Menschen: Stolze Tochter
Österreich wird in seiner Hymne weiterhin das Land der "stolzen Söhne" bleiben. Dabei hat das Land nicht nur die stolze Christl aus Oberösterreich.
Christina Stürmer ist einer jener Menschen, die eigentlich jeder mag. Sie macht Rockmusik, vor der sich niemand fürchten muss, und trägt jene Art Piercings, die sogar Großmütter süß finden. Sie singt auf deutsch, sodass jeder sie versteht. Was sie sagt, ist schnoddrig, ohne verletzend zu sein. Sie mag Pizza und Espresso, Kaugummi und Grillkoteletts. Dass sie aus einem kleinen oberösterreichischen Dorf stammt, verleiht ihr sympathische Bodenständigkeit.
Und dass sie 1,5 Millionen Tonträger verkauft hat, macht sie zu einer begehrten Werbeträgerin. Für McDonalds hat die 27-Jährige schon geworben und für Eskimo. Sie hat Benefizkonzerte für behinderte Kinder gegeben und sich für die Opfer der Tsunami-Katastrophe engagiert. Sie ist für den Umweltschutz, für den Frieden, gegen den Irak-Krieg und für die Gleichberechtigung der Geschlechter.
Nein, radikal sei sie nicht, ganz bestimmt nicht, sagt sie bei jeder Gelegenheit, die sich ihr bietet, und Männer möge sie ja auch, ganz besonders ihren Freund, den Schlagzeuger. Aber dass Männer und Frauen gleich viel wert seien, sei doch, bitteschön, eine Selbstverständlichkeit.
Kein Wunder also, dass Christina Stürmers Name fiel, als das österreichische Bildungsministerium eine Werbeträgerin für seine aktuelle Image-Kampagne suchte. Schon seit Jahren versucht Bildungsministerin Claudia Schmid, mehr oder weniger verzweifelt, die Erstarrung im österreichischen Schulsystem aufzubrechen – gegen den erbitterten Widerstand der Lehrergewerkschaft. Ein bisschen Pop könnte dabei helfen, dachten ihre PR-Berater; eine eingängige Melodie, mit der Christl Stürmer, das nette Mädchen von nebenan, zur Förderung der Talente der heimischen Kinder aufruft.
Wo diese Talente doch sogar in der Bundeshymne stolz besungen werden: „Heimat bist du großer Söhne, Volk, begnadet für das Schöne, viel gerühmtes Österreich“, heißt es da. Ergebnis dieses raffinierten PR-Plans war ein eineinhalbminütiger TV-Werbespot, der Anfang des Jahres erstmals zur besten Hauptabend-Sendezeit über die Bildschirme lief. Darin hörten die Zuschauer die wohlbekannte Melodie ihrer Hymne – allerdings nicht im vertrauten weinerlich-greinenden Ton, der bei olympischen Siegerehrungen üblich ist, sondern in Stürmers Rockversion mit Schlagzeug und Gitarre.
Und, ach ja, zwei Worte hat die nette Christl dem Text noch hinzugefügt. „Heimat bist du großer Söhne und Töchter“, singt sie. Sie singt es laut.
Und schon steckte das Land mitten drin in einer Debatte um die Gendergerechtigkeit der österreichischen Hymne. Sei es nicht endlich an der Zeit, den Text den gegenwärtigen Gesellschaftsverhältnissen anzupassen? Könne man den Text, im Gegenteil, nicht einfach als historisches Dokument akzeptieren, ein für alle mal? Sei die Zeile „Land der Hämmer, zukunftsreich“ nicht ebenso antiquiert wie die „Söhne“-Zeile? Überhaupt: Wer darf den Hymnentext eigentlich ändern? Und habe das Land denn nicht wichtigere Sorgen?
Die Boulevardzeitungen freuten sich über den Aufreger und schürten eifrig die Flammen. Qualitätsblätter machten sich an die Analyse sämtlicher europäischer Hymnentexte und kamen zu dem Schluss, dass es anderswo nicht viel gendergerechter zugehe: „Viele Brüder, keine Schwestern, etwas Blut und wenig
Wein“, lautet das zusammenfassende Urteil der Tageszeitung Die Presse. Die sozialdemokratische Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek trug die Angelegenheit schließlich in den Ministerrat. Dort wurde ihr Wunsch nach derklitzekleinen Textänderung noch nicht einmal diskutiert.
Doch hatten wir diese ganze Debatte nicht schon mal? Nicht nur einmal, sondern
mehrmals, lautet die Antwort. Zuletzt hatte die konservative Frauenministerin Maria Rauch-Kallat einen ganz ähnlichen Vorstoß gewagt. Es sei nun „Zeit, für eine überparteiliche Initiative zu kämpfen“ sagte Rauch-Kallat und versprach, das Thema nicht mehr ruhen zu lassen. Ihr ist anzumerken, dass ihr Groll gegen die Männerbünde in ihrer Partei in den letzten Jahren noch gewachsen ist.
Seltsam unzerzaust bleibt inmitten des Orkans nur jene Person, die die inkriminierten zwei Worte stimmgewaltig in die Welt gesetzt hat: Christina Stürmer. Nein, sie verstehe eigentlich gar nicht, warum sich alle so aufregen, sagt sie. Ja, selbstverständlich sei die ganze Aktion sowohl mit der Bildungsministerin als auch mit der Frauenministerin abgesprochen gewesen, gibt sie zu. Ja, selbstverständlich habe sich ihr Management vorher erkundigt, ob es rechtlich okay sei, die Hymne nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich ein bisschen aufzupeppen. Und selbstverständlich habe sie auch überhaupt nix dagegen, wenn ihr Bild, im Namen einer ehrenwerten Sache, mal wieder auf allen Zeitschriftencovers des Landes zu sehen sei. Es sei schließlich ein bisschen still geworden um sie im letzten Jahr, sagt sie, und die aktuelle Platte sei gar nicht so gut gelaufen.
Da ist sie wieder, die nette Christl aus Oberösterreich. Das ehrliche, bodenständige Mädel, das mit beiden Beinen im Leben steht, und dem man so schnell kein X für ein U vormachen kann. Und wer kann einer wie ihr schon böse sein?