Was denn nun? Ist sie die berechnende Politikerin mit dem „kalten Herz“, die noch im Sommer ein Flüchtlingsmädchen zum Weinen brachte – oder ist sie die naive „Königin der Herzen“, die im Herbst nicht weiß, was sie tut, wenn sie Flüchtlingen „ein freundliches Gesicht“ zeigt? Ist die „Eiskönigin“ zur „Mutter Teresa“ (beides Spiegel) mutiert?
Weder noch. Es passte zu der Besonnenheit und Gradlinigkeit der Kanzlerin, als sie auf ihrer Goodwill-Rundreise im Sommer der kleinen Palästinenserin ehrlich antwortete, es könnten nicht alle Flüchtlinge in Deutschland bleiben. Und es passt, wenn sie im Herbst angesichts der anstürmenden Flüchtlingsmassen nicht minder ehrlich antwortet, man könne die deutschen Grenzen nicht wirklich dichtmachen, selbst wenn man wollte, aber man könne Menschen in Not auch nicht abweisen. („Sonst ist das nicht mein Land.“)
Menschen
in Gefahr
müssen wir
Schutz geben
Aber wir dürfen dennoch nicht blauäugig sein und auch vor schmerzlichen Entscheidungen nicht zurückschrecken. Menschen in echter Gefahr müssen von denen unterschieden werden, die „nur“ (wenn auch verständlicherweise) so gut leben wollen wie wir. Ehrlich Integrationswillige müssen unterschieden werden von Antidemokraten. Und doppelt Gefährdete, wie Frauen und Kinder, müssen auf unseren besonderen Schutz zählen können – manchmal auch gegen die eigenen Männer.
Denn eines ist doch klar: Viele der überwiegend jungen Männer, die da jetzt zu uns kommen, sind bisher noch nicht einmal von einem Hauch Gleichberechtigung der Geschlechter gestreift worden. Sie kommen aus Kulturen wie dem Islam, in denen Frauen als minderwertig gelten (was durch die Radikalisierung und Politisierung des Islam nicht gerade besser wird). Sie sind überwiegend Araber, bei denen es, unabhängig vom Glauben, traditionell schlecht bestellt ist um die Frauenrechte. Und sie kommen aus (Bürger)Kriegsgebieten, in denen sie Opfer oder Täter waren, und so manches Mal auch beides zugleich. Auch das macht es nicht zwingend einfacher.
All das muss Politik wie Zivilgesellschaft alarmieren. Wir müssen auch von den Macho-Männern Respekt vor Demokratie und Rechtsstaat, vor Frauen und Kindern einfordern (Ganz wie es in dem Katalog von EMMA aufgelistet wird). Und wir müssen bei Nichtbeachtung Sanktionen durchsetzen.
Innenpolitisch ist es an den sehr gebeutelten Kommunen und Ländern, ihr Maximales zu geben. Außenpolitisch ist die Kanzlerin gefordert. Dass sie das nicht nur kann, sondern in besonderem Maße dafür geeignet ist, hat sie mehrfach bewiesen.
So war es ausschließlich Merkels Tag-und-Nacht-Dialog mit Putin in Kiew am 13. August dieses Jahres zu verdanken, dass das scheinbar Unvermeidliche in letzter Sekunde abgewendet werden konnte: Die Amerikaner verzichteten auf die geplante Waffenlieferung in die Westukraine – was unweigerlich zur Eskalation des Bürgerkrieges und der gesamten West/Ost-Konfrontation geführt hätte.
Auch Merkels Nicht-Beteiligung an der selbstgerechten Bombardierung Libyens durch den Westen im Jahr 2011 konnte den Gang der Dinge zwar nicht aufhalten, aber immerhin: Sie hat es versucht, dem Gespött aller Besserwisser zum Trotz.
Außenpolitisch
hat Merkel
alles richtig
gemacht
Das Land, das einst von Gaddafis eiserner Faust zusammengehalten worden war, ist in ein blutiges Chaos gestürzt, von dem niemand so profitiert wie die gut organisierten und, dank Saudi-Arabiens Petro-Dollars, bis an die Zähne bewaffneten Islamisten (ganz wie im Irak). Ein endgültiger Fall Libyens und die drohende Machtübernahme durch die Islamisten wäre existenzbedrohend für ganz Nordafrika und Ägypten, also damit auch für Israel. Dieses Drama, das die halbe Welt in Flammen setzen könnte, ist noch längst nicht ausgestanden.
Und jetzt ist es wieder Merkel, die als eine der ersten von Verhandlungen mit Assad spricht. In allen drei Fällen – Irak, Libyen wie Syrien – herrscht(e) ein zwar autokratischer, aber immerhin weltlicher Staatschef. Und in allen drei Fällen handelt es sich keineswegs nur um „Religionskriege“, sondern auch um eine Konfrontation des neokapitalistischen Westens mit dem postsozialistischen Osten. Auf fremden Terrains spielen sich Stellvertreterkriege ab: zwischen Amerika mit seinen Alliierten sowie Russland mit seinen Verbündeten.
Ein Sturz Assads würde nicht nur das Land, sondern auch die gesamte Region aus dem Status Quo kippen und den Islamisten in die Arme treiben. Nur mit dem einst gewählten Präsidenten Assad wäre die Flüchtlingsflut zu stoppen und die Lage in Syrien noch stabilisierbar – zumindest übergangsweise und bis zu Wahlen. Das scheint Merkel ähnlich zu sehen. Und sie steht es mit der gewohnt stoischen Ruhe und völliger Abwesenheit von Gefallsucht durch.
Doch gibt es nicht nur aus meiner Sicht noch zwei, drei Dinge anzumerken. Die Bundeskanzlerin müsste sich der Gefahr bewusster werden, die durch den massenhaften Zuzug von auch orthodoxen oder gar fundamentalistischen Muslimen droht. Die haben nämlich in der Regel einen nicht zu unterschätzenden Antisemitismus und Sexismus im Gepäck. Nur wenn die Kanzlerin diese Gefahr wirklich begreift, ist es richtig, dass sie ihren Weg weitergeht. Unbeirrt von Umfragen.
Sie muss es schaffen!
Alice Schwarzer
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