Neuer Film von Hans-Christian Schmid: Sturm
Warum hat Zeuge Alen Hajdarevic sich nicht gewehrt gegen die Behauptung, seine Aussage über die Massenvergewaltigungen sei falsch gewesen? Warum hat er lieber die Schande eines "Meineids" auf sich genommen und sich in seinem Hotelzimmer in Den Haag erhängt? Warum hat er nicht einfach gesagt: Meine Schwester Mira weiß alles. Sie hat es erlebt – und sie hat es überlebt. Ganz einfach: Weil auch Mira, die inzwischen mit Mann und Sohn in Deutschland lebt, lange geschwiegen hat. Doch der Tod des Bruders erschüttert sie so, dass sie endlich redet: Über das, was damals im Hotel "Vilina Kosa" geschah. Und sie hat jemanden, der ihr zuhört: Hannah Maynard, Anklägerin am Den Haager Kriegsverbrechertribunal.
Der Filmemacher Hans-Christian Schmid, 44, erzählt in "Sturm" die erschütternde Geschichte dessen, was 1992 in Hotels wie dem "Vilina Vlas" in Visegrad oder dem "Galeb" in Brcko geschah. Und er richtet dabei seinen Blick vor allem auf die Opfer.
Bereits in "Requiem" hatte Grimme-Preisträger Schmid 2005 seinen ungewöhnlich differenzierten und bewussten Blick auf Frauen unter Beweis gestellt. Damals ging es um die psychologische Gewalt innerhalb der Familie und die andauernde Macht der Kirche. Diesmal geht es um öffentliche Gewalt und die Rolle der Justiz. Schmid zeigt, wie die von Frauen erlittene sexuelle Gewalt im Krieg auch im Frieden von einem Kriegsverbrechertribunal als zu vernachlässigende Größe behandelt wird – als Manövriermasse zwischen Anklage und Verteidigung bei den Verhandlungen über die "großen" Kriegsverbrechen.
Hannah Maynard – differenziert gespielt von Kerry Fox, dem einst rothaarigen Wuschelkopf aus Jane Campions "Ein Engel an meiner Tafel" – ist zunächst kühle Vertreterin des bürokratischen Apparats, doch dann berührt sie Miras Mut der Verzweiflung. Die Anklägerin will es nicht hinnehmen, dass die Vergewaltigungs-Anklage zwecks Beschleunigung des Verfahrens weggedealt werden soll. "Und die Zeugin?", fragt die Anklägerin. "Das ist hier keine Scheiß-Therapie", bescheidet sie ihr Chef.
Auch die Den Haager Anklägerin hat ein reales Vorbild: die Staatsanwältin Hildegard Uertz-Retzlaff, die 1994 vom Bochumer Landgericht an das Den Haager Kriegsverbrechertribunal wechselte, weil "Vergewaltigung im Krieg den Stellenwert bekommen muss, der ihr zusteht, nämlich: dass sie ein Kriegsverbrechen ist." 1997 hatte EMMA die Anklägerin, die sich mit komplizierten Prozessen gegen mafiöse Wirtschaftskriminelle ebenso qualifiziert hatte wie mit ihrer Arbeit im "Sonderdezernat für Gewalt gegen Frauen", porträtiert: "Sie kommt uns entgegen, offenes Gesicht, kräftige Gestalt; führt uns in die Säle, die Tristesse verbreiten und eine Zeugin wohl eher einschüchtern als stark machen für die Aussagen gegen die Mörder, Vergewaltiger, Folterer im Bosnienkrieg."
Filmemacher Schmid, der lange Gespräche mit der Anklägerin führte, kontrastiert das grau-sachliche Tribunal-Universum aus Beton und Glas mit Miras aufgewühlter Gefühlswelt aus Wut und Verzweiflung. Mira – die eindringlich gespielt wird von Anamaria Marinca aus dem Cannes-Gewinner "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" – ist in diesem Universum eine Zeugin, nicht mehr und nicht weniger. Auch ihr Schutz, der ihr vom Gericht zugesichert wird, erweist sich als äußerst löchrig.
Sie könne "keiner Zeugin einen Vorwurf machen, die nicht vor einem Kriegsverbrechertribunal aussagen will", sagt die reale Anklägerin Uertz-Retzlaff 1997. Der Blick der Film-Anklägern Hannah Maynard Blick am Ende von "Sturm" sagt 2009 dasselbe.
Übrigens: Einige der Vergewaltigungs-Hotels von damals beherbergen heute, 14 Jahre nach Kriegsende, wieder Bordelle. Diesmal werden sie nicht von Soldaten, sondern von Menschenhändlern bestückt.