Nasrin Sotoudeh im Hungerstreik

Nasrin Sotoudeh sendet einen letzten Hilferuf.
Artikel teilen

Seit Frühling letzten Jahres sitzt die 56-jährige Nasrin Sotoudeh in dem berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Bereits in diesem Frühjahr war sie in den Hungerstreik getreten. Jetzt tut sie es wieder. Nun will sie sogar auf Wasser verzichten.

Anzeige

„Die Inhaftierung ist unter diesen grausamen Bedingungen unmöglich.“

Sotoudeh hat sich nach eigenen Angaben aus Protest für den Hungerstreik entschieden, nachdem ihre Forderungen nach Freilassung der politischen Gefangenen unbeantwortet geblieben waren. Die iranische Justiz hatte bereits im vergangenen März mitgeteilt, wegen der Corona-Pandemie mehr als 80.000 Gefangenen Hafturlaub gewährt zu haben. Politische Gefangene waren jedoch weitgehend von der Sonderregelung ausgenommen worden. Ihre Familien hatten damals in einem offenen Brief an die iranische Justiz die Freilassung ihrer Angehörigen gefordert. Rund 300 iranische AktivistInnen im In- und Ausland hatten diese Forderung mit einem offenen Brief an internationale Menschenrechtsorganisationen und die Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützt. Passiert ist nichts.

In einem Brief hatte Sotoudeh auch die Freilassung der politischen Gefangenen in Zeiten von Corona verlangt: „Unsere Situation ist schwer, die Fortsetzung der Inhaftierung ist unter diesen grausamen Bedingungen unmöglich. Und noch immer haben viele von uns politischen Gefangenen keinen Zugang zu einem Anwalt“, schrieb die zweifache Mutter in ihrem Brief auf Facebook.

„In den Hungerstreik zu treten, ohne dabei Wasser zu trinken, ist ein letzter Hilferuf.“

Die Menschenrechtsaktivistin Shaparak Shajarizadeh, eines der Mädchen der Revolutionsstraße, die gegen den Schleierzwang protestierten und der Anwältin Sotoudeh das Leben rettete, nennt einen Hungerstreik ohne das Trinken von Wasser den „letzten Hilferuf“ von Nasrin. Shajarizadeh versucht nun, die Welt dazu zu bringen, endlich hinzuschauen. Auch gibt es erste Anzeichen dafür, dass sich Corona im Evin-Gefängnis ausbreitet. Zwölf Gefangene wurden bereits positiv getetest, so das Center for Humanrights. Es wird Zeit.

Im April 2019 sprach EMMA mit Reza Khandan, dem Ehemann von Nasrin.

Artikel teilen
Alice Schwarzer schreibt

#FreeNasrin: Internationale Proteste

Artikel teilen

Im Gespräch mit EMMA hat sie noch im April 2018 beteuert, sie bereue nichts: „Es war niemals ein Fehler, dass ich diese Prozesse geführt habe.“ Und sie fügte hinzu: „Egal, wie lange ich im Gefängnis saß: Ich habe nicht bereut, was ich getan habe.“ Zwei Monate später, am 13. Juni, wurde die Frauenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh verhaftet und in das berüchtigte Evin-Gefängnis geworfen, wo sie seither sitzt.

Anzeige

Neun Monate später wurde das finale Urteil bekannt, das in ihrer Abwesenheit und einer anwaltlichen Vertretung von dem „Revolutionsgericht“ gefällt worden war: insgesamt 38 Jahre Gefängnis und 148 Peitschenhiebe. Seither hagelt es Proteste in der ganzen Welt: PolitikerInnen, JuristInnen, Exil-IranerInnen, Menschenrechtsorganisationen und schlicht empörte Menschen fordern Nasrins sofortige Freilassung: von New York bis Hongkong, von Rom bis Paris. Nur in Deutschland ist man recht zurückhaltend.

Im Gespräch mit EMMA im April versicherte Reza Khandan, der Ehemann von Nasrin, seiner Frau gehe es relativ gut. Sie habe sich zwar von den zwei Hungerstreiks, in die sie aus Protest getreten war, noch nicht ganz erholt; doch sie sei entschlossen, weiter zu kämpfen.

Shaparak Shajarizadeh, die gegen den Kopftuchzwang protestierte, über Nasrin Sotoudeh: "Sie kann nicht schweigen, wenn sie Unrecht sieht"

Gegen den Fall, der weltweit Aufsehen erregt, wird im Iran nur verhalten protestiert. Die staatlichen Medien schweigen. „Und der Richter, der sie verurteilt hat, lügt“, sagt Reza. „Er behauptet, Nasrin sei ‚nur‘ zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden.“ Die Unerschrockene hat jetzt entschieden, den Richter wegen „Verbreitung von Falschbehauptungen“ zu verklagen. 

Zuletzt hatte die Anwältin die so genannten „Mädchen der Revolutionsstraße“ verteidigt, die es gewagt hatten, öffentlich ihr Kopftuch runterzureißen und es aus Protest wie eine Fahne zu schwenken (EMMA berichtete vielfach). Eines dieser von ihr todesmutig verteidigten „Mädchen der Revolutionsstraße“ ist Shaparak Shajarizadeh. Drei Tage nach deren Prozess im Juni 2018 war die Anwältin Sotoudeh verhaftet worden.

Shaparak konnte fliehen und lebt jetzt in Kanada im Exil. Die junge Iranerin veröffentlichte einen Text über ihre Anwältin in Time. Sie schrieb: „Nasrin hat mir erklärt, dass mein Kampf auch ihr Kampf sei – der Kampf von allen iranischen Frauen. Dass ich nicht alleine bin, und dass sie nicht ruhen wird, bis ich wieder frei bin. Zu wissen, dass Nasrin für mich da war, hat mir geholfen, das alles durchzustehen. Als ich im Gefängnis saß, war Nasrin meine einzige Hoffnung. Sie hat alles in ihrer Macht Stehende getan, um mich zu befreien.“ Und sie fährt fort: „Ich kann meine Stimme heute nur erheben, weil sie sich so unermüdlich für mich eingesetzt hat. Aber so ist sie. Nasrin kann nicht schweigen, wenn sie Unrecht sieht. Und darum sollten auch wir nicht schweigen!“

Nasrin mit ihrem Mann Reza Khandan und ihren beiden Kindern.
Nasrin mit ihrem Mann Reza Khandan und ihren beiden Kindern.

Im dauerfrostigen Iran scheint wieder eine Eiszeit anzubrechen. Im Frühjahr berief Ayatollah Chamenei einen berüchtigten Hardliner zum Justizchef: Ebrahim Raisi. Der steht als Chef der iranischen Justiz noch über dem Justizminister. Raisi ist mitverantwortlich für den Tod von Tausenden, wenn nicht Zehntausenden Oppositionellen. 1988 wurden die Verurteilten vom „Komitee des Todes“ im Halbstundentakt an Baukränen erhängt. Raisi entschied persönlich mit über Leben und Tod.

Nasrin Sotoudeh ist dem Regime schon lange ein Dorn im Auge. Nach Abschluss ihres Jurastudiums im Jahr 1995 musste sie acht Jahre auf ihre Zulassung als Anwältin warten. In der Zeit arbeitete sie als Journalistin und schrieb vor allem über Frauenrechte. Später war sie für die iranische Menschenrechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi tätig. Die lebt inzwischen im Londoner Exil.

Und sie war eine der Aktivistinnen der „Eine Million Unterschriften“-Kampagne für die Menschenrechte von Frauen. 2012 verlieh ihr das Europaparlament den Sacharow-Preis für „geistige Freiheit“.

Es wäre schon sehr praktisch für den iranischen Gottesstaat, wenn er eine Frau wie Nasrin Sotoudeh mundtot machen könnte. Aber natürlich meint der Terror gegen die eine Frau gleichzeitig alle IranerInnen: Seht her, das machen wir mit einer, die es wagt, sich gegen unser Diktat aufzulehnen.

Allein in den letzten zehn Jahren wurden 440.432 Frauen wegen „Verstoß gegen die Kleiderordnung“ verhaftet. Jährlich werden tausende Todesurteile gefällt und vollstreckt. Und nur zwischen März 2012 und März 2013 wurden 40.651 gesetzlich erlaubte Kinderehen mit Mädchen unter 15 Jahren geschlossen; 1.537 von ihnen waren unter zehn Jahre alt. Seit Beginn des Gottesstaates 1979 wurden über 110.000 Menschen hingerichtet, darunter laut Statistik 6.000 Homosexuelle und 3.000 gesteinigte Frauen. Da ist es kein Wunder, dass das Land den Weltrekord im Drogenkonsum hält: JedeR Zehnte ist drogenabhängig.

Weltweit wird für die Freilassung von Nasrin Sotoudeh protestiert. Nur in Deutschland ist es bisher relativ ruhig. Wie lange noch?

Nasrin Sotoudeh aber flüchtet sich nicht ins Vergessen, sie kämpft. Und sie ist entschlossen, weiterzukämpfen. Dafür erfährt sie international viel Zuneigung und Unterstützung, allen voran aus Frankreich. Die Abgeordneten von Paris haben die Iranerin einstimmig zur Ehrenbürgerin ihrer Stadt ernannt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Fassade ihres Sitzes mit einem überlebensgroßen Porträt von Nasrin bedeckt. Französische und franco-iranische Feministinnen protestieren auf der Straße. Alle fordern die umgehende Freilassung von Nasrin Sotoudeh!

Nur in Deutschland ist es relativ ruhig, wie immer. Aber immerhin: Außenminister Maas twitterte umgehend: „Wir fordern Sotoudehs Freilassung und werden uns gegenüber Iran auch in Zukunft für sie einsetzen.“ Und Justizministerin Katarina Barley ließ auf Anfrage von EMMA mitteilen: „Der Iran muss kritische Stimmen endlich zulassen und Nasrin Sotoudeh freilassen!“ Und die Kanzlerin? Da liegt der Fall „noch zur Abstimmung“.

Die internationale Solidarität stärkt und schützt Nasrin Sotoudeh selbstverständlich. Wir können nur hoffen, dass sie nicht gefoltert wird, wie es bei den „Mädchen der Revolutionsstraße“ geschah. Und wir können nur hoffen, dass Nasrin unter dem internationalen Druck freigelassen wird. Wobei – das Exil ist für so eine Kämpferin keine Lösung. Die einzige Lösung wäre das Ende dieser verbrecherischen Diktatur.

Alice Schwarzer und Alexandra Eul. Mit Übersetzungen von Mojdeh Noorzad.

Hier geht es zur Kampagne von Amnesty International, die die Freilassung von Nasrin Sotoudeh fordert.

Aktualisierung vom 14. Mai 2019
Inzwischen hat uns dieses Statement eines Regierungssprechers erreicht: "Die universelle Geltung der Menschenrechte und der Einsatz für ihren umfassenden Schutz sind ein Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik. Gemeinsam mit den EU-Partnern interveniert die Bundesregierung regelmäßig gegenüber der iranischen Regierung und setzt sich für Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch iranische Behörden ein. In diesen Zusammenhang gehört insbesondere auch der Fall von Frau Sotoudeh, in dem sich die Bundeskanzlerin auch persönlich engagiert."

Weiterlesen
 
Zur Startseite