Me´Shells Wille zum Frieden

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Gestartet ist die Bassistin mit Wiegenliedern bei Madonnas Label Maverick. Heute gilt sie als eine der Weltbesten.

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Die Angelegenheit überstieg das Vorstellungsvermögen des Musikjournalisten. Der Mann schrieb über die bevorstehende Tournee der Rolling Stones. „"Mit von der Partie"“, hackte er in seine Tastatur, „"ist der Bassist Me’'Shell Ndegeocello."“ Der Bassist ist eine Bassistin. Dass ausgerechnet die in Testosteron gebadete Alt-Herren-Band mit einer solchen auftrat, das schien dem Berichterstatter wohl so unwahrscheinlich, als würde die deutsche Fußballnationalmannschaft mit einer Torfrau antreten.
Zugegeben: Dieser komische Name macht einem die Geschlechtsbestimmung nicht leicht. Verschärfend hinzu kommt, dass die Trägerin des Namens eine Glatze und eine tiefe Stimme hat, also mit Fug und Recht als androgyn bezeichnet werden darf. Trotzdem: Der Kollege hätte es eigentlich besser wissen müssen. Denn Me’'Shell Ndegeocello wird von der Fachpresse als „erstklassige“ und „unglaubliche“ Bassistin bewundert und ist eine begehrte Instrumentalistin für viele, von den „"Rolling Stones"“ über Prince bis zu Alanis Morissette.
Die 33-jährige Bassistin ist außerdem eine Grammy-nominierte Songwriterin. Sie hat bereits vier Alben veröffentlicht und sich mit ihrer undefinierbaren Mischung aus HipHop, Jazz, Funk und soften Soul-Balladen und tiefgründigen Texten einen festen Platz am Musikhimmel erobert.
Ndgeocello ist Swaheli und bedeutet „"Frei wie ein Vogel"“. Die schwarze Michelle Johnson gab sich diesen Namen, als sie in den 70ern mit ihren Eltern von ihrem Geburtsort Berlin („"Ich erinnere mich nur noch an das nasse Wetter"“) in deren amerikanische Heimat zurückkehrte. Me’'Shells Vater arbeitete beim Militär, und so folgten Michelle und Mutter ihm zunächst nach Virginia und später nach Washington.
Dort angekommen, beschloss das Mädchen Michelle, sich von nun an einige sehr unweibliche Freiheiten zu nehmen. Zum Beispiel die, fortan offen bisexuell zu leben. Oder eben die, nach dem Bass zu greifen, der bis heute fest in Männerhand ist. Der Bass ist der ruhige musikalische Pol, an dem sich der Rest der Band orientiert.
Me’'Shell Ndgeocello spielte diesen Bass so gut, dass sie immer öfter in den Musikclubs in und um Washington anzutreffen war, statt in den Hörsälen der Howard University. 1993 war es so weit: Ihr erstes Album erschien, und zwar in Madonnas damals noch jungem Label „Maverick“. Es hieß „"Plantation Lullabies“" (Plantagen-Wiegenlieder). 
Prompt ernannte man Me’'Shell zur „Nachlassverwalterin des "Black-Power-Erbes"“. Doch genau das ist gerade sie nicht. Denn obwohl die schwarzen Rapperinnen es im Loyalitätskonflikt zwischen Rasse und Geschlecht nur selten wagen, die Macho-Allüren ihrer Black Brothas zu thematisieren, nimmt Me’'Shell in Sachen Machoschelte kein Blatt vor den Mund. "Was nützt es, Straßen nach ermordeten schwarzen Bürgerrechtlern zu benennen, wenn deren Enkel darauf heute ihre drogenfinanzierten Limousinen spazieren fahren?", fragt Ms Ndgeocello auch in ihren neuesten Songs auf dem Album „"Cookie. The Anthropological Mixtape"“. Die Homophobie der Rapper-Kollegen steht genauso auf ihrer Abschussliste wie deren Frauenfeindlichkeit.
Und während die Rapper (m) auch dann noch mit dem Ghetto-Stallgeruch Marke" „Ich-bin-einer-von-euch-Mann“ "kokettieren, wenn sie schon längst Millionen auf ihrem Konto bunkern, steht Me'’Shell zu ihrer Bildung. „"Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, jeden Tag ein neues Buch zu kaufen. Bücher versetzen mich in die Lage, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.“" Und so enthalten Ms. Ndegeocellos Texte reichlich Querverweise an LiteratInnen aller Art.
Übrigens ist Me’'Shell mit einer solchen liiert. Zusammen mit der US-Autorin Rebecca Walker und Me'’Shells achtjährigem Sohn lebt die Kleinfamilie in Brooklyn.
Der angebliche „"Anti-Amerikanismus"“, den ihr heimatliche Kritiker schon bei Erscheinen ihres ersten Albums vorwarfen, hat sich eher verstärkt. "Denn „die USA sind heute durchaus vergleichbar mit dem römischen Imperium"“, sagt sie. Me'’Shell hielte im Prinzip das Ende des amerikanischen Kulturimperialismus für eine gute Sache. Zum Beispiel im Falle Mc Donalds, Schwarzenegger und Britney Spears. Würde die Amerikanerin Ndegeocello allerdings ihre Eroberung des europäischen Musikmarktes einstellen, fände frau das durchaus bedauerlich.

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