Nasrin Sotoudeh: Hilferuf aus Iran
Ich habe über sieben Jahre im Gefängnis verbracht. Nicht, weil ich kriminell bin, sondern als Anwältin, die das Gesetz liebt und an die Menschenrechte glaubt. Während dieser Zeit kümmerte sich mein Mann Reza um unsere Kinder, die noch sehr klein waren. Er brachte sie zur Schule, zum Spielen und zu Arztterminen, er kochte für sie und arbeitete hart, um unsere Rechnungen zu bezahlen. Jetzt sind die Kinder erwachsen. Ich bin frei, weil ich krank bin - und Reza ist nun derjenige, der im Gefängnis sitzt. Es ist eine seltsame und schmerzliche Situation.
Reza war immer ein überzeugter Verfechter der Menschenrechte für Frauen und für Menschen aller Religionen und Herkunft. Als er mir einen Heiratsantrag machte, sagte ich ihm, dass ich mich weigere, den Hidschab zu tragen. Er antwortete, das sei eine persönliche Angelegenheit, es sei meine Sache. Seine Antwort bedeutete mir viel. Während unseres gesamten gemeinsamen Lebens ist er diesen Worten immer treu geblieben. Darüber hinaus hat Reza meine Arbeit als Anwältin und als Aktivistin mit besonderer Liebe begleitet. Es war, als sei diese außergewöhnliche Unterstützung für ihn das Normalste im Leben.
Während der langen Jahre meiner Inhaftierung hat sich Reza nie beklagt und immer versucht, mich mit guten Nachrichten zu beglücken. Ich erinnere mich, als er mir erzählte, dass unsere Tochter Mehraveh bei der nationalen Prüfung zur Aufnahme in die Universität unter mehreren Millionen Teilnehmern den 15. Platz belegt hatte. Mein Herz füllte sich mit Freude und Hoffnung.
Einmal, da war Nima fünf Jahre alt und hatte gerade mit dem Musikunterricht begonnen, brachte Reza ihn unter großer Mühe mit einem Xylophon in den Besuchssaal des Gefängnisses. Ich konnte Nima nur hinter einer Glaswand spielen sehen, aber die Szene ist mir noch heute so gegenwärtig, als wäre sie gestern passiert. Noch Wochen nach diesem Treffen hallte der Klang von Nimas Musik in meinem Kopf nach. Ich schlief ein und wachte zu diesem Klang auf. Es war, als hätte sich eine neue Welt für mich geöffnet.
Jetzt ist es meine Aufgabe, zu versuchen, meinem Mann diese Art von Erleichterung zu verschaffen. Reza war ursprünglich im September 2018 verhaftet worden, weil er zusammen mit unserem Freund Farhad Meysami Tausende von selbstgemachten Buttons hergestellt hatte, auf denen stand: „Ich bin gegen das iranische Gesetz zur Hijab-Pflicht.“ Ich war zur gleichen Zeit im Gefängnis (Familie und Freunde kümmerten sich um Mehraveh und Nima), und Reza wurde nach 111 Tagen auf Kaution freigelassen.
Am 13. Dezember 2024 wurde Reza erneut verhaftet, als Regierungsbeamte eine Razzia in unserem Haus durchführten. Es war derselbe Tag, an dem die Behörden ein neues, strengeres Gesetz zum Hidschab und zur Keuschheit einführen wollten. Ich hatte die Aufhebung dieses Gesetzes gefordert, das aufgrund breiter gesellschaftlicher Proteste schließlich auf Eis gelegt wurde.
War die Bestrafung von Reza eine Methode, sich an mir zu rächen? Ich denke immer wieder darüber nach.
Reza hat wiederholt seine eigene Standhaftigkeit und seinen Widerstand bei der Verteidigung der Frauenrechte bewiesen. Er steht an meiner Seite, an der Seite unserer Tochter und an der Seite von Millionen iranischer Frauen. Und es gibt weitere Männer wie Reza, die sich in Gefahr begeben, um für die Frauen in unserem Land einzutreten. Einige von ihnen teilen sich mit Reza die Zelle im Evin-Gefängnis.
Es gibt eine Petition, die Rezas Freiheit fordert, geschrieben von Jeff Kaufman und unterstützt von Robert F. Kennedy Human Rights, PEN America, der Feminist Majority Foundation, dem Right Livelihood Award und dem Ms.-Magazine (und Alice Schwarzer und EMMA, Anm. d. Red). Sie wurde von über 1.500 Menschen auf der ganzen Welt unterzeichnet. Ich hoffe, dass jeder, der dies liest, seinen Namen hinzufügen wird.
Ich durfte Reza im Gefängnis nicht besuchen, weil ich keinen Hidschab trage, aber wir telefonieren, wann immer es möglich ist, und ich erzähle ihm regelmäßig von dieser Kampagne und der unerschütterlichen Unterstützung, die er erfährt. All das gibt ihm Kraft und Hoffnung, die er mit den anderen Häftlingen teilt.
Trotz der harten Bedingungen, zu denen auch mehrere Aufenthalte in Einzelhaft gehören, bleibt Reza stark und setzt sich für seine Prinzipien ein.
Im März 2025 sandte er eine Botschaft aus seiner Zelle, in der es unter anderem hieß: „Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Kleidungsfreiheit und andere Freiheiten dieser Art gehören zu den grundlegenden Menschenrechten, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hervorgehoben wurden. Ich fordere die Freiheit aller politischen Gefangenen und protestiere weiterhin gegen den obligatorischen Hidschab.“
Unsere Welt ist in vielerlei Hinsicht gefährdet, aber wir Bürgerinnen und Bürger wissen sehr gut, wie sehr der internationale Frieden, die Ruhe und die Sicherheit von der Achtung der Menschenrechte abhängen.
Reza, ich liebe dich und danke dir für deine Beharrlichkeit.
NASRIN SOTOUDEH
Hier die Petition für die Freilassung von Reza Khandan unterschreiben!