Die Frau als Beute
Das ist die Lektion, die Frauen in dieser Woche erteilt worden ist: Du sollst dir kein Bild von dir machen, auf dem du nackt bist. Es wird dir gestohlen und im Internet der Welt vorgeworfen werden. Und dann werden Legionen von Männern damit beginnen, deine Nippel, deinen Hintern, deinen Gesichtsausdruck beim Sex zu besprechen und dich für deine Dummheit zu verhöhnen. Denn für sie gilt: Frauen sind dumm, wenn sie darauf vertrauen, dass man respektiert, wem sie sich nackt zeigen wollen und wem nicht. Jedes Mal, wenn einer es sagt, klingt es, wie es vor 30, 20, 10 Jahren geklungen hat, wenn über eine vergewaltigte Frau gesagt wurde, dass sie einen Minirock anhatte, im Dunkeln nach Hause ging oder ihr Lächeln so missverständlich einladend war. Es ist dieselbe Botschaft: selbst schuld. Wenn du so blöd bist, darfst du dich nicht darüber wundern, was dir angetan wird.
Gestohlene Nacktfotos ins Netz gestellt - das widerfährt auch nicht-prominenten Frauen.
Man muss sich nichts vormachen. Dass Hacker jetzt Nacktfotos und -videos von über hundert Schauspielerinnen wie Jennifer Lawrence, Kirsten Dunst oder Jessica Brown Findlay gestohlen und ins Netz gepumpt haben, unterscheidet sich nur durch die Prominenz der Opfer von dem, was tagtäglich geschieht. Fappening – wie das Ereignis mit einer Wortkombination getauft wurde, in der "Happening" und "fap" stecken, ein lautmalerischer Slangausdruck für das Geräusch beim Masturbieren – ist eine permanente Veranstaltung, die auch unzähligen nicht prominenten Frauen widerfährt. Um sich davon zu überzeugen, muss man bei Google bloß "Revenge Porn" eingeben – all die Jungs, Ex-Liebhaber, Ex-Freunde, Ex-Männer, die es lustig finden, wenn sie mit der Welt Intimitäten teilen, die fürs Sharing nie vorgesehen waren.
Der Fehler, den die prominenten wie nicht prominenten Frauen angeblich begangen haben: Sie haben ihre Handys und Digitalkameras dazu verwendet, sich nackt oder beim Sex zu fotografieren (oder es ihren Partnern erlaubt). 2014 macht man so etwas, auch deswegen, weil man denkt, man könne es sich leisten. Schließlich muss man die Zeugnisse seines Leichtsinns nicht mehr in Labors tragen, wo irgendein untervögelter oder unterbezahlter Mitarbeiter sie kopieren oder an die Yellowpress verkaufen könnte.
Private Nackt-Selfies und Homepornos kann jeder doof oder ästhetisch anfechtbar finden, wie man bekanntlich alles doof oder ästhetisch anfechtbar finden kann. Aber sie gehen einen nichts an. Sie sind die Sache der Menschen, die sie machen, und das gilt selbstverständlich auch für jene, die auf den A-Listen der Prominenz stehen. Jeder Mensch hat das Recht, sich im Privaten so zu inszenieren, wie er will, jeder Mensch, wenn er damit anderen nicht in die Quere kommt, hat das Recht auf sein eigenes erotisches, schmutziges, sexuelles, versautes Selbst. Und keiner das Recht, sich die Intimitäten anderer zu grapschen.
Frauenkörper sind immer noch so etwas wie Eigentum jener, die sie ansehen.
Doch vermutlich ist es genau das, was Frauen, prominenten wie unbekannten, verdorben werden soll: jene Augenblicke, in denen sie sich noch vormachen, zu ihren Freiheiten gehöre es auch, sich ihre Komplizenschaften, Abenteuer, Neugierden und Identitätsüberschreitungen selbst zu wählen. In unserer Gegenwart sind Frauenkörper immer noch so etwas wie Eigentum jener, die sie ansehen. Wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegen, werden sie unablässig taxiert und kommentiert – als wären Menschen es anderen schuldig, ihnen zu gefallen. Und wenn sie nicht in die Öffentlichkeit gehen? Steigert es nur den Jagdeifer derer, die es nicht ertragen können, wenn jemand für sich bleiben will. Das Glück des Nichtöffentlichen und des Ignoriertwerdens sollen nur Frauen genießen können, von denen Spanner befinden, sie seien ihrer Blicke nicht wert.
Bei allen anderen soll sich nie der Zweifel verflüchtigen, ob sie nicht doch jemand belauert, in ihr Leben eindringt, sich holt, was ihm nie gehört hat. Und nie sollen sie vergessen, dass sie sich vor dem Gehechel von Spannern und der Bereitschaft von Männern, sie gleichzeitig stimulierend und verachtenswert dämlich zu finden, nur dadurch schützen können, dass sie ihre Nacktheit niemandem mehr zeigen, nicht einmal ihrer Handykamera. Die totalvernetzte Welt ist tatsächlich zu einem globalen Kaff geworden; wer je in einem gelebt hat, weiß, wie es dort jenen Frauen ergeht, die sich Freiheiten herausnehmen. Irgendwann kommt alles raus, und dann Gnade ihnen Gott.
Was es den Männern bringt, die solche Nacktfotos stehlen oder sich mit ihnen wie auch immer vergnügen, obwohl es für sie bekanntlich auch reichlich Stoff gäbe, der aus freien Stücken ins Netz gestellt wurde? Bei der Beantwortung dieser Frage kann man sich getrost auf die Auskünfte verlassen, die man nicht nur von Feministinnen über den Grund von Vergewaltigungen erhält: Es geht um die Demonstration von Macht. Jede Frau soll wissen, dass man sie kriegen kann, dass sie eine Trophäe ist – umso kostbarer, je mehr sie sich darum bemüht hat, sich nicht erbeuten zu lassen.
Die Menschen, die die Fotos verbreitet haben, sind keine Hacker sondern Sexualverbrecher.
Selbstverständlich ist das alles nur ein Sport und ein Jungsspaß, und so wurde der Celebrity-Leak auch inszeniert. Auf Reddit, jener Website, auf der die Öffentlichkeit viele der entwendeten Nacktfotos abgreifen konnte, bis die Angst vor der Polizei schließlich doch stärker wurde als die Triumphgefühle, wurde zu Spenden für die Prostate Cancer Society aufgerufen, weil häufiges Masturbieren angeblich vor Prostatakrebs schützt. (Die Organisation lehnte es umgehend ab, von Idioten unterstützt zu werden, die einen doch fast daran glauben lassen, dass Selbstbefriedigung zu Gehirnschäden führt). Und ein kalifornischer Künstler namens XVALA gab durch, er werde bei seiner nächsten Ausstellung "No Delete" im Oktober auch gehackte Nacktfotos von Jennifer Lawrence und Kate Upton zeigen. Seine Rechtfertigung: "Wir teilen unsere Geheimnisse mit Technologie. Und wenn wir das tun, wird unsere Privatheit für andere zugänglich."
Für Frauen allerdings, die solchen Humor und dergleichen Schlaumeiertum ausbaden müssen, fühlt es sich anders an – daran hat die Schauspielerin Lena Dunham auf Twitter erinnert: "Ganz im Ernst: Vergessen Sie nicht, dass die Menschen, die diese Fotos gestohlen und verbreitet haben, keine Hacker sind. Sie sind Sexualverbrecher."
Ihre Opfer können nun noch so sehr zu vergessen versuchen; man wird sie für den Rest ihres Lebens in Artikeln, Interviews und Weblogs nicht mehr vergessen lassen, dass Ende August 2014 Hacker und im Anschluss daran unzählige Boulevardjournalisten, Blogger und Twitterer über sie hergefallen sind. Und jede Menge technikaffine Interneterklärer, die ihnen und uns allen erklärten, was das alles bedeutet – dass es im Netz und in den Clouds, in denen man sich alleine fühlt, nur dann Privatheit gibt, wenn man sich alle paar Minuten neue Passwörter gibt, die man sich nicht merken kann oder für zweifache Autorisierungen entscheidet. Als ginge es bloß um ein technisches Problem. Und nicht darum, dass Frauen immer noch eine Beute sind, etwas, auf das Jäger und Sammler scharf sind.
Das ist die Lektion, die Frauen in dieser Woche gelernt haben: Im Islamischen Staat verkaufen die harten Jungs die Frauen, die ihnen in die Hände gefallen sind. Im nicht islamischen Staat werden sie im Netz verschenkt.
Der Text erschien zuerst in der Welt am Sonntag.