngst unumwunden in seinem Artikel 'Der moderne Mann und ich.' Wie fänden Sie es, wenn eine junge Mutter das mal so hinschriebe?
Das Allensbach-Institut hat im August 2005 in einer Umfrage (Mehrfachnennungen waren möglich) ermittelt, dass Männer die Elternzeit nicht nutzen, weil sie finden, dass: die Karriere vorgeht (55 Prozent), Kinderbetreuung Frauensache ist (55 Prozent) und sie sich ungeeignet für die Rolle fühlen (37 Prozent). Der stattliche Anteil von 35 Prozent gab an, dass sie Angst vor Statusverlust haben und beeindruckende 74 Prozent fürchteten Nachteile im Job oder substantielle Einkommensverluste (82 Prozent).
Stellen wir uns jetzt vor, dass Frauen so begründen, warum sie sich auf Kinder erst gar nicht einlassen wollen. Würden sie nicht als karrieregeile, herzlose, hedonistische, egoistische Monster beschimpft? Haben Sie schon ein Mal gehört, dass eine Frau sich hinstellt und sagt, sie fühle sich ungeeignet „für die Rolle“ als Hausfrau und Mutter? Das trauen wir uns doch gar nicht, weil wir fürchten, dann endgültig von Männern wie Hendrik gebrandmarkt zu werden. Die uns jetzt noch im Guten bekehren wollen, deren Stimme aber schon gefährlich kippt, wenn sie bei uns nicht die gewünschte Zerknirschung über unser kinderloses Schicksal, sondern Argumentationsfreude, Renitenz und dazu noch Spaß am eigenen kinderlosen und berufstätigen Dasein spüren.
Hätte ich zu Hause keinen Mann, sondern eine nette Hausfrau, die gut ausgebildet aber derzeit arbeitslos sich fast ausschließlich um mein Wohlergehen nach Feierabend Sorgen macht, dann würde ich mich sofort an die Zeugung meiner ein bis zwei Kinder machen, denn das bisschen zeitlichen und emotionalen Aufwand, das ich in diese investieren müsste, das killt mir dann zum Glück noch nicht die Karriere. Allen meinen Freunden könnte ich erzählen, wie viel mehr Sinn mein Leben jetzt hat. Vielleicht frage ich mal Eva Herman, ob sie Lust auf so ein Beziehungsmodell mit mir hätte.
Annette C. Anton
Die Autorin, 43, ist Verlagsleiterin in Frankfurt, kinderlos und Autorin von ‚Raus aus der Mädchenfalle’ (Bloomsbury Verlag Berlin).