M.I.A.: Sie ist nicht käuflich
Auf MTV läuft das Video zur Single 'Boyz': Es wird gerappt, Hüften werden geschüttelt und Goldketten getragen. Typisch amerikanischer HipHop könnte man meinen. Nur, dass bei Boyz die großen Jungs tanzen und eine kleine Frau diejenige ist, die das dicke Gold trägt und rappt: M.I.A. alias Mathangi (Maya) Arulpragasam. Unter großem Hallo in der Musikpresse und DJ-Szene hat sie ihr zweites Album 'Kala' veröffentlicht, bei Interscope Records. Bei diesem Label des Plattenriesen Universal sind auch Szenegiganten wie 50 Cent oder Timbaland unter Vertrag. Geht M.I.A. nun im Majorlabel unter? Aber nicht doch: "Ich bin ein Kriegskind, war sehr arm, Immigrantin, und bin auch noch ein Mädchen. Alles habe ich überlebt. Warum sollte ich dann heute käuflich sein?" 1977 in London als Tochter tamilischer Eltern geboren, zog Maya noch als Baby mit ihren Eltern nach Sri Lanka. Ihr Vater gründete die militante Rebellenorganisation EROS (Eelam Revolutionary Organisation of Students) und lebte während des Bürgerkriegs im Untergrund. Maya kannte ihn nur als "Onkel", der von Zeit zu Zeit nachts ins Fenster klettert und nicht so fröhlich war wie die Mutter. Dabei hatte auch die wenig Grund zur Fröhlichkeit: "Die tamilischen Mädchen verschmieren sich die Gesichter und ziehen sich schlecht an, weil sie Angst haben, dass die Soldaten sie vergewaltigen. Und wenn sie verheiratet sind, gebären sie Kinder und vertiefen sich ins Kuchenbacken."
Maya entkam dem Hunger und der Gewalt mit elf Jahren. 1989 flüchtete die Mutter mit ihren zwei Töchtern via Indien nach England. Aber als Immigrantin hatte Maya es auch in London zunächst nicht leicht. " Ich heirate einen Kriminellen oder werde Prostituierte oder bringe mich um, wenn ihr mich nicht zulasst!", erklärte Maya der Londoner Kunsthochschule St. Martins so oft am Telefon, bis sie endlich schaffte. Sie studierte dort Kunst und Film als einzige dunkelhäutige Frau, mit Erfolg. Noch als Studentin wurde sie für den Alternative Turner Prize nominiert. Ihre Bilder waren wie ihre Songs sind: grellbunte Collagen aus Tigern, Bomben und Palmen.
Doch just als Maya sich in London brav mit Doktorhut und Urkunde ablichten ließ, sprengte sich ihr Cousin in Colombo bei einem Selbstmordattentat in die Luft. Der Schock saß tief: "Wir sind wie Zwillinge aufgewachsen." Maya wechselte von der Malerei zum Rap und wurde M.I.A.
Wäre sie in Sri Lanka geblieben, hätte auch sie zur Attentäterin werden können, da ist sie sicher. Und darüber rappt sie: "Deine Knarren sind mir scheißegal, ich habe Bomben." Auf dem Cover ihrer neuen CD 'Kala' klebt der Jugendschutzhinweis Explicit Lyrics. Maya versteht den Rummel nicht ganz: "50 Cent tönt die ganze Zeit von Gangsterkultur und Schießereien. Aber für ein Mädchen ist es unerhört, so etwas zu singen."
Den HipHop mit seiner schnellen, harten Lyrik hat Maya im Londoner Asylantenheim kennen gelernt. Ihr Sprechgesang erinnert zuweilen an Missy Elliot. Aber M.I.A.s Musik lässt sich nicht so recht einordnen als HipHop. Worldbeat nennen es manche Musikmagazine, was für eine neue Art clubtauglicher Weltmusik steht. Wobei offen bleibt, ob sich bei M.I.A. die Kulturen bekämpfen oder versöhnen.
M.I.A. rasselt und singt ihre Bürgerkriegslyrik über jamaikanischen Dancehall-Reggae, brasilianischen Rio Funk, britischen Electro und Grime, indische Folklore, Didgeridoos oder alles gleichzeitig. Die Musikstile sind Souvenirs ihrer Weltreise, die als Auszeit nach ihrem Debüt gedacht war und sie doch in Studios von Bollywood bis Kingston führte. Unterwegs hat M.I.A. die Jungs musikalisch eingespannt, so wie sie sie nun auch im Video für sich tanzen lässt. Auf 'Kala' ist ein nigerianischer Rapper, ein Aborigines-Chor und sogar Glitzer-Star-Produzent Timbaland zu Gast.
Ansonsten hält M.I.A. sich an das Konzept von Electro-Ikone Peaches: "Eine Frau, eine Maschine, ein Mikro." Die beiden Power-Weiber der elektronischen Musik begegneten sich, als M.I.A. als Dokumentarfilmerin eine Band auf deren Tournee begleitete. "Ich habe Peaches auf der Bühne gesehen", erzählt M.I.A. "Eine Frau mit einem Mikrofon, die so viel Lärm machte, wie es fünf Männer in einer Band nicht schaffen. Da war klar: Das will ich auch!" Sie kaufte sich für 132 Pfund eine Maschine (eine so genannte Groovebox, die wie ein kleines Studio funktioniert) und schloss sich damit sechs Monate in ihr Schlafzimmer ein. Das Ergebnis hieß 'Arular', Herrscher, wie der Kampfname ihres Vaters. M.I.A.s zweites Album ist nach ihrer Mutter benannt: 'Kala'. Da geht es darum, wie sie die Kinder allein in einem fremden Land ernähren musste, obwohl sie dazu erzogen worden war, Hausfrau zu sein auch darum drehen sich M.I.A.s Texte.
Spätestens seit dem Vertrag beim Majorlabel bewegt M.I.A. sich nun in einer Welt, in denen den meisten Künstlerinnen "ein Haarschnitt verpasst und das Thema Liebe gegeben wird, ehe man sie auf die Bühne schickt." Deswegen wollte sie ehedem auch nichts mit Glitzer-HipHoppern wie Timbaland zu tun haben. Die wiederum waren schon vor ihrem Debüt an ihr interessiert, und riefen sie so oft an, bis sie sich breitschlagen ließ. Gefallen hat es ihr nicht: "Ich stand zwischen all diesen glossy Frauenpostern und dachte, ich will hier gar nicht sein ich weiß genau, wie ihr Frauen seht." Aber dann siegte M.I.A.s Experimentierfreude: "Die Mitteilung, dass ich keine Hotpants tragen muss, um mit denen zu arbeiten, hat mich überzeugt."