Mozn Hassan: "Ich gebe nicht auf!"
Im Ausland wird die Feministin Mozn Hassan ausgezeichnet. In ihrer Heimat Ägypten wird sie verfolgt. Jetzt haben die Repressalien gegen die 39-Jährige einen neuen Höhepunkt erreicht. Weil sie mit ihrer Initiative „Nazra für feministische Studien“ für die Rechte der Ägypterinnen kämpft. Seit 2007 bietet ihre Initiative Opfern sexueller Gewalt medizinischen, psychologischen und juristischen Beistand und präsentiert außerdem Zahlen und Fakten zur sexuellen Gewalt in Ägypten. Als die Gewalt gegen Frauen während des sogenannten "arabischen Frühlings" im Jahr 2011 auf dem Tahir-Platz eskalierte, waren die Nazra-Frauen zur Stelle, um ein Hilfsprogramm für die Betroffenen zu starten. Und es ist unter anderem auch Mozn Hassan und ihren Mitstreiterinnen zu verdanken, dass die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern 2014 in der ägyptischen Verfassung verankert und das Sexualstrafrecht verschärft wurde. Nun aber werfen die ägyptischen Behörden der Trägerin des Alternativen Nobelpreises die „Gefährdung der inneren Sicherheit“ vor. Hassan droht lebenslange Haft. Im Gespräch mit EMMA erklärt sie, warum sie trotzdem weitermacht.
Mozn, du wurdest am Mittwoch von einem Ermittlungsrichter verhört. Was wird dir vorgeworfen?
Dass ich finanzielle Unterstützung aus dem Ausland bekomme, um die nationale Sicherheit zu gefährden. Und dass ich mit meiner Organisation Nazra eine Institution geschaffen hätte, die angeblich Informationen über Ägypten fälscht, um das Land weltweit in ein schlechtes Licht zu rücken. Damit beziehen sie sich auf meine Aufklärungsarbeit über Frauenrechte und sexuelle Gewalt. Und ein weiterer Vorwurf lautet, dass ich Frauen darin unterstütze, unverantwortlich viel Freiheit zu besitzen.
Welche Konsequenzen drohen dir?
Mir drohen 40 Jahre Haft. Und das nur deswegen, weil ich mit meiner Organsiation Nazra für Gleichberechtigung kämpfe. Das ist am härtesten für mich: Ich habe das Gefühl, dass ich wegen meiner feministischen Überzeugung bestraft werde. Und wir reden ja nicht über eine kleine Strafe. Diese Kampagne der Regierung gegen mich läuft auch schon länger. Seit 2016 sind meine Konten eingefroren und ich unterliege einem Reiseverbot. Der Druck auf Nazra ist so groß geworden, dass wir im Frühjahr das Büro schließen mussten. Mit dieser ständigen Angst zu leben und dabei genau zu wissen, dass ich nichts falsch gemacht habe - das ist schwer auszuhalten.
Dabei präsentiert sich Präsident al-Sisi als Förderer der Frauenrechte.
Das ist das Image, das sie nach außen präsentieren wollen. Der ägyptische Präsident hat 2017 sogar zum Jahr der Frau erklärt. Und viele haben erwartet, dass es dadurch eine Verbesserung der Frauenrechte geben wird. Aber ganz ehrlich? Es hat sich gar nichts getan. Sie haben weder ein neues Gesetz gegen sexuelle Gewalt erlassen noch haben sie eine Kommission eingerichtet, die Diskriminierung bekämpfen soll. Sie versprechen also viel, halten es aber nicht ein. Und jetzt sind sie hinter feministischen Organisationen her, weil sie nicht wollen, dass wir darauf hinweisen, was alles falsch läuft. Bei Feministinnen sind sie besonders empfindlich. Erstens sind sie so patriarchal, dass sie es nicht ertragen, von einer Frau kritisiert zu werden. Und zweitens sind die Fakten, die wir präsentieren, schlecht für ihre Propaganda.
Wie konnte Nazra unter dem langjährigen Druck weiterarbeiten?
Unsere Überlebensstrategie ist, dass wir uns als Gruppe dazu entschieden haben, einfach weiterzumachen. Und zwar, bis sie unser Büro offiziell schließen lassen oder uns ins Gefängnis werfen. Das ist bisher nicht passiert. Und so entwickeln wir ständig neue Instrumente. Zum Beispiel, um Opfern sexueller Gewalt weiterhin eine Hotline anzubieten. Und wir arbeiten auch als Mentorinnen für andere feministische Gruppen.
Wieso hast du Nazra eigentlich gegründet?
Als wir die Gruppe 2007 gegründet haben, gab es in Ägypten eine Aufbruchsstimmung. Und wir dachten, vielleicht ist das ja genau der Augenblick, um eine neue Welle der Frauenbewegung anzuschieben. Also haben wir die Sache mit Leidenschaft voran getrieben. Ende 2010 startete dann die arabische Revolution, die war ein echter Augenöffner! Einerseits hatten wir das Gefühl, dass wir endlich einen Raum für Gestaltung hatten. Andererseits waren wir mit dieser immensen Gewalt gegen Frauen konfrontiert und mussten uns um die Überlebenden sexueller Gewalt kümmern. Seither hat der Druck auf Frauen wieder enorm zugenommen und viele Ägypterinnen sind sehr niedergeschlagen. Denn sie sehen, dass sich inzwischen sogar Menschen von ihnen abwenden, die lange an ihrer Seite gekämpft haben. Aus dieser Erfahrung haben wir auch viel gelernt.
Was sind denn die größten Probleme, mit denen Frauen in Ägypten derzeit zu kämpfen haben?
Die Gewalt gegen Frauen ist ein großes Problem. Sie ist ein Mittel, um die ägyptischen Frauen davon abzuhalten, im öffentlichen Raum aktiv zu werden, eine politische Rolle zu spielen. Denn die Angst hält die Frauen davon ab, sich einzumischen. Und auch die zunehmende Stigmatisierung von Frauen, die es wagen ihre Stimme zu erheben, ist sehr hart. Vor allem, weil wir gleichzeitig keine funktionierenden Gesetze haben, die Frauen ihre Rechte zusichern. Und nicht zu vergessen: Es gibt einen immensen Druck auf die feministische Bewegung, auf all diese Frauen, die doch nur dafür kämpfen, dass die Träume der Ägypterinnen wahr werden.
Waren die Frauen nicht erstmal erleichtert, als 2013 die islamistische Muslimbruderschaft unter Mursi gestürzt wurde?
Es ist zu einfach zu sagen: Damals wurden die Islamisten entmachtet und dann kam ein weltoffenes Militär. Wir haben auch im Juni 2013 mehr als 300 Fälle sexueller Gewalt bis hin zur Gruppenvergewaltigung auf dem Tahir-Platz dokumentiert. Und man muss sich doch nur mal diese immense Zahl an vergewaltigten Frauen ansehen, auf die die Behörden nie reagiert haben, um zu begreifen: Wir stehen einfach gar nicht auf der Agenda. Und unsere Körper auch nicht.
Dabei hat die Frauenbewegung in Ägypten eine lange Tradition. Ist denn von den Errungenschaften einer Nawal el Saadawi heute noch etwas übrig?
Das stimmt, die ägyptische Frauenbewegung hat eine lange Geschichte, mit vielen Höhen und Tiefen. Denn der Druck auf uns kommt ja nicht nur von den Islamisten, sondern vom Staat, von der patriarchalen Gesellschaft und auch von den demokratischen, links-liberalen Gruppen, die uns nicht unterstützen. Deswegen ist es so schwer, in Ägypten eine feministische Bewegung aufzubauen: Wir habe einfach gar keine Verbündeten.
Im Iran und in Saudi-Arabien protestieren die Frauen ebenso. Ist die Zeit reif für ein pan-arabisches Frauenbündnis?
Diese Koalitionen aus Feministinnen und Frauenrechtsgruppen existieren ja schon. Es hat sich zum Beispiel vor einigen Jahren die Initiative „Regional Coalition for Women Human Rights Defenders in the Middle East and North Africa” gegründet. Die fahren gerade eine große Solidaritäts-Kampagne für die inhaftierten Frauenrechtlerinnen in Saudi-Arabien. Und sie haben auch mich in den vergangenen Tagen sehr unterstützt. Aber der immense Druck hindert Frauen natürlich daran, sich besser zu vernetzen. Zum Beispiel, weil sie - so wie ich - einem Ausreiseverbot unterliegen. Wir können uns nicht einfach so treffen. Und auch unser Zugang zu Kommunikationsmitteln, also zum Beispiel zu sozialen Medien, ist eingeschränkt.
Was können die Frauen im Westen tun, um dich zu unterstützen?
Solidarität unter Feministinnen ist wichtig! Und es ist auch unglaublich wichtig, dass ihr auf unsere Situation aufmerksam macht, um dem Gerücht entgegenzuwirken, dass Frauen in unseren Regionen heute eine besseres Leben hätten. Ihr müsst über unsere Realität sprechen, über die Kämpfe, die wir Tag für Tag als Feministinnen führen. Weder das, was die Regierung, noch das, was die radikalen Gruppierungen über uns sagen, stimmt.
Woher nimmst du die Kraft, trotz alledem weiterzumachen?
Wenn du eine überzeugte Feministin bist, wenn du wirklich daran glaubst, dass die Frauen in Ägypten etwas Besseres verdient haben, dann gibst du nicht einfach so auf. Und ich erfahre ja auch viel Liebe und Solidarität, von meinem Team, von meinen Freunden und von Unterstützerinnen und Unterstützern weltweit. Und es hilft natürlich, morgens aufzuwachen und sich sicher zu sein: Eines Tages wird dieser ganze Albtraum vorbei sein!
Das Gespräch führte Alexandra Eul.