Mit roten Taschen für gleichen Lohn
Uta Zech erinnert sich noch ganz genau an ihren ersten „Equal Pay Day“ am 15. April 2007, und es ist keine besonders erbauliche Erinnerung. „Es war sehr mühsam“, erzählt die Präsidentin der Business and Professional Women Deutschland. „Wir waren 15 Frauen, die mit ihren roten Taschen die Potsdamer Allee runterliefen und verzweifelt versuchten, unsere Flugblätter loszuwerden.“
Die wollte aber kaum jemand haben, denn damals, vor zwölf Jahren, kannte noch kein Mensch in Deutschland diesen „Equal Pay Day“: den Protesttag, der den „Gender Pay Gap“ anprangert. Niemand außer den Business and Professional Women, kurz: BPW. Der Verband berufstätiger Frauen mit knapp 2.000 Mitgliedern ist nicht nur in 42 deutschen Städten aktiv, sondern auch international gut vernetzt: mit rund 30.000 Mitgliedern in über 100 Ländern. Aus einem dieser Länder, den USA, brachte eine deutsche BPW-Delegation die Idee mit nach Hause. Die amerikanischen Schwestern hatten schon 1988 die „Red Purse Campaign“ lanciert, um auf die Einkommens-Kluft zwischen Frauen und Männern hinzuweisen. „Purse“ heißt Geldbörse oder Handtasche, und die rote Farbe soll die roten Zahlen in den Portemonnaies von Frauen symbolisieren.
Beim Gender Pay Gap ist Deutschland, das Land der „Rabenmutter“, mit 21 Prozent im europäischen Vergleich ganz weit vorne, nämlich auf Platz drei, nur noch überboten von Estland und Tschechien.
Doch auch wenn die erste Rote-Taschen-Aktion der Berliner BPW-Frauen noch weitgehend unbeachtet blieb – einer entscheidenden Person fiel sie auf: Ursula von der Leyen. Die damalige Bundesfrauenministerin griff die Kampagne der BPW-Frauen beherzt auf. Dank der finanziellen Unterstützung des Frauenministeriums entstand unter Führung der Business and Professional Women ein breites Bündnis aus Frauenorganisationen und Wirtschaftsverbänden, das seither jährlich den „Equal Pay Day“ ausruft: den Tag, bis zu dem Frauen weiterarbeiten müssten, um in einem Jahr das gleiche Geld verdient zu haben wie Männer.
Die BPW-Frauen machten sich an die Arbeit: Sie werteten Studien aus und brachten die Ergebnisse an die Öffentlichkeit, sie richteten Veranstaltungen und Kongresse zum Thema „Gender Pay Gap“ aus. Schon 2009 machen in ganz Deutschland 60.000 Frauen bei 180 Aktionen mit.
Doch der „Equal Pay Day“ ist keineswegs die einzige Baustelle der Business and Professional Women, zuvorderst ist der Verband ein Netzwerk berufstätiger Frauen. So war auch die heutige Präsidentin Uta Zech im Jahr 2003 zur Berliner BPW-Gruppe gestoßen: Die Schauspielerin und Inhaberin einer Kommunikationsagentur suchte ein Frauen-Netzwerk. „Ich dachte: Hier kann ich was fürs Geschäft und für die Frauen tun“, erinnert sie sich.
Ein bis zweimal im Monat treffen sich die 110 Berliner BPWlerinnen. Sie tauschen sich aus, sie organisieren Fortbildungen, sie laden Rednerinnen ein. Sie unterstützen sich als Frauen in einer immer noch männlich dominierten Berufswelt. Denn das ist sie heute immer noch, wenngleich es berufstätige Frauen vor 100 Jahren zweifellos ungleich schwerer hatten als heute. Damals entstand die Urzelle der BPW in den USA. Da mussten Frauen noch darum kämpfen, überhaupt das Haus verlassen und einem Beruf nachgehen zu dürfen. Aber der Sieg der Suffragetten im Kampf um das Frauenwahlrecht gab ihnen ebenso Rückenwind wie die Tatsache, dass auch in den USA viele Frauen im Ersten Weltkrieg die Jobs der abwesenden Männer übernommen hatten. Der Augenblick war günstig.
Es war die Rechtsanwältin Lena Madesin Phillips, die 1919 die National Federation of Business and Professional Women’s Clubs of the United States ins Leben rief. Als erste Frau hatte die Tochter eines Richters 1917 an der Universität von Kentucky ein Jurastudium abgeschlossen und bald darauf ihre eigene Kanzlei eröffnet. Lena dachte groß, größer als die USA. Sie startete mehrere „Goodwill Tours“ durch Europa, und 1930 entstand auf ihre Initiative hin in Genf der Internationale Dachverband der Business and Professional Women.
1931 wird die deutsche Juristin Marie Munk die Deutsche Vereinigung berufstätiger Frauen gründen. Sie ist eine der bedeutendsten Familienrechtlerinnen der Weimarer Republik. Schon in den 1920er-Jahren kämpft sie für ein modernes Scheidungsrecht ohne Schuldprinzip. Im August 1930 wird Munk am Berliner Amtsgericht eine der ersten Richterinnen Deutschlands. Doch gleich nach der Machtergreifung wird sie am 31. Januar 1933 entlassen: Die Nazis verhängen ein Berufsverbot für weibliche Juristen. Hinzu kommt Marie Munks jüdische Herkunft.
Da sich die Deutsche Vereinigung berufstätiger Frauen weigert, den Nazi-Verbänden beizutreten und ihre als „jüdisch“ stigmatisierten Mitglieder aus dem Verband auszuschließen, löst sich das Frauen-Netzwerk auf – und wird in Deutschland erst 1951 neugegründet. Da sind die Zeiten für berufstätige Frauen nach wie vor hart. Nach dem Krieg werden die Frauen, die die Jobs der Männer übernommen hatten, wieder heim an den Herd geschickt. Beamtinnen dürfen nicht verheiratet sein, in allen Branchen werden verheiratete Frauen massenhaft entlassen. Nur noch jede dritte Frau ist berufstätig.
Heute gehen 70 Prozent der Frauen in Deutschland einer bezahlten Arbeit nach, aber: Weil so viele in Teilzeit arbeiten und das oft in schlecht bezahlten „Frauenberufen“, tragen deutsche Frauen nur ein Fünftel zum durchschnittlichen Haushaltseinkommen bei. Sie sind damit das Schlusslicht aller 36 OECD-Staaten.
Das muss sich endlich ändern, sagt BPW-Präsidentin Zech. „Unser Grundsatz lautet: Die ökonomische Unabhängigkeit ist die Voraussetzung für eine gleichberechtigte Beziehung!“ Deshalb betreiben die Business Professional Women auch politische Lobbyarbeit. Sie treffen Politikerinnen, sie sitzen auf Podien und verbreiten dort ihre Forderungen: Halbe-halbe bei der Elternzeit! Weg mit dem Ehegattensplitting! Mehr Geld für Erziehungs- und Pflegeberufe! Und damit das alles auch durchgesetzt wird: Parität in den Parlamenten!
Am „Equal Pay Day“ 2019 war Uta Zech wieder mit ihrer roten Tasche in Berlin unterwegs. Diesmal allerdings stand sie am Brandenburger Tor, zusammen mit einer ganze Riege PolitikerInnen: von der CDU-Familienpolitikerin Nadine Schön bis zur frauenpolitischen Sprecherin der Linken, Cornelia Möhring. Sogar eine leibhaftige Ministerin, Frauenministerin Franziska Giffey (SPD), war mit von der Partie und hielt ihre rote Tasche in die Kameras. Der „Equal Pay Day“ lief in der Tagesschau. Zeiten ändern sich.
Im Netz: www.bpw-germany.de
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