Alice Schwarzer schreibt

Merkel: Das Konzept Gleichheit

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Gleiche Schuhe, gleiche Schirmkappe, ähnliche Hosen. Und die karierte Bluse vom letzten Jahr... und vorletzten... und vorvorletzten. Aber das ist nicht gestrig. Und schon gar nicht peinlich. Das ist einfach angemessen.

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„Sie spielt das Spiel einfach nicht mit, das von Frauen auf dieser Ebene erwartet wird, perfektes Makeup, teure Designerkleider“, schwärmte jüngst die englische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie. „Und sie ist sogar sehr resolut darin, nicht zu lächeln. Für mich verkörpert sie all das, wofür der Feminismus gekämpft hat.“ Recht hat McRobbie. Und sie fügte hinzu: „Sie könnte nur ein wenig mehr Engagement zeigen, wenn es um Frauenpolitik geht.“ Auch damit hat sie recht – aber das ist wieder ein anderes Thema.

"Sie verkörpert all das, wofür der Feminismus gekämpft hat." McRobbie

Reden wir also von der feministischen Modeikone Merkel. Beim Treffen mit den Kollegen Weltlenker: Anzüge, bei denen sich höchstens die Farbe des Jacketts schon mal unterscheidet. Der Effekt ist gut, denn er signalisiert: Ich bin gleich, nur etwas besonderes. In der Freizeit: ein Look, der sich daran orientiert, praktisch zu sein und bequem – und der darum ganz ähnlich ist wie der des Mannes an ihrer Seite. Unisex-Look. Schließlich stellen die gemeinsamen Bergwanderungen auch gleiche Anforderungen an Mann wie Frau.

Dieser Stil ist neu für eine Staatschefin. Merkel, die deutsche Physikerin aus der DDR, hat ihn erfunden. Doch wie haben ihre Vorgängerinnen das gehalten?

Die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir (1969-1974) war, in der Stunde der Not, die mannlose Mutter der Nation: in weichen, wadenlangen Oma-Kleidern. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher (1979-1990) gab uns in der Stunde der eisernen Faust die Domina: mit einem Ehemann, der (vermutlich zu unrecht) als unterdrückter Trottel galt; in strengen Tailleurs und hochhackigen Schuhen, gekrönt von einer Beton-Dauerwelle, die signalisierte: Wer mich durchwuschelt, kriegt was mit dem Lineal auf die Finger.

Die DDR-Physikerin hat einen neuen Stil erfunden.

Die Ex-First-Lady und Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton schließlich, die gerade zum zweiten Mal antritt, versucht es immer allen recht zu machen, bis zur Selbstverleugnung. Als die von Bills Sexaffären öffentlich gedemütigte First Lady buk die einstige Staranwältin demonstrativ Kuchen und wechselte gefühlte einmal in der Woche die Frisur. Auch als Außenministerin bzw. Präsidentschaftskandidatin gab es häufig wechselnde Frisuren; darunter mal ein übermütiger Pferdeschwanz für die Mittsechzigerin. Jetzt, zum Start ihrer zweiten Präsidentschaftskandidatur, geht Hillary auf Nummer sicher: Perlenkette, Perlenohrringe, Kostüme in optimistisch leuchtenden Farben. Wirkt alles ein bisschen synthetisch und kalkuliert. Kurzum: Unauthentisch und langweilig. 

Auch die aktuellen Staatschefinnen kleinerer Länder, wie die Kroatin Kolinda Grabar-Kitarovic, sind betont bemüht zu demonstrieren, dass sie zwar mächtig, aber dennoch ganz Frau geblieben sind. Die sichersten Signale für diese bigotte Demutsgeste sind: Röcke statt Hosen sowie hohe Absätze, je höher, je „weiblicher“.

Und was sagt
Karl Lagerfeld
eigentlich dazu?

Hingegen die deutsche Bundeskanzlerin. Da können wir über Mangel an Coolness und Authentizität nicht klagen. In Zeiten des High-Heels-Geklappers trägt sie immer flache Schuhe – außer beim unvermeidlichen Wagner-Festival in Bayreuth (Ihr diesjähriger Kommentar zur Aufführung: „Es hat mir gut gefallen.“). Auf dem roten Opern-Teppich erlaubt sie sich – neben ihrem Ehemann in Lackschuhen, Smoking und Fliege – auch schon mal kleine Prinzessabsätze, passend zum Taftensemble.

Aber ihre Berufskleidung! Zugegeben, die Anzüge könnten besser geschnitten sein. Aber das ist egal, findet sogar der ansonsten kompromisslos arrogante Karl Lagerfeld. Diese Frau kann anziehen, was sie will. Sie hat keine Zeit zu verlieren mit dem ganzen Mode-Tüdelitü. Sie muss regieren – nicht gefallen. 

An ihren Taten sollt ihr sie messen.

Alice Schwarzer

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Sex & Macht: Kopf oder Körper?

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Sie trägt Stöckelschuhe und einen engen Rock. Roten Lippenstift. Das Haar ist lang und offen, im Nacken gewellt. Sie steht am Fenster, die Arme verschränkt. Das Gesicht ist ernst, dabei glatt und hell wie eine Wasseroberfläche. Wie immer, wenn sie eine Entscheidung treffen muss, die über ihre Zukunft entscheiden wird und die Zukunft der Vereinigten Staaten.

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In der Fernsehserie „Welcome Ms. President“ steht eine klassisch schöne, sexuell attraktive Frau an der Spitze der USA. Ein Maximum an traditioneller Weiblichkeit verbindet sich mit einem Maximum an Macht. Feministische Utopie? Männerfantasie?

So etwas gab es jedenfalls noch nicht – bis jetzt. Jetzt hat Ségolène Royal die Bühne betreten. Auf Stöckelschuhen. Wie die Präsidentin im Fernsehen trägt sie die Haare lang und offen, häufig im Nacken onduliert. Sie tritt auf in engen Röcken und taillierten Jacken in leuchtendem Rot, trägt ein sinnliches Makeup und auffallenden Schmuck, der ihr Dekolletée betont. Ségolène Royal, französische Präsidentschaftskandidatin, wäre die erste klassisch schöne Frau, die in einer westlichen Demokratie an die Macht kommen würde. 

In einer Sphäre, in der Frauen wie Angela Merkel oder die finnische Präsidentin Tarja Halonen das Bild prägen, Frauen, die ihre Körper unbetont lassen wie einst ein Adenauer oder Churchill. Royal wäre die erste Frau in der politischen Elite, deren sexuelle Attraktivität noch nicht gemindert ist durch Alter, wie bei einer Hillary Clinton; nicht gezähmt durch eine damenhafte Aufmachung, wie im Fall der EU-Außenamtschefin Benita Ferrero-Waldner (die die Wahl um die österreichische Präsidentschaft nur knapp verloren hat); nicht aufgehoben durch eine mädchenhafte Frisur und ein sachlich-schmuckloses Outfit wie im Fall der deutschen Familienministerin Ursula von der Leyen; nicht ins Ikonenhafte entrückt durch nationale Symbolik, wie bei Julia Tymoschenko, der ehemaligen ukrainischen Premierministerin, deren blondiertes, streng geflochtenes Haar bäuerliche Tradition imitiert.

Clinton, Ferrero-Waldner, von der Leyen und Tymoschenko sind klassisch schöne Frauen, aber ihre sexuelle Attraktivität ist verschleiert. Keiner dieser Schleier ist ein zufälliger oder natürlicher; selbst das Alter Clintons nicht, sie hätte ja früher politische Ambitionen entwickeln können, wie ihr Mann. Sie hätte als „schöne Frau“ antreten können, mit ihren langen Haaren, ihren weichen Zügen. Sie hat es nicht getan.

Die Französin Royal dagegen ist ohne Wenn und Aber eine Schönheit. Trotz ihrer 53 Jahre. Ihre sexuelle Attraktivität ist unverschleiert. Royal könnte die Hauptrolle in einem Liebesfilm spielen. Wir hören die Alarmglocken. So klassisch solche Schönheit ist, so klassisch ist fast schon der Patriarchatsverdacht, unter dem sie steht. „So“ sahen lange die Frauen aus, die nur Anhängsel von Männern waren, „so“ würden auch heute viele Frauen nicht herumlaufen. Für viele junge Frauen ist es ein wichtiger symbolischer Schritt, sich die langen Mädchenhaare abzuschneiden. Viele beschränken sich im Alltag auf Jeans und andere Unisex-Kleidung, halten bewusst Abstand zu einem Schönheitsideal, das sie als sexistisch empfinden.

Wenn wir uns an die Häme erinnern, die Angela Merkel entgegenschlug, bis sie, den öffentlichen Forderungen gemäß, „modischer“ und „weiblicher“ wurde, muss Royals Erscheinung wie vorauseilender Gehorsam wirken. Anstelle des schulmeisterlichen Lobes, das Merkel bekam, als sie endlich Mode- und Stilbewusstsein zeigte, reagierte man auf Royal von Anfang an mit Euphorie. Quelle femme! Was für eine schöne Frau!

Es ist keine Frage, dass Royal männliche Erwartungen erfüllt. Aber Männer, die sich sexuell attraktiv machen – nehmen wir zwei Klassiker: Sean Connery als James Bond und Jim Morrison, Sänger der Doors, – erfüllen damit ja auch weibliche Erwartungen. Es ist ihr Ziel, genau das zu tun. Die Frage ist vielmehr: Kann eine Frau sich sexuell attraktiv machen und gleichzeitig „eine autonome Aktivität“ sein (wie Simone de Beauvoir es formulierte), selbstbewusste Sexualpartnerin und anerkannte öffentliche Person? Kann eine Frau, die so sexy ist wie ein Sean Connery, auch James Bond sein? Das heißt, erstens: Läßt eine Gesellschaft sie überhaupt Geheimagentin werden (oder Chefin oder Präsidentin)?

Und zweitens: Wird die Frau auch in ihrer sexuellen Attraktivität als „eine autonome Aktivität“ wahrgenommen oder im Gegenteil als „Objekt“ männlicher Erwartungen? Erscheint uns Ségolène Royal in ihrer sexuellen Attraktivität als schwach, als abhängig von Männern? Trauen wir ihr die Präsidentschaft zu, obwohl sie so aussieht? Denken wir: Sie hat Erfolg, weil sie so aussieht? (Würden wir so über James Bond denken?) Die „schöne Frau“, mit langem Haar und auf hochhackigen Schuhen, ist wahrscheinlich das Symbol des „Patriarchats“. Beinahe so, wie der dicke Unternehmer mit Melone und Zigarre einst das Symbol des „Kapitalismus“ war. Beide wurden zu Fetischen, schienen ein Herrschaftsverhältnis gewissermaßen zu verkörpern. Der Kapitalismus steckte im Kapitalisten, die schöne Frau musste – zumindest in ihrer Schönheit – Opfer sein.

Weibliche Schönheit und sexuelle Attraktivität wurden seit jeher in enge Grenzen verwiesen. Heiratsfähige Mädchen durften und sollten sie zuweilen zeigen – aber nur bis zur Heirat. Dann folgten Schwangerschaft und Mutterschaft, „aufreizend“ zu sein, geziemte sich nicht mehr. In den oberen Schichten, die neben dem alltäglichen auch ein „gesellschaftliches“ Leben führen, sind weibliche Schönheit und Attraktivität seit jeher erlaubt, gar gefordert – aber nur als Statussymbol. Auf Opernbällen und Oscarverleihungen sind tiefe Dekolletées rein symbolisch, ohne Bedeutung für den konkreten Anderen, mit dem eine Frau sich unterhält. Sexuelle Reize sind keine Signale von Verfügbarkeit, sondern richten sich ausschließlich an ein Publikum, eben die „Gesellschaft“.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreiteten Film, Mode und Reklame das Ideal sexueller Attraktivität auch in der Mittel und Unterschicht. Es war eine Zeit der Doppelmoral. Frauen sollten aussehen wie die berühmten „Sexsymbole“, zugleich aber einer christlichen Sexualmoral gehorchen, die alles, was Männer „in Versuchung“ bringt, verdammte. Die „Sexsymbole“ waren selbst ein Kompromiss: Einerseits durften Frauen erstmals körperlich-erotisch auftreten wie bis dahin nur Männer (man denke nur an die halbnackten, muskulösen und ölglänzenden Helden der Sandalenfilme). Andererseits mussten die Frauen die Stärke ihrer sexuellen Präsenz mit der Schwäche ihrer Person bezahlen.

Mit anderen Worten: Die neu entwickelten Sexbomben wurden sofort wieder entschärft. Kim Novak, Marylin Monroe, Gina Lollobrigida, Sophia Loren, Brigitte Bardot – sie alle spielten Frauen, die hilflos und kindlich schienen, deren männliche Counterparts umso stärker und, häufig schon aufgrund ihres höheren Alters, väterlich überlegen wirkten. Sah das Christentum in der Frau als der „Verführenden“ immerhin eine aktive Person, tat die Kullturindustrie nun alles, um die erotische Frau passiv zu zeichnen. Aus attraktiven Frauen wurden Attraktionen. Genau in dem Moment, als das Ideal sexueller Attraktivität sich weitgehend durchgesetzt hatte, während der „sexuellen Revolution“ der sechziger Jahre, entstand eine Frauenbewegung, die weibliche Schönheit und Attraktivität erneut problematisierte.

So „sexy“ waren gewöhnliche Frauen noch nie gewesen: Sie trugen ihre Haare lang und offen, dazu kurze Röcke, hohe Stiefel. Gleichzeitig waren sie politisch aktiv, studierten, arbeiteten. Auch in der Mode passierten sie die Grenzen des traditionell Weiblichen. Sie ließen das Makeup weg, trugen Hosen und Jacketts. Sie schnitten sich die Haare kurz wie die Männer. Die Polarität zwischen den Geschlechtern nahm ab. Die Sexualisierung des Alltags beförderte aber zugleich das alte Konzept des Sexsymbols. Es wurde (und ist bis heute) ein Bestseller im Film, in der Mode und in der Werbung. Und wurde radikalisiert von einer neuen Pornoindustrie. Eine Zeitlang war alles in der Schwebe.

Dann wuchs in der Frauenbewegung der Widerstand gegen ein Bild weiblicher Attraktivität, das – noch immer oder wieder – im Gegensatz zum Auftreten von Frauen als öffentliche Personen zu stehen schien. Man könnte sagen: Zum zweiten Mal hatte es die Kultur- (und Porno-)Industrie geschafft, weibliche Sexualität zu besetzen. Das Sich-schön-machen, so lautete die feministische Kritik, diene Frauen als Ersatz für eine Welt, von der sie ausgeschlossen seien, es lege sie fest auf den Status eines sexuellen Objekts, folge den Erwartungen der Männer und werde von einer profitgierigen Industrie gefördert und ausgebeutet. Immer mehr Frauen mieden alles, was traditionell als sexy galt.

Frauen kleideten sich schlicht und zweckorientiert, was bis dahin den Männern vorbehalten gewesen war. In den sechziger Jahren hatte eine „burschikose“ Frau (wie Audrey Hepburn), umso zarter und mädchenhafter sein müssen. In den Achtzigern trauten sich Frauen, männlich zu wirken (wie Anni Lennox). Diesen Look wählten dann auch viele Frauen, die sich selbst als Feministinnen verstanden. Es war Rückzug und Vorstoß zugleich.

In den sechziger und siebziger Jahren hatte sich in den Protestbewegungen eine neuartige Körperpolitik entwickelt. Eine Politik des Andersaussehens, von der sich die Menschen gesellschaftliche Veränderungen erhofften. Anderes Aussehen hatte nicht mehr nur symbolischen Wert (wie einst die Arbeitshosen der Sansculotten), sondern galt selbst schon als Befreiung. Auf die Sexualisierung des eigenen Aussehens in der „sexuellen Revolution“, der ersten Phase der Körperpolitik, folgte nun die Entsexualisierung des eigenen Aussehens in der neuen Frauenbewegung. Auf die radikale Tat des Minirocktragens oder gar öffentlichen Entblößens (einer Uschi Obermaier), die sich gegen das Gebot richtete, eine „Heilige“ zu sein, folgte die radikale Tat, sich wie ein Mann zu kleiden, die sich gegen Gebot richtete, eine „Hure“ zu sein – also durch die eigene Aufmachung permanent Begehren zu wecken.

Frauen, die politische Macht anstrebten, hatten in dieser Zeit eine schwierige Balance zu meistern. Sie mussten in ihrer Erscheinung ihre Weiblichkeit betonen, um, trotz Machtwillens und Machtausübung, noch als „richtige Frau“ zu gelten. Zugleich mussten sie diese Weiblichkeit in engen Grenzen halten, um nicht von vornherein als ungeeignet für die Macht zu gelten, stand das Wesen der „Weiblichkeit“ doch der Machtausübung entgegen. Einer Marylin Monroe, beziehungsweise den Charakteren, die sie spielen musste, hätte man die Staatsgeschäfte nicht überantwortet.

Margaret Thatcher, die 1979 britische Premierministerin wurde (mit 53 Jahren, in demselben Alter, in dem Ségolène Royal heute ist), wählte die scheinbar einzig mögliche Lösung – die der strengen „Dame“. Die Dame ist ausgesprochen weiblich, modebewusst und geschmackssicher, sie trägt roten Lippenstift, auffallenden Schmuck, enge Kleider und hochhackige Schuhe. Doch zugleich zeigt sie durch Frisur, Gesichtsausdruck und Körperhaltung, dass sie bereits eine „ältere Frau“ ist. Thatcher fand diese Balance, das Modell der Dame, bereits vollendet vor – in der Queen, an der sie sich bereits im Wahlkampf orientiert hatte.

Golda Meïr, die 1969 Premierministerin von Israel geworden war, hatte ihr ganz eigenes Modell gewählt, zwischen Dame und Kamerad. Als „richtige Frau“ hätte Meïr gar nicht an die Macht kommen können. Ihr Vater wollte sie nicht einmal studieren lassen. Israel war ein Land im Kriegszustand und suchte Führer mit militärischen Fähigkeiten. Meïr schminkte sich nicht, verweigerte bei Fernsehauftritten sogar die Maske. Während sie sprach, rauchte sie. Garderobe, sagte sie, sei für sie ein Fremdwort. Sie ist eine der wenigen Politikerinnen der Geschichte, die auf Fotos in Denkpose zu sehen ist.

Ben Gurion, den sie bei einem Attentat rettete, indem sie ihn zur Seite warf (und dabei selbst verletzt wurde), sagte: „Sie ist der einzige Mann im Kabinett.“ Meïr wollte und musste im Land der PionierInnen und Kibbuze „geschlechtswidrig mannhaft“ sein. Für sie gab es keine Balance, wie für Thatcher. Sie musste den Vorstoß ins „Männliche“ wagen – und gewann nicht als Frau. Allerdings schafften es die Israelis, Meïr dann doch noch ins Spektrum traditioneller Weiblichkeit einzuordnen – als „Mutter Israels“. Die Mutter, die im Kampf um ihre Kinder zur Furie wird, war schließlich das einzige Modell, das Weiblichkeit und kriegerische Aggression zusammendenken konnte.

Bei Amtsantritt war Meïr bereits 70 Jahre alt. Damit konnte sie für die meisten Männer tatsächlich Mutter oder Großmutter sein, war also keine Frau gleichen Alters, deren Macht und Aggression bedrohlich gewesen wären. Auch der vollständige Verzicht auf sexuelle Attraktivität erschien bei einer Siebzigjährigen als natürliche Angelegenheit.

Anfang der achtziger Jahre eröffnete sich ein zweiter Weg. Aus dem Bemühen, durch Entsexualisierung der eigenen Erscheinung einer patriarchal besetzten Weiblichkeit zu entkommen und voll als öffentliche Personen anerkannt zu werden wie die Männer, entstand ein neuer Frauentyp. Die besonderen Kennzeichen: Kurze Haare, Hosen, Anzüge. Es war kein Bruch, sondern ein allmählicher Übergang: Viele dieser Frauen waren in ihrer Körperhaltung noch ganz Dame. Sie trugen weiterhin lange Röcke, Blusen, Schuhe mit hohen Absätzen und auffallenden Schmuck.

Gro Harlem Brundtland, die 1981 Ministerpräsidentin von Norwegen wurde, repräsentierte mit ihren kurzen Haaren schon den neuen Typ. Brundtland besetzte acht von 18 Posten im Kabinett mit Frauen und betätigte sich so – anders als Thatcher und Meïr – auch frauenpolitisch. Seit 1982 zählten alle bundesdeutschen Familien- und Frauenministerinnen zu dem neuen Typus, ob sozial- oder christdemokratisch: Anke Fuchs, Rita Süssmuth, Ursula Lehr, Hannelore Rönsch, die junge Angela Merkel und ihre Nachfolgerin Claudia Nolte (die wegen einer Rüschenbluse gehänselt wurde, die sie sich auf Ratschlag einer vermeintlichen Kennerin des Bonner Politikbetriebs gekauft hatte). Auch führende Frauen der Grünen wählten das Modell: Petra Kelly, Christa Sager, Renate Künast. 1995 bekam sogar James Bond eine solche Chefin, mit streichholzkurzem Haar gespielt von Judi Dench (die mit 61 Jahren allerdings auch Bonds Mutter hätte sein können).

Für Frauen war es indes etwas ganz anderes, kurze Haare zu haben, Hosen und Anzüge zu tragen, als für Männer. Nicht nur, weil sie damit gegen traditionelle Vorstellungen von Weiblichkeit verstießen. Als die Männer begannen, Anzüge zu tragen, unterschieden sie sich damit von den Frauen. Sie verzichteten auf lange Haare (oder Perücken), auf Schminke, Schmuck, hohe Stiefel, aufwändige Kleider, während die Frauen dabei blieben. Ihre Uniformierung war eine Uniformierung nur unter Männern. Da es nur Männer waren, die sich entkörperlichten und entsexualisierten, wurde ihre Entsexualisierung auf paradoxe Weise wieder zu etwas Männlichem, Sexuellem. So entstand die Erotik des Mannes im Anzug. In gleicher Weise entpersönlichte der Anzug – und erweckte zugleich, da nur Männer Anzug trugen, die Vorstellung einer „männlichen“, also reifen und starken Persönlichkeit. Jeder Schritt, den die Frauen dagegen in die Uniformierung taten, war tatsächlich ein Schritt in die – geschlechtliche – Uniformierung.

Wenn sie das Gleiche taten, war es doch etwas anderes. Sie konnten den historischen Prozess, den die Männer durchlaufen hatten, nicht einfach nachholen. Die Frauen entkörperlichten und entsexualisierten sich tatsächlich, keine Dialektik brachte ihnen das Verlorene zurück. Anzug und kurze Haare konnten nichts Weibliches werden, wie sie zuvor etwas Männliches geworden waren. Man mochte die Entpolarisierung der Geschlechter, ihre tendenzielle Aufhebung auch begrüßen – Tatsache war, dass die äußere Angleichung der Frauen an die Männer zunächst nicht „Gleichstellung“ war, sondern das Gegenteil: Während die Männer in Anzügen wenigstens teilweise ihre sexuelle Präsenz bewahrt hatten, mussten diese Frauen die ihre nun weitgehend aufgeben. Freilich taten sie es um den Lohn, dass die meisten Männer (und auch Frauen) sie etwas ernster nahmen. Das Prinzip der Öffentlichkeit, wie es sich im bürgerlichen Zeitalter entwickelte, bedeutete ja, dass die Menschen – also die Männer – dort, wo sie sich beruflich und als Bürger begegneten, sich auf ihre soziale Rolle beschränkten, auch in ihrer Erscheinung.

Genau das aber war den Frauen, die nun Einlass in die Öffentlichkeit begehrten, verwehrt. Als „weiblich“ galt eine Frau nur, wenn sie in ihrer Erscheinung ihre Geschlechtlichkeit und ihre Persönlichkeit darstellte. Zugleich wurde ihr das zum Vorwurf gemacht: Sie erschien als eben das Privatwesen, das darzustellen sie aufgefordert war. Ein unauflösbarer Widerspruch, jedenfalls für lange Zeit.

Viele Frauen wollten selbst ihre Geschlechtlichkeit und Persönlichkeit nicht „verstecken“ müssen – wie auch viele Männer, die, vor allem nach der „sexuellen Revolution“, mit der Konvention von Kurzhaarschnitt, Anzug und Krawatte haderten. Andere Frauen hätten gerne Persönlichkeit und Geschlechtlichkeit hinter einer Uniformierung verborgen, wären gerne „nur Politiker“ gewesen – nicht „Politikerin“. Bei den Männern fragte ja auch keiner, wie sie „als Mann“ wohl regieren würden. Doch die Uniformierung für Männer hatte sich einst in einer autoritären, kollektivistischen Gesellschaft durchgesetzt. Jetzt waren die Zeiten andere. Keine Autorität nahm den Frauen die Wahl ab, wie sie auszusehen hatten. Sie waren zu einer Freiheit verurteilt, die auch und besonders eine entpersönlichte Erscheinung als persönliche Entscheidung erkennbar machte – und damit ad absurdum führte. Was für die Männer die Konvention, war für die Frauen nur ein „Look“.

Ein Mann im Anzug musste keine Thematisierung seiner Person fürchten, er folgte nur der Norm. Eine Frau im Anzug dagegen machte ein persönliches Statement, sie hatte gewählt. Selbst wenn alle Frauen zu dem Schluss gekommen wären, dass eine Kleidungskonvention, wie sie für die Männer galt, auch für sie günstig wäre, hätten sie an dem Paradox scheitern müssen, dass man sich für die Unfreiheit nun einmal nicht frei entscheiden kann. Davon abgesehen wollten die Frauen ja nicht das Gleiche, wie sollte es unter den Bedingungen der Freiheit auch anders sein.

Es blieb dabei: Manche Frauen entschieden sich, sexuelle Attraktivität zugunsten öffentlicher Anerkennung zu meiden und mit der Kritik fehlender Weiblichkeit zu leben, andere betonten ihre Geschlechtlichkeit, was ihnen zwar Anerkannung als „Frau“ einbrachte, jedoch Kritik als öffentliche Person.

Benita Ferrero-Waldner wurde während des Wahlkampfs um die österreichische Präsidentschaft ein „Chanel-Pupperl“ genannt. Und Royal von ihren Genossen zurecht gewiesen: „Ein Wahlkampf ist kein Schönheitswettbewerb.“ Der dritte Weg, der sich in den neunziger Jahren eröffnete, bekam das Etikett „Powerdressing“.

Die Amerikanerin Condoleezza Rice, die in den neunziger Jahren Beraterin von US-Präsident George Bush senior wurde (und 2005 schließlich amerikanische Außenministerin), repräsentierte diesen Typ in der Sphäre der Macht als erste. Rice, die zu Beginn ihres politischen Aufstiegs erst Mitte Dreißig war, trat stets als sexuell attraktive Frau auf. Sie trug kurze Röcke, Stöckelschuhe und hohe Stiefel. Auch heute, mit 52 Jahren, erscheint sie keineswegs als ältere Dame. Rice, die bei den Republikanern seit längerem als mögliche Präsidentschaftskandidatin gehandelt wird, ist das reale Gegenstück zu der fiktiven TV-Präsidentin, wie die Schauspielerin Geena Davis sie darstellt.

Rice ist zwar nicht so schön wie Davis, Frisur und Körperhaltung haben etwas Damenhaft-Steifes, doch der Unterschied zu einer Margaret Thatcher ist riesig: Condoleezza Rice ist mehr „Frau“ und mehr „Mann“ zugleich.

Tatsächlich repräsentiert Rice kein Gegenmodell zu den Frauen, die sich von einer traditionellen Weiblichkeit entfernt haben. Zu ihrem Typus gehört ja auch das Tragen von Hosen und Anzügen. Körperhaltung und Mimik sind häufig noch „männlicher“ als bei Frauen wie Brundtland oder Süssmuth. Zur selben Zeit, als Rice ihre Karriere begann, entstanden in den USA Frauenrockbands wie L7, Babes in Toyland und Hole, die in der Tradition des Punk standen und deren Mitglieder sexuelle Attraktivität mit Rock’n’Roll-Aggression verbanden. Condoleezza Rice und eine Courtney Love mochten auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam haben, doch sie waren beide tough und sexy, brachten das alte Versprechen der „sexuellen Revolution“ zurück auf die Bühne.

Darüber hinaus erschien das Sich-schönmachen von Frauen längst nicht mehr nur als Zeichen eines weiblichen Narzissmus, der im Gegensatz steht zu Weltzugewandtheit und öffentlichem Handeln. Es erschien zunehmend auch als ein „Versuch der Teilhabe an sozialer Macht“ (so die Soziologin Nina Degele). Das ist es schließlich, was das Wort Powerdressing meint.

In einer Gesellschaft, in der Schönheit zu einem Zeichen von Erfolg geworden ist, gelten Menschen, die sich schön machen, als ambitioniert – jedenfalls im materialistischen Milieu der Wirtschaft und in der Sphäre der Macht, wo man ein „gesellschaftliches“ Leben führt (das sich heute weniger auf Festen als im Fernsehen abspielt), wo man in der Öffentlichkeit steht und Schönheit und sexuelle Attraktivität symbolisch werden, zum Statussymbol. So wurde auch weibliche Schönheit und sexuelle Attraktivität umcodiert – wobei die alte Codierung parallel fortbestand, sexuell attraktive Frauen immer noch als „abhängig von Männern“ wahrgenommen wurden, und zwar aus traditionell patriarchaler wie aus einer traditionell feministischen Sicht.

Bei Ségolène Royal stellt sich das Problem noch radikaler als bei Rice. Denn auch die sexuelle Attraktivität von Rice ist ja noch eine verschleierte, geminderte (was nicht negativ gemeint ist, die sexuelle Attraktivität fast aller Männer in der Politik ist schließlich gemindert – falls es einer Minderung überhaupt bedarf ). Royal ist aber nun die erste Frau, die es wagt, mit einer traditionell weiblichen Erscheinung und einer unverschleierten sexuellen Attraktivität um die Macht zu kämpfen.

Dabei ist offensichtlich, dass sie nicht einfach schön und sexuell attraktiv ist, sondern dass sie sich schön und sexuell attraktiv macht. Denn noch nie war Royal so schön wie heute. Noch vor wenigen Jahren, als Ministerin für Schulbildung, glich sie einer normalen Büroangestellten, trug häufig hochgeschlossene, konservative Kostüme, eine große, unmodische Brille, die Haare auf Kinnlänge oder mädchenhaft unter einem Haarreif. „Schön wie ein Filmstar“ (so der Klappentext der jüngst erschienenen Biografie von Heiko Engelkes) machte sich Ségolène Royal erst auf dem Weg zur Macht.

Das Verblüffende ist: Royal und Rice (und Geena Davis im Film) sind in Haarschnitt, Schminke und Kleidung den frühen Sexsymbolen ähnlich, sogar Pin-ups wie Betty Page – dennoch sehen sie ganz anders aus. Der Kontrast ist beinahe so groß wie damals zwischen den Sexsymbolen und ihren männlichen Filmpartnern, einem James Stewart oder Michel Piccoli. Es stellt sich heraus, dass es gar nicht so sehr um das Äußere geht, sondern darum, wie es zur Geltung gebracht wird. Es geht nicht um die Kleidung, sondern um die Körperhaltung, die in der Kleidung eingenommen wird; nicht um den Haarschnitt, sondern um das Styling; nicht um die Schminke, sondern um den Gesichtsausdruck, den eine Frau damit macht. Im engen Kostüm einer Betty Page kann eine Frau Macht ausüben – aber nicht mit diesem durchgedrückten Rücken, diesem offen stehenden Mund. In den hohen Schuhen einer Bardot kann eine Frau Präsidentin werden – aber nicht mit diesem kindlich-gedankenlosen Gesicht.

Eine mächtige Frau kann die Haare lang und offen tragen – aber nicht zur Mähne geföhnt, wild zerzaust oder mit einer Mädchenspange im Scheitel. Es stellt sich heraus, dass die Kleiderfrage in Wahrheit gar keine ist – sondern eine Frage der Rolle, die eine Frau verkörpert.

In Wahrheit sind Frauen nicht auf der Ebene der Kleider benachteiligt (seit Politik nicht mehr auf der Straße gemacht wird, sondern im Fernsehen, sind hohe Schuhe auch kein Nachteil mehr), sondern auf der Ebene des Körpers. Das Gesicht – vielmehr die Gesichter – sind die wichtigste Kleidung eines Politikers, einer Politikerin. Große Politiker haben große Gesichter.

Wut-, Sieges- und Denkgesichter. Für Politikerinnen aber schickt es sich bis heute nicht, Gesichter zu haben. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Sie dürfen höchstens sehr dezente Gesichter tragen: statt Wut Empörung, statt Triumph Freude, statt Denken vielleicht so etwas wie stille Sammlung.

Frauen zeigen mehr Gefühle als Männer, heißt es. In der Politik ist es umgekehrt. Da haben sie sich den Ernst erobert (oder von der Queen geerbt) – meist versuchen sie, ihre Gesichter möglichst leer zu machen oder zu lächeln. Die Frauen haben es geschafft, dass sie keine Schwäche mehr spielen müssen. Aber es ist ihnen noch nicht erlaubt, wirklich Stärke zu zeigen.

Das wäre die zweite sexuelle Revolution – und die beginnt gerade. Gerade dort, wo Ségolène Royal und Condoleezza Rice oder Sängerinnen wie Courtney Love am weiblichsten scheinen, in der Darstellung ihrer Sexualität, sind sie zugleich am „männlichsten“. Als starke öffentliche Figuren betonen sie Körper und Geschlecht, wie es lange nur den Männern gestattet war. Im übrigen käme niemand auf die Idee, dass Rice und Royal sich mehr für Mode interessierten als für Politik; dass es ihre größte Leidenschaft wäre, sich schön zu machen. Es ist klar, dass sie sich auch schön machen, weil sie so den besseren Auftritt haben, weiterkommen in der Politik.

Bei Rice und Royal wird Weiblichkeit vom vermeintlichen Wesenszug zum Outfit. Zur absichtsvollen, zweckhaften Kostümierung. Ganz wie bei einer Angela Merkel, die sich ihre „Weiblichkeit“ schließlich angezogen hat, wie ein junger Mann sich morgens Anzug und Krawatte anzieht, widerwillig vielleicht, aber mit der Einsicht, dass es nutzt.

Beim Mann, so schrieb Simone de Beauvoir, sollten „die Kleidung und der Körper kein Blickfang sein, sondern seine Transzendenz anzeigen“. Das Gleiche gilt heute für die erfolgreiche Frau. Kleidung und Körper zeigen an, dass die Frau etwas erreichen will, anstatt sie zu reduzieren auf ein Objekt männlicher Blicke, der eigenen Blicke in den Spiegel – auf eine „Immanenz“. Mehr als jede andere Frau zeigt Royal, dass Weiblichkeit und „eine autonome Aktivität“ zu sein, heute vereinbar sind.

Der erste große Einwand lautet: Royal und Rice zeigen das nur auf höchster Ebene, in der Sphäre der Macht (und die Rock-Frauen nur in einer feministischen Subkultur). Solange eine Frau aber in einer Position arbeitet, in der ihr Männer vorgesetzt sind, solange wird sexuelle Attraktivität auch als Hinweis auf Kompetenzmangel gedeutet, als Zeichen dafür, dass die Frau deshalb ist, wo sie ist. Das dürfte auch ein Grund sein, warum Royal erst jetzt, da kein Mann mehr über ihr steht, sich so attraktiv macht, wie sie es tut. Jetzt kann sie es sich leisten – und das soll man auch sehen. Auf der obersten Hierarchiestufe werden erotische Signale zu paradoxen Zeichen von Unberührbarkeit, zu Zeichen von Macht. Sie sind symbolisch, wie im Gesellschaftsleben der oberen Schichten.

Der zweite große Einwand: Die neue Freiheit zur sexuellen Attraktivität und Weiblichkeit ist von der alten Norm nur schwer zu unterscheiden. Auch wenn es stimmt, dass sexuelle Attraktivität und Weiblichkeit nicht mehr notwendig mit Schwäche verbunden werden, sollten sie dennoch kein Muss sein für Frauen, die beruflichen Erfolg oder politische Macht anstreben.

Auch Merkel hatte kaum eine andere Wahl, als ihre Erscheinung zu verändern (obgleich die Physikerin aus der DDR mehr mit dem Stilempfinden des Bürgertums im Clinch lag, als mit dessen Geschlechterstereotypen).

Zum Besseren verändert hat sich also nur, was klassisch weibliche und sexuell attraktive Frauen verkörpern: Sie sind heute etwas anderes – de facto und in den Augen anderer. Doch die Verbesserung hat wenig mit Wahlfreiheit zu tun. Freiheit existiert nur insofern, als es nicht nur eine einzige Konvention für alle Frauen gibt. Jede Frau ist in ihrem Milieu, ihrer je eigenen Partei oder Branche großem Druck ausgesetzt. Im internationalen Milieu der Macht geht der Druck weiter in Richtung „Weiblichkeit“, auch wenn diese Weiblichkeit sich wandelt.

Zu diesem Wandel gehört allerdings, dass aus der Uniformierung nach männlichem Vorbild nun doch noch sexuelle Präsenz entsteht – ausgerechnet, wenn eine Frau alle Unterschiede in Kleidung und Körperhaltung aufhebt, sie einen gerade geschnittenen „Männeranzug“ trägt, steht und geht wie ein Mann. Es gibt die Dialektik doch, die das Verlorene zurückbringt. Die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey, zur Zeit turnusgemäß Bundespräsidentin, hat diesen Typ in die Politik gebracht. Wir kennen ihn von einer Marlene Dietrich, die im Maßanzug und mit klassischen Männerposen besonders attraktiv war.

Lange schien dieses Modell nur in der lesbischen Subkultur lebbar. Jetzt repräsentieren es auch die Soldatinnen der Bundeswehr. In den „Männeruniformen“ sind sie keineswegs asexuell geworden, sondern bewahren ihre Attraktivität wie die Männer. Das Geheimnis: Maßanzug und Kampfuniform betonen den Körper. Sexuelle Attraktivität hat weniger mit Unterschieden zwischen den Geschlechtern zu tun, als wir gemeinhin denken, mehr mit Intensität und Körperlichkeit, auch: mit Stärke. An diesem Punkt treffen sich eine Ségolène Royal und eine Micheline Calmy-Rey. Beide beziehen ihre sexuelle Attraktivität aus körperlicher Präsenz. Sie sind auf unterschiedliche Weise attraktiv, aber sie sind es.

Da jede Kleidungsfreiheit heute zugleich einer Kleidungsnorm entspricht, zeichnet sich jede weibliche Erscheinung durch Ambivalenz aus. Frauen, die ihre Geschlechtlichkeit nicht betonen und sich bemühen, als „rein“ öffentliche Personen anerkannt werden, gehorchen zugleich der christlichen Sexualmoral und weichen der Konfrontation aus, eine Weiblichkeit, die als schwach gilt, mit Stärke zu besetzen. Frauen, die mehr Weiblichkeit wagen, gehorchen zugleich der alten Norm sexueller Attraktivität, reinszenieren das alte Bild des „Sexsymbols“ (im gleichen Maße, wie sie dieses Bild durch ihre Stärke durch ein neues Bild ersetzen). Die Situation ist ausweglos. Die Ausweglosigkeit bedeutet aber auch – Gleichgültigkeit. Die Schlussfolgerung lautet: Es ist egal, wie Frauen aussehen.

Mehr noch: Die zwei Ziele des Feminismus – dass Frauen als öffentliche Personen anerkannt werden und dass Frauen sexuell attraktiv sein können, ohne als schwach zu gelten – lassen sich nur auf zwei getrennten Wegen verwirklichen. Es gibt nicht einen richtigen feministischen Look, sondern (mindestens) zwei. Da Frauen von zwei Grenzen eingeschlossen sind, müssen sie zwei Grenzen verschieben. Die einen müssen sich in der Öffentlichkeit als nicht betont sexuell attraktive Frauen durchsetzen, die anderen als „schöne“, sexuell attraktive.

Kriegerisch ausgedrückt: Es ist eine Zweifrontenschlacht, und sie ist nur mit zwei Armeen zu gewinnen. Frauen mit langen Haaren und Frauen mit kurzen, Frauen in hohen Schuhen und Frauen in flachen, geschminkte und ungeschminkte Frauen – sie sind Verbündete im selben Kampf. Eine Frau allein kann den Feminismus nicht verkörpern, nur zwei können es zusammen. Auch darum sind viele Frauen zwei Frauen: Sie pendeln zwischen den Fronten, kämpfen heute an der einen, morgen an der anderen, ergreifen die Flucht, wollen nicht entweder „Tussi“ sein oder „unattraktiv“, trauen sich, auch die jeweils andere Position einzunehmen und damit jene zu enttäuschen, die sie bisher für eine rundum „richtige“ oder „emanzipierte“ Frau gehalten haben.

Andere Frauen begeben sich in die relativ sichere Zone zwischen den Fronten, wie Merkel oder die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet. Beide haben vielleicht nicht zufällig in der realsozialistischen DDR gelebt. Sie haben den Typus der Dame modernisiert, balancieren ihre Weiblichkeit nicht mehr durch Simulation von Alter und Mädchenartigkeit, sondern durch eine Sachlichkeit und Lässigkeit, die als einmal männlich galt, durch weniger Haarpracht, ungezwungene Körperhaltung.

In den Protestbewegungen gab es noch das andere Aussehen, das befreiend war, weil es noch ein ganz Anderes gab, dass ausgeschlossen war und nur am Rand der Gesellschaft repräsentiert werden konnte. Heute ist jedes Aussehen gleich befreiend. Es stellt sich heraus, dass die Kleiderfrage gar keine mehr ist, sondern – eine Frage der Macht.

Es ist unwichtig, wie Frauen aussehen, während sie in die Institutionen marschieren, wichtig ist, dass sie es tun. Dass sie erfolgreich sind, Macht erobern. Auch, weil Frauen erst dann nicht mehr als Frauen auffallen werden, wenn sie in der Öffentlichkeit keine Minderheit mehr sind.

 

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