Alice Schwarzer schreibt

Mit den Stimmen der Anderen

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Der Ärztinnenbund hatte davor gewarnt. Der Berufsverband der Frauenärzte hatte davor gewarnt. Pro Familia hatte davor gewarnt. Es hat alles nichts genutzt. Am 13. Mai verabschiedete der Bundestag eine Verschärfung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes: mit 326 Ja-Stimmen gegen 234 Nein-Stimmen. 52 Abgeordnete hatten ihre Stimme gar nicht erst abgegeben.

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Fatal ist, dass von nun an allen Frauen, die nach dem dritten Monat abtreiben – und das waren im Jahr 2007 immerhin 2.303 Fälle – das Herz noch schwerer gemacht werden wird mit einer Zwangswartefrist von zusätzlichen drei Tagen zwischen Diagnose und dem Berechtigungsschein für eine Abtreibung. Fast noch fataler werden die Folgen für die wenigen ÄrztInnen sein, die überhaupt noch bereit sind, hilfesuchenden Frauen medizinischen Beistand zu gewähren. Denn sie sind jetzt verstärkt der Einschüchterung – wenn nicht gar Bedrohung – durch konservative Standesvertreter, christliche Krankenhäuser sowie Fanatiker der Lebensrechtler-Bewegung ausgeliefert. Vollends beunruhigend ist, dass die meisten Menschen diese für Frauen so existenzielle Entscheidung eigentlich bis heute gar nicht verstanden haben können. Ja, sogar manche Abgeordnete wissen vielleicht nicht wirklich, wofür sie da gestimmt haben.

Denn am 13. Mai ist keineswegs nur über die Spätabtreibungen entschieden worden, wie allgemein behauptet. Spätabtreibung nennt man nur Abtreibungen ab der 23. Woche – und davon gab es 2007 genau 229, bei denen in 80 Prozent der Fälle die Föten nicht eigenständig lebensfähig gewesen wären. An diesem Tag ist über alle Abtreibungen ab der 13. Woche entschieden worden, also über die gesamte medizinische Indikation. Über alle Abtreibungen bei Gefahr für die Psyche oder das Leben der Schwangeren – wie zum Beispiel auch im Fall des 14-jährigen missbrauchten Mädchens. Denn es geht ja bei Abtreibungen nach dem dritten Monat keineswegs nur um Abtreibungen von behinderten Föten. Ein Mädchen oder eine Frau kann auch aus ganz anderen Gründen – Gewaltverhältnisse, Traumata, Verdrängung etc. – zu spät begreifen, dass sie ungewollt schwanger ist und nicht Mutter werden will. Das allerdings ist aufgrund der hohen Emotionalisierung und der wohl nicht zufällig so verschleiernden und irreführenden Darstellung durch die Verschärfungs-Anhänger sowie der ungenauen, oft tendenziösen Berichterstattung der Medien einer Mehrheit der BürgerInnen vermutlich bis heute nicht klar geworden.

Es ist keine Überraschung, dass die gesamte CDU/CSU für die Verschärfung gestimmt hat (bis auf eine: die Abgeordnete Renate Blank aus Nürnberg, Sozialrichterin und Mutter von zwei Kindern). Doch wäre der Antrag von Johannes Singhammer, seines Zeichens familienpolitischer Sprecher der CSU – und Vater von sechs Kindern inkl. Hausfrau –, nicht durchgekommen ohne die anderen: 109 Abgeordnete aus anderen Parteien! Darunter über ein Viertel aller Sozialdemokraten, ein Drittel der Grünen (mit Göring-Eckardt als Anführerin) sowie – 80 Prozent der Liberalen (inkl. Guido Westerwelle). Nur Die Linke hat die Verschärfung kritisiert.

Die größte Überraschung allerdings ist für mich die FDP. Sie scheint vollkommen ihre eigene Geschichte vergessen zu haben: Nämlich, dass die Liberalen in den 70er Jahren an der Spitze der 218-Reform für die Fristenlösung standen. Auch wäre es vor einigen Jahren wohl noch undenkbar gewesen, dass jede fünfte Genossin und sogar jeder dritte (!) Genosse einem CSU-Antrag zur Abtreibung zustimmt. Es ist aufschlussreich, gerade bei der SPD einen genaueren Blick auf die BefürworterInnen der Verschärfung zu werfen. Führend waren drei deklarierte Christinnen: die Pfarrerstochter Kerstin Griese aus Münster, die Protestantin und Ex-Frauenministerin Renate Schmidt aus Bayern sowie die aktive Katholikin und Partei-Linke Andrea Nahles aus der Eifel. In bemerkenswerter Unbefangenheit hatte Nahles bereits im Vorlauf der Debatte immer wieder der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung – eine der medialen Zentralen restriktiver Abtreibungsgesetze – Interviews gegeben. So berichtete die FAS am 26.4.2009 über Nahles: "Wer ihr Abstimmungsverhalten zu Spätabtreibungen oder Embryonenschutz betrachte, werde feststellen, dass sie sich da an den Positionen der katholischen Kirche orientiere, sagt Nahles: 'Die gebe ich auch nicht auf, nur weil meine Parteizugehörigkeit etwas anderes vermuten lässt.'" Das allerdings wiederum hatten wir bisher nicht vermutet: Dass eine Sozialdemokratin ihren Glauben zum Gesetz macht, statt fein zu unterscheiden zwischen persönlichem Glauben und staatlicher Gesetzgebung. Müssen wir etwa befürchten, dass die 38-jährige SPD-Linke (!) von dieser zentralen Errungenschaft der Aufklärung – der Trennung von Religion und Staat – bisher noch nichts mitbekommen hat?

Auf keinen Fall für sich beanspruchen können eine solche Gnade der späten Geburt die SPD-Linken Heidemarie Wieczorek-Zeul, 66 ("die rote Heidi") und die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, 59. Ebenso wenig kann dies für den SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, 69, gelten. Alle drei aber machten gemeinsame Sache mit der CSU.

Herausgekommen ist nun ein Gesetz, das Frauen Verantwortungslosigkeit unterstellt und Eigenverantwortung abspricht. Und: Das Ärzte zu kriminalisieren droht. Denen droht bei Nicht-Beratung ein Bußgeld von 5.000 Euro. Eine Regelung, die der Denunzierung durch Angestellte etc. Tür und Tor öffnet.

Für alle ungewollt Schwangeren gilt also von nun an ab der 13. Woche die zusätzliche Wartezeit von drei Tagen. Drei Tage nach der Diagnose dürfen sie sich überhaupt einen Indikationsschein ausstellen lassen – und erst dann können die Frauen in Not auf die Suche gehen nach einem Arzt, der es überhaupt noch wagt, ihnen medizinisch beizustehen. Schon heute gibt es einen deutschen Abtreibungs-Exodus in liberalere Nachbarländer wie Holland. Das kann jetzt nur schlimmer werden. Denn Deutschland hat schon heute, zusammen mit dem erzkatholischen Polen und Irland, eines der repressivsten Abtreibungsgesetze Europas. In allen anderen Ländern gilt selbstverständlich das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht der Frauen, die Fristenlösung in den ersten drei Monaten.

Übrigens: Schon im Jahre 1974 war es die CSU, die via Verfassungsklage die vom Bundestag mehrheitlich verabschiedete Fristenlösung gestürzt hat. Damals stand sie allerdings noch allein damit. Der organisierte Druck orthodoxer und fundamentalistischer Christen stößt bei allen politischen Parteien auf offene Türen. Und während wir Europäer mit Entsetzen auf die Länder starren, in denen die Gottesstaatler ihren fanatischen Glauben zum Gesetz machen – währenddessen schleicht sich das Wort zum Sonntag auch in unsere Parlamente ein. Niemand hat so laut gejubelt über das neue "Schwangerschaftskonfliktgesetz" wie die deutschen "Lebensrechtler". Und sie erwarten mehr!

Wir dürfen gespannt sein, was die AnhängerInnen der christlichen Gesetzgebung im deutschen Rechtsstaat sich als nächstes zum § 218 einfallen lassen werden …

Das sagen die PolitikerInnen:
Andrea Nahles (SPD)  "Offen gesagt geht es mir bei der Bedenkzeit darum, dass die Betroffenen (...) Mut fassen, sich für ein behindertes Kind zu entscheiden."

Kerstin Griese (SPD) "Wir wollen sicherstellen, dass eine solche Diagnose nicht automatisch bedeutet, dass Kinder mit Down-Syndrom gar nicht mehr auf die Welt kommen."

Renate Schmidt (SPD): "Die Schlachten der 80er und 90er-Jahre müssen Gott sei Dank nicht erneut geführt werden, denn niemand will den Kompromiss zum§218 infrage stellen."

Ina Lenke (FDP): "Wir Liberale haben dafür gesorgt, dass das Bußgeld für Ärzte nicht verdoppelt wird."

Katrin Göring-Eckhard (Grüne): "Ich bitte sie sehr: Stimmen Sie für die Mütter und Väter, die es schwer mit ihrem Wunschkind haben."

Johannes Singhammer (CSU): "Vor einem Jahr hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass es eine breite Basis für die Änderungen des Schwangerschaftskonfliktes (gibt)."

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