Nadine Gordimer ist tot

Foto: Victor Dlamini
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Still ist es in den mit lila blühenden Jakarandablumen gesäumten Alleen. Die weißen Häuser liegen versteckt hinter hohen Mauern und Stacheldraht. In Parktown West, einem Viertel gleich hinter der Universität Witswatersrand im Norden Johannesburg, leben Nadine Gordimer und ihr Mann Reinhold Cassirer seit 43 Jahren. Ihre Nachbarn sind Künstler, Professoren, Ärzte und Anwälte. Seit kurzem sind einige schwarze Familien hinzugezogen. Sie haben es zu Wohlstand gebracht und sind den Townships entronnen, den Slums, die wie ein Krebsgeschwür am Rand der südafrikanischen Metropole wuchern. Dort Hausen sie in Wellblechbuden - viele haben weder fließendes Wasser noch elektrisches Licht - bis zu vier Millionen Schwarze. 

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Die Ghettos sind Altlasten des Apartheidregimes, das den Schwarzen untersagte, in die Wohngebiete der Weißen zu ziehen. Erst 1994 wurden endültig alle Rassengesetze abgeschafft, und seitdem ist nach 300-jähriger Herrschaft der Weißen zum ersten Mal ein Schwarzer Präsident von Südafrika: Nelson Mandela, der Vorsitzende des Afrikanischen Nationalkongresses ANC.

Im Wahlkampf wurde der ANC von einem seiner prominentesten Mitglieder unterstützt: Nadine Gordimer hielt Reden für die Partei und verteilte Flugblätter. Den Vorschlag, sich als Kandidatin aufstellen zu lassen, hatte die Nobelpreisträgerin der Literatur jedoch abgelehnt: "Ich bin Künstlerin, nicht Politikerin."

Ich bin Künstlerin, nicht Politikerin.

Nadine Gordimer sitzt aufrecht in ihrem Sessel, ihre tiefbraunen Augen mustern wach und zugleich distanziert die Besucherin. Im Wohnzimmer steht eine Skulptur der deutschen Bildhauerin Käthe Kollwitz, an der Wand ein Bild des französischen Malers Cézanne - Kunst aus der Sammlung ihres Mannes, des Galeristen und ehemaligen Südafrika-Repräsentanten des Auktionshauses Sotheby's. 

Keine Sekunde täuscht Nadine Gordimers äußere Zartheit über ihren resoluten Charakter hinweg. Selten nur gibt die 73-Jährige ihre Unnahbarkeit mit einem kurzen Lächeln auf, Fragen nach ihrem Privatleben beantwortet sie knapp und machmal überhaupt nicht. Die Autorin will durch ihr Werk verstanden werden und nicht durch Preisgabe biographischer Intimitäten. "Der Text erschließt den Menschen, nicht umgekehrt."

Ihr Gesamtwerk, rund 20 Romane, 200 Essays und Kurzgeschichten, drehen sich um das Thema Rassismus in Südafrika. "Die Gesetze der Apartheid", sagt Nadine Gordimer, "können nur mit den Rassengesetzen der Nationalsozialisten gegen die Juden verglichen werden. Sogar miteinander sexuelle Beziehungen zu haben, war untersagt." 

In der Welt, in der Nadine Gordimer aufwächst, ist Rassentrennung etwas Normales und Alltägliches. Am 20. November 1923 wird sie als jüngere von zwei Töchtern in Springs geboren. Die kleine Minenstadt, ein trostloses Nest in Transvaal, ist umgeben von gelben Abraumhalden der Goldminen und schwarzen Halden von Kohleschlacke. Dort hat Nadines Vater, ein jüdischer Einwanderer aus dem lettischen Riga, ein Uhrmacher- und Juweliergeschäft. Tonangebend ist die in London geborene Mutter, eine resolute, freidenkerische Frau, die sagt: "Die Schwarzen sind doch auch Menschen." Sie richtet eine Krippe für schwarze Kinder ein und fühlt sich unwohl, wenn Nadines Vater seine schwarzen Bediensteten anherrscht.

Nadine hat ein schwarzes Kindermädchen, Letty, mit der sie ein liebevolles und enges Verhältnis verbindet. Zu ihren Eltern ist ihre Beziehung eher distanziert. Trotz der jüdisch-orthodoxen Herkunft ihres Vaters spielt der Glaube in ihrer Familie keine Rolle. Ihr Vater, der aufgrund mangelnder Bildung Minderwertigkeitsgefühle gegenüber seiner Frau hat, wagt nicht, ihren spöttischen Bemerkungen über die Heuchelei aller organisierten Religionen zu widersprechen.

Die Eltern schicken ihre zwei Töchter auf eine katholische Klosterschule. Dort beginnt jeder Morgen mit einem Vaterunser. Vor dem Gebet versteckt sich die kleine Nadine, und wenn der Chor der vielen Stimmen erklingt, läuft sie durch die großen Eisentore hinaus aufs offene Feld, die afrikanische Steppe, die sich zwischen Schule und ihrem Zuhause erstreckt. Viele Sommermorgende schwänzt sie die Schule, fängt Schmetterlinge, bis sie die Schulglocke hört und zum Mittagessen nach Hause gehen kann, ohne Misstrauen zu erregen. Die Klosterschule besuchen nur Weiße; das ist für Nadine völlig selbstverständlich. Vor ihrer eigenen Haustür existiert eine unbekannte Welt, zu der ihr der Zutritt nicht erlaubt ist: "Auf der anderen Seite gab es direkt vor dem Tor unseres Vorstadthauses mit seinen rotgetünchten Haustürstufen und seinen Erkerfenstern das große Auf und Ab des Lebens, Laute von Sprachen, die ich nicht verstand, die mir aber unendlich vertraut waren, weil ich sie von frühester Kindheit im Ohr hatte. Aber das alles, wurde mir gesagt, hatte nichts mit mir zu tun."

Die Neugier ist stärker als die Angst

Nadine hält sich nicht an die Verbote ihrer Eltern. Oft schlendert sie einen rötlichen Staubpfad in ihrem Dorf entlang. Dort tummeln sich Dutzende von - wie die Weißen abfällig sagen - "Eingeborenen". Das Mädchen streunt zwischen den Läden herum, wo die schwarzen Minenarbeiter während des Schichtwechsels Schallplatten oder Batterien einkaufen, ihre Fahrräder reparieren lassen oder einfach im Kreis auf dem Boden sitzen und illegal gebrautes Bier aus Maismehl, Zucker und Weißbrot trinken. Auch wenn ihr Herz klopft, ist ihre Neugier stärker als die Angst; sie drückt ihre Nase an den Fensterscheiben der Läden platt.

Nadine ist eine genaue, auflergewöhnliche Beobachterin, der bald Widersprüche im Alltagsleben auffallen: So behandeln die meisten Weißen in Springs die Schwarzen schockierend schlecht. Doch die Ladenbesitzer sind sich nicht zu schade, ihr Geld zu nehmen. Schildern wird sie ihre Erfahrungen erst als Erwachsene, in ihrem ersten, am stärksten autobiographisch gefärbten Roman "Entzauberung", dessen englischer Originalititel '"The Lying Days" sehr viel treffender diese Zeit beschreibt: als Tage der Lüge.

Als Nadine in die Pubertät kommt, kapselt sie sich ab. Sie ist eine Einzelgängerin, die sich von dem gesellschaftlichen Leben ihrer Altersgenossinnen in Sportvereinen oder Kirchengruppen, dem Tennisspiel oder dem Tanz am Samstagabend fernhält. Stattdessen fühlt sie sich magisch angezogen von der Leihbücherei, in der sie seit ihrem sechsten Lebensjahr Mitglied ist und die sie inzwischen fast täglich besucht. Hier entdeckt sie eine Welt, die sie weit von dem "Clubleben der Kolonisten" entfernt. 
Sie verschlingt alle Werke der Weltliteratur, vom französischen Existentialisten Albert Camus bis hin zum deutschen Erzähler Thomas Mann. Romane wie "Der Dschungel", in dem der Amerikaner Upton Sinclair die elenden Lebensbedingungen der Schlachthausarbeiter in Chicago schildert, regen sie an, über die schwarzen Bergarbeiter in Springs nachzudenken. "Es waren nicht etwa die Probleme meines Landes", sagt Nadine Gordimer, "die mir als Jugendliche die Augen geöffnet haben".

Das Lesen erweckt aber noch etwas anderes in der Heranwachsenden: das Bedürfnis zu schreiben. Schon als sie neun Jahre alt ist, veröffentlicht eine Sonntagszeitung einige ihrer Geschichten auf der Kinderseite. Doch jetzt, mit 14 Jahren, beginnt sie, ihr Leben ernsthafter zu betrachten. Schreiben ist für Nadine ein Mittel, "um sich selbst zu erschaffen", wie sie später in dem Essay "Jene andere Welt, die die Welt war" schreiben wird. Die Veröffentlichungen ihrer Kurzgeschichten in liberalen Wochenzeitschriften bringen ihr Lob ein, doch die Eltern fördern das Talent ihrer Tochter nicht. Nadine wird nicht ermutigt, aber auch nicht gehindert, man lässt sie einfach. Sie beginnt - nach einem kurzen Umweg über eine konventionelle erste Ehe - ein Literatur-Studium an der Universität Witswatersrand in Johannesburg. Mit diesem Schritt nach Johannesburg beendet die 26-jährige Frau zugleich ihre kurze Ehe mit ihrem ersten Mann. Ihr gemeinsames Töchterchen Oriane, "das sie sich inzwischen erlaubt hat", nimmt sie mit.

Ein Jahr zuvor, 1948, ist die National Party an die Macht gekommen und hat die Parole der Apartheid ausgerufen. Der burische Präsident Daniel Malan setzt mit Gesetzen und Verfassungsänderungen die Rassentheorie vehement in die Praxis um. In dieser Zeit freundet sich Nadine mit Ezekiel Mphahlele, einem Schwarzen, an und bricht damit zunächst die "mildesten Tabus". Der Journalist führt sie in das Leben der Townships, der schwarzen Ghettos ein und nimmt sie mit in das intellektuelle Sophiatown, ein Stadtteil, in dem die schwarze Intelligenzia wohnt, bis das Apartheidsregime die Häuser 1962 mit Panzern plattwalzt. 

Wir dachten, die Mauern der Apartheid würden fallen

Bald ist Nadine mit den meisten Schriftstellern der jungen Generation bekannt. Sie bewegt sich in Kreisen, in denen schwarze Musiker, Lehrer, Journalisten und Fotografen mit ihren weißen Kollegen reden, trinken, tanzen und Affairen haben. Das alles ist verboten, doch die jungen Leute treffen sich heimlich in leerstehenden Fabrikgebäuden oder in Häusern von Weißen, wo Schwarze eigentlich nur als Diener Zutritt haben, oder in den schwarzen Trinkhallen die sich in den Townships verbergen. "Damals", sagt Nadine Gordimer, "dachten wir, dass die Mauern der Apartheid fallen würden." Doch bis zum Niedergang der Apartheid soll noch ein halbes Jahrhundert vergehen. Nadine verdient genug Geld mit dem Schreiben, um ihre Miete zu bezahlen und ihre Tochter ernähren zu können. Ein Verlag in Johannesburg hat ihr die Veröffentlichung ihrer gesammelten Erzählungen angeboten. Auch in den USA erscheinen ihre Kurzgeschichten erst in renommierten Magazinen wie The New Yorker Magazine oder The Yale Review und 1953 in einem Buch.

In diesen Jahren arbeitet sie auch an ihrem ersten Roman "Entzauberung", der Entwicklungsgeschichte einer jungen Frau, die langsam den alltäglichen Rassismus in seiner höfllichen Realität erkennt. Die Hauptperson Helen wächst, ebenso wie Nadine, in einer kleinen Minenstadt auf. Den vermeintlich freundlichen Umgang ihrer Mutter mit dem Personal findet sie "unerträglich", da auch er nur Ausdruck einer subtilen Form von Rassismus ist: "Es ist im Grunde immer wieder die Abhandlung des gleichen alten Themas: natürlich, du selbst bist anders, aber du bist mein Freund, und es paflt mir zufällig in den Kram, dich gern zu haben - auch wenn du Jude bist." Ihr eigener Vater hatte vor den Judenprogromen aus Osteuropa fliehen müssen. 

Als "Entzauberung" 1953 erscheint, wird das Buch auch in Übersee sofort ein Erfolg. Inzwischen hat Nadine einen Mann kennengelernt, der sie fasziniert. Reinhold Cassirer, Sohn der berühmten Berliner Kunstsammler- und Philosophenfamilie, hatte Nazi-Deutschland 1935 verlassen, nachdem die elterlichen Kabelwerke "arisiert" und von Siemens aufgekauft worden waren. "Reine" teilt die politischen Ansichten Nadines. 1954 heiraten sie und ziehen mit ihren zwei Kindern - auch Reinhold hat aus erster Ehe eine Tochter mitgebracht - nach Parktown. In dem weißen Haus, errichtet im nüchternen Bauhaus-Stil, hat Nadine ein kleines Arbeitszimmer mit Blick auf den weitläufigen Garten. Wenn sie sich des Morgens an den Schreibtisch setzt, muß im Haus Stille herrschen. 

Mit ihrem Mann bekommt sie bald einen Sohn, den sie Hugo nennen. Doch Babys oder Kleinkinder haben Nadine noch nie besonders begeistert. Auf die Frage, wie sie ihr Dasein als Schriftstellerin und Mutter vereinbart habe, antwortet sie knapp: "Indem ich meine Kinder ins Internat schickte." Die Familie Cassirer/Gordimer führt ein großbürgerliches und liberales Leben, oft haben sie schwarze und weiße Gäste. Doch die "Zeit des Feierns", wie Nadine Gordimer sie nennt, wird bald endgültig vorbei sein.

Die Katastrophe beginnt am 21. März 1960, ein Jahr bevor Südafrika eine Republik wird und aus dem Commonwealth austritt. In dem nahe gelegenen Township Sharpville lenkt ein brutales Massaker zum ersten Mal die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Apartheid. Die Polizei schießt auf friedliche Demonstranten. Einen Monat später geht die Regierung daran, die gewaltlose Opposition zu zerschlagen. Folge des Verbots von ANC ist die Gründung des Pan-Africanist Congress (PAC), eine nationalistische Abspaltung, die sich vom gewaltlosen Widerstand abwendet und den bewaffneten Kampf befürwortet.

Die Verschärfung der Rassengesetze sind Anlass für Nadine Gordimer, sich mit ihrer bisher gemäßigten politischen Haltung kritisch auseinanderzusetzen. "Der Liberalismus", schreibt sie 1958, "ist bedeutungslos geworden. Wir müssen uns damit abfinden, daß wir in einer morschen Gesellschaft nicht anständig leben können." Die Bräuche der südafrikanischen Gesellschaft werden zum Thema ihres dritten Buches, an dem sie nach dem Massaker von Sharpeville zu arbeiten beginnt. Hintergrund des Romans 'Anlaß zu lieben' sind die multikulturellen Partys und endlos komplizierten Liebesgeschichten Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre.

Die Hauptfiguren bewegen sich in einem toleranten, intellektuellen Milieu, das Gordimers eigenem Leben und Umfeld sehr ähnelt. Die Geschichte wird aus der Perspektive Jessie Stilwells erzählt, einer Mutter, die ihre vier Kinder eher als Last, denn als Lust empfindet. Sie und ihr Mann Tom, ein Universitätsprofessor, führen in Johannesburg ein für Freunde aller Hautfarben offenes Haus. Für mehrere Monate beherbergen sie ein Paar aus London und werden Zeuge einer auch ihr Leben verändernden Liebesaffäre. Anne, die junge temperamentvolle Frau des Musikethnologen Boaz, verliebt sich in den schwarzen Maler Shibalo. Sie lebt diese Beziehung für ein paar Monate, indem sie die Rassenschranken einfach ignoriert. Doch daß diese Haltung eine Lebenslüge ist, entblattert Nadine Gordimer wie die Schalen einer Zwiebel, von der am Ende ebenso wenig übrig bleibt wie von der Liebe zwischen Anne und Shibalo.

Gordimer benutzt die Waffen, die einer Schriftstellerin zur Verfügung stehen

Schon Mitte der 50er Jahre hatte die Gewerkschaftlerin Betty de Toy sie mit Leuten bekannt gemacht, die nicht "auf Partys, sondern in Gefängnisse gehen". Das politische Engagement der Burin, die dem ANC eng verbunden ist, beeinflußt die Schriftstellerin stark. "Betty", sagt Nadine Gordimer, "war anders als die liberalen Weßen, die ich kannte. Sie kämpfte für die Freiheitsbewegung, indem sie Anweisungen von Schwarzen entgegennahm."

Gordimer benutzt die Waffen, die einer Schriftstellerin zur Verfügung stehen: Sie verfasst Artikel, Essays und hält Reden gegen die Apartheid. Sie wendet sich gegen die Zensur, von der auch ihre Romane betroffen sind. In dieser Zeit ist sie öfter im Gerichtssaal als zu Hause. Oft sagt sie als Zeugin der Verteidigung aus für schwarze Freunde und Kollegen, die des Hochverrats angeklagt sind. Sie hilft befreundeten schwarzen Schriftstellern, deren Bücher gebannt sind, im Ausland zu veröffentlichen. Sie geht auf die Straße und nimmt an Protestmärschen und Demonstrationen teil - bis auch die verboten werden.

Dennoch ist Emigration für sie keine Alternative, dies wäre der bequemere Weg, der bedeutete, vor den Problemen zu flüchten. "Ins Exil gehen, heißt seinen Platz in der Welt verlieren", begründet die Schriftstellerin später mit den Worten Jean-Paul Sartres ihre Entscheidung. Dafür zahlt sie wie viele andere, die in der Freiheitsbewegung engagiert sind, einen hohen Preis. Ihr politisches Engagement und ihre Solidarität mit schwarzen Freunden, wie dem Zuli-Häuptling Albert Luthuli, den sie beherbergt, obwohl er des Hochverrats angeklagt ist, machen sie verdächtig. Die Geheimpolizei bespitzelt sie und hört ihr Telefon ab, und ultrarechte burische Extremisten schicken ihr Morddrohungen.

Nicht nur die Regierung, das begreift auch Rosa, die Heldin ihres Romans "Burgers Tochter", sondern alle Weißen sind an der aussichtslosen Lage Südafrikas schuld, denn auch sie sind Teil der herrschenden Kaste durch das weiße Privileg. "Burgers Tochter" endet mit den Aufständen von Soweto im Juni 1976, in die Rosa als Unbeteiligte hineingerät und von der Polizei verhaftet wird. Als der Roman in Südafrika erscheint, wird er sofort verboten. 13 Jahre später wird die Nobelpreis-Akademie dieses Buch zu einem von Gordimers Meisterwerken erklären.

Die Einführung von Afrikaans, der Sprache des burischen Regimes, als Unterrichtssprache ist eine Provokation, auf die die Schüler von Soweto mit einer Revolte reagieren. Die Schulstreiks beginnen im Mai 1976 und erreichen am 16. Juni ihren Höhepunkt, als 20.000 Schüler in einer friedlichen Demonstration durch Soweto gehen und plötzlich der bewaffneten Macht des Polizeistaats gegenüberstehen. Die Polizisten werfen Tränengasgranaten, die Kinder und Jugendlichen Steine - die Polizisten antworten mit Maschinengewehren. Nadine Gordimer ist tief berührt von den Kindern, die "im Laufe eines Morgens lernten, die Angst vor dem Tod zu überwinden".

Das "Black Consciousness Movement", die Bewegung des schwarzen Bewufltseins, grenzt sich jetzt von allen ab - selbst von den liberalen oder radikalen Weiflen, die auch nur als Bestandteil des Herrschaftssystems betrachtet werden. Dies ist für Nadine Gordimer ein Schlag ins Gesicht. In ihrer Rede, die sie 1979 auf einer Konferenz "zur Lage der Kunst in Südafrika" in Kapstadt hält, macht Nadine Gordimer deutlich, dass auch sie ihre Hautfarbe als Stigma empfindet, wenn auch eines, das priviligiert. Man kann seine Klasse, seine Religion und seine politische Überzeugung wechseln, aber aus seiner Haut kommt niemand heraus.

Ende der 1970er Jahre haben die politischen Verhältnisse ihren Tiefpunkt erreicht. Gordimer befürchtet, daß ihr Land in einen Bürgerkrieg schlittert. Ihr Roman "July's Leute" malt eine düstere Zukunftsvision: Unterstützt von Truppen der angrenzenden Staaten Mozambique und Zimbabwe erreichen Rebellen die Städte der Weißen; ihre Fabriken und Verwaltungszentralen werden in die Luft gesprengt, ihre Villen gehen in Flammen auf. Mit Hilfe seines Hausboys July, der nach dem Monat seiner Ankunft benannt ist, flieht das weiße Ehepaar Bam und Maureen Smales und seine drei Kinder in den Busch. Von nun an findet eine Umkehrung der Verhältnisse statt: Jetzt ist July der Stärkere, seine ehemalige, wenn auch liberale Herrschaft - Bram und Maureen sind Apartheidgegner - ist von ihm abhängig. "Ihnen wurde übel bei dem Gedanken, sie könnten feststellen, dass sie ihr ganzes Leben als das verbracht hätten, was sie waren: als weiße Parias, geboren auf einem schwarzen Kontinent."

Seit Jahrzehnten stand die "internationale First Lady der Literatur", wie sie genannt wird, auf der so genannten "Kurzliste", der Anwartsliste zum Literatur-Nobelpreis. Doch erst 1991, mit 67 Jahren, erhält sie als siebte Frau innerhalb von 90 Jahren die höchste Literaturauszeichnung. Nadine Gordimer befindet sich gerade auf einer Lesereise in den USA, als sie die Nachricht erreicht. Sie reagiert überrascht: "Ich war schon so lange eine mögliche Kandidatin für den Nobelpreis, dass ich die Hoffnung aufgegeben hatte", sagt sie einem Reporter der New York Times. Und: "Wenn ich den Preis vor dem Zusammenbruch der Apartheid erhalten hätte, wäre er natürlich ein Schlag ins Gesicht des weißen Unterdrückerregimes gewesen." Der inzwischen vom Apartheid-Saulus zum Perestroika-Paulus gewandelte amtierende Präsident de Klerk gratuliert, wenn auch nicht überschwenglich: "Als Südafrikaner bin ich immer erfreut, wenn einer unserer Landsleute internationale Anerkennung erhält. Der Nobelpreis für Literatur hebt das Prestige."

Erst seit wir vor dem Gesetz alle gleich sind, kann auch ich mich Südafrikanerin nennen

Als die Geehrte von der Nobelpreisverleihung in Schweden in ihr Land zurückkommt, wird sie am Jan-Smuts-Flughafen in Johannesburg von einer Menschenmenge stürmisch empfangen. Gekommen sind nur vier enge weiße Freunde, sonst ausschließlich Schwarze. Die Menschen schwenken Spruchbänder, tanzen und singen und hupen auf der Strafle vor der Ankunftshalle. "Sicherlich auch deshalb", erinnert sich der schwarze Schriftsteller Don Mattera, "weil wir schwarzen Schriftsteller das Gefühl hatten, dass auch wir mit diesem Preis geehrt worden sind." Es ist typisch für die Nobelpreisträgerin, dass sie nicht nur redet, sondern auch handelt: Sie spendet einen Teil des mit 1,7 Millionen Mark dotierten Preisgelds dem "Congress of South African Writers", einer Vereinigung, die sie mitbegründete und die größtenteils aus Schwarzen besteht.

Die ersten demokratischen Wahlen in Südafrika finden 1994 statt. Für Gordimer ist dies auch eine persönliche Befreiung: "Erst jetzt", sagt sie, und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, "nachdem wir vor dem Gesetz alle gleich sind, kann auch ich mich Südafrikanerin nennen." Südafrika setzt auf das Prinzip Vergebung und wählt ein weltweit einmaliges Modell: Keine Generalamnesie wie in Südamerika, aber auch keine strafrechtliche Verfolgung der Täter wie in Deutschland. Stattdessen wird eine Wahrheits- und Versöhnungskommission eingerichtet, in der Opfer von den Greueln berichten, die ihnen zugefügt wurden. "Die Möglichkeit, über ihr Leid zu sprechen", sagt Nadine Gordimer, "ist eine Form der Katharsis. Aber ich frage mich, ob die Opfer jemals wieder ein normales Leben werden führen können."

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