Menschen: Byambasuren Davaa - die

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Sie kommt aus der Mongolei, macht Filme in München und hat es schon bis Hollywood geschafft. Die Filmemacherin erzählt uns Märchen vom Umbruch der Kulturen.

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Annika will ein Autogramm. Byambasuren Davaa strahlt das Mädchen an und fragt: „Schreibt man das Anton, Nordpol, Nordpol, Ida, Karl, Anton?“ Die nächste in der langen Schlange ist eine alte, zittrige Frau. „Für Christel, bitte.“ Mit engelsgleicher Geduld kritzelt die zarte Frau mit dem Fransenhaarschnitt und dem schwarzen Stricktop in der Bonner Bundeskunsthalle sehr viele Male ihren Namen auf den Promotion-Flyer ihres neuen Films.

Das Foto auf dem Flyer zeigt die Regisseurin im violett-blauen Deel, dem mit Fell gefütterten Seidenmantel der mongolischen Nomaden. Den trug sie, als sie im Januar 2004 mit dem Jeep durch den Nordwesten der Mongolei rumpelte, um eine Nomadenfamilie zu suchen, die in ihrem neuen Filmprojekt die Hauptrolle spielen könnte. In der Gegend, in der ihre Mutter aufgewachsen war, fand Byambasuren die Familie Batchuluun. Und mit ihr Nansaa, die sechsjährige, überaus eigenwillige Tochter, die die Filmemacherin erst mit einem Fachgespräch über Schafe überzeugen konnte, ihre Heldin in der ‚Höhle des gelben Hundes‘ zu werden.

Erste Szene: Endlich Sommerferien. Vorsichtig hilft die Mutter Nansaa aus der Schuluniform. Jetzt wird gespielt. Mit Schafsdung. Nansaa türmt die getrockneten braunen Platten übereinander. „Das ist ein Hochhaus. So sieht es in der Stadt aus“, erklärt sie ihrer kleinen Schwester. „Dann würde ich aber ganz oben wohnen“, kräht die Kleine. „Damit ich direkt unter dem Himmel bin!“

So oder so ähnlich dürfte es auch zugegangen sein, wenn die Regisseurin selbst damals aus ihrer Schule in Ulan Bator in die Steppe stürmte, um den Sommer im Zelt ihrer Großmutter zu verbringen. Die alte Mongolin hatte Zeit ihres Lebens als Nomadin gelebt, und auch Byambasurens Mutter ging erst mit 16 in die Hauptstadt, um dort sesshaft und Buchhalterin zu werden. Ihr Vater, ein Bauingenieur, war als Kind Nomade gewesen.

„Ich bin die erste Generation, die in der Stadt geboren ist“, erzählt die 33-jährige Byambasuren, kurz: Byambaa. Wie ihre Heldin Nansaa steht sie an der Schnittstelle zwischen Tradition und Moderne, zwischen Nomadenkultur und Stadtleben, zwischen Erde und Himmel. Wie Nansaa konnte sie es „gar nicht erwarten, in den Ferien aus der Stadt rauszukommen!“ Natürlich kann die Regisseurin reiten, und zwar Pferde wie Kamele.
 
Aber es waren auch die Märchenstunden der Großmutter, die Byambaa so liebte. Wenn sie und ihre sechs Geschwister sich unter den Decken im Zelt aneinanderkuschelten, erzählte die alte Frau ihnen jene Sagen und Mythen, die ihre Enkelin später ohne Rücksicht auf westliche Sehgewohnheiten verfilmte. Zum Beispiel die ‚Geschichte vom weinenden Kamel‘. Oder eben die Fabel von der ‚Höhle des gelben Hundes‘, den die kleine Nansaa beim Dungsammeln findet und gegen den Willen des Vaters behält. „Auch ich habe als Kind gegen alles rebelliert“, erzählt Filmemacherin Davaa. Man hatte es sich fast gedacht. „Und ich war sehr unternehmungslustig.“ Klar. Wie aber kommt eine junge Frau, selbst wenn sie sehr unternehmungslustig ist, aus der Mongolei an die Münchner ‚Hochschule für Film und Fernsehen‘? Sie wird zunächst Moderatorin und Regieassistentin beim Mongolischen Staatsfernsehen. Sie will dann selber Filme machen, studiert ein paar Semester an der Filmhochschule von Ulan Bator. Sie weiß, dass die Münchner HFF erstens eine der renommiertesten Filmhochschulen Europas ist, an der man zweitens umsonst studieren kann. Und sie hat einen Freund, der zu Zeiten, als die damalige Mongolische Volksrepublik noch unter UdSSR-Fittichen stand, in der DDR studiert hatte und Deutsch spricht.

Ihr Freund Batbayar wählt die Nummer der HFF – und hat irgendeinen Münchner am Telefon. Die Nummer ist falsch. Telefonieren ist teuer. Die Verständigung zwischen einem Bayern und einem Mongolen schwierig. Aber der Münchner begreift. Er gibt dem Anrufer seine Faxnummer und schickt Byambaas Fax weiter an die HFF. Im Winter 1999 kommt Byambasuren Davaa am Münchner Hauptbahnhof an. Im Winter 2004 ist ihr ‚Kamel‘, ein Übungsfilm für die Uni, für den Oscar nominiert.

„Ich habe selbst immer geglaubt, dass es im Westen ein besseres Leben gibt“, sagt die Regisseurin. „Aber ich habe auch gemerkt, dass die Menschen hier gewisse Sachen verloren haben.“ Sie beginnt, halbdokumentarisch die Märchen ihrer Großmutter zu verfilmen, die den Respekt vor Steppengras und Schafen zeigen. Und die gleichzeitig die Geschichten einer untergehenden Kultur sind. Noch im Jahr 2000 lebten 40 Prozent der Mongolen nomadisch, heute ist nur noch ein Viertel der Bevölkerung nicht sesshaft. Der Aufbruch in die freie Marktwirtschaft, Klimaveränderungen und das Fernsehen haben immer mehr Familien in die Städte getrieben beziehungsweise gelockt.

„Ich möchte nicht beurteilen, ob diese Entwicklung gut oder schlecht ist, ich möchte sie nur zeigen. Jeder kann dann aufgrund seiner eigenen Erfahrungen entscheiden.“ Während die gestressten Westler in ihren Kinosesseln stöhnten, als ein plärrender Fernseher im Nomadenzelt das Ende der Unschuld ankündigt, lobten die mongolischen Zuschauer die Regisseurin dafür, dass sie die Aufgeschlossenheit der Nomaden gegenüber technischen Errungenschaften gezeigt hatte.

„Ich will niemandem vorschreiben, wie er zu leben hat“, sagt Byambasuren Davaa. Schließlich ist sie die Frau der Schnittstellen. Zwischen Deel und Stricktop, zwischen Schafsdung und Hochhaus, zwischen Nomadenzelt und Filmstudio.
EMMA 5/2005

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