Obama & die Frauen

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Als der künftige US-Präsident Obama die New Yorker Senatorin Clinton am 1. Dezember zur Außenministerin ­ernannte, war dies das Ende einer ­Wackel­partie. Würde er, würde er nicht? Will sie? Will sie nicht? Sie will! Die einstigen ­Gegner tun sich zusammen: Er ist Landeschef, sie das Gesicht Amerikas in der Welt. Obamas ehemalige Parteikonkurrentin war zwar acht Jahre lang First Lady und acht Jahre Senatorin von New York, hat aber keine Erfahrung als Ministerin. Sie ist brillant, aber sie gehört zum Esta­blish­ment in Washington. Und sie hat noch Bill im Gepäck, dessen eigene politische ­Projekte eine Obama-Regierung ­stören könnten. Aber sie hat Gewicht in der Partei. Und sie hat sehr viele Anhängerinnen. Dank ihrer Kandidatur hatte die gläserne Decke für Frauen „18 Millionen Risse“ bekommen. Und Obama gibt das Signal: Hier ist einer, der über Rivalitäten und Männerkumpanei steht. Ein Anfang.

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Change? Naja. Viele Namen werden genannt, die ab 20. Januar den Neuanfang im Weißen Haus schaffen sollen. Das wichtige Amt für Heimatschutz bekommt die Gouverneurin von Arizona, die 50-jährige Juristin Janet Napolitano. Im Gespräch für das Wirtschaftsministerium ist für eine kurze Zeit die Milliardärin Penny Pritzker, eine enge Verbündete Obamas. Eine Handvoll Frauen gehört also zum neuen Team dazu, aber nicht übertreiben, „Frauenpower“ ist das noch lange nicht.

Die Botschaft ist deutlich, Barack Obama wird keine besondere Rücksicht auf Interessensgruppen, auf „Minder­heiten“ nehmen. Die Reaktionen sind ­gemischt. „Es ist symbolisch wichtig, dass Frauen proportional im Kabinett repräsentiert sind“, sagt Cynthia Hess vom ­Institute for Women’s Policy Research. Veränderungen müssen auch äußerlich demonstriert werden, das ist der erste Schritt in die Realpolitik. – Nein, argumentieren andere, Obama tut gut daran, Frauen nicht wegen ihres Geschlechtes zu rekrutieren: „Die Demokraten haben in der Vergangenheit zu oft Politik mit Rücksicht auf Geschlecht oder Hautfarbe betrieben“, meint Marie Danzinger von der Harvard Universität.

Barack Obama, ein cooler Pragmatiker, der eine Frauenquote nicht braucht? (Im Gegensatz zum konservativen franzö­sischen Präsidenten Sarkozy, der sehr ­augenfällig ein Kabinett der Frauen und Minderheiten zusammenstellte.) Dabei hat Barack Obama allen Grund, frauenfreundlich zu sein: 35,9 Millionen Ame­rikanerinnen haben ihn ins Amt gehoben, aber nur 27,8 Millionen Männer, ein ­subs­tantieller Unterschied. In seiner ersten Rede nach dem Wahlsieg geht Obama auf die Frauen mit keinem Wort ein.

Aber eine Frau wird geehrt für alle: eine Wählerin in Atlanta, die 106-jährige Alice Nixon Cooper, geboren „in einer Epoche, als eine Frau und ein schwarzer Mensch nicht wählen durften“. An ihrem Lebenslauf geht Obama die Geschichte des 20. Jahrhunderts durch: „… und als Frauenstimmen nicht angehört wurden, als ihre Hoffnungen abgetan wurden, war Alice Nixon Cooper Zeugin, wie die Frauen aufstanden und sich Gehör verschafften und sich das Recht zu wählen nahmen – Yes, we can“.

Blinder Fleck Frauen. Frauenanliegen – sie irrlichterten durch Obamas Wahlkampf. Nie ganz weg, aber nie ganz da. Ganz klar war Obamas Bekenntnis zum Recht auf Abtreibung: „the right to choose“. Mit ihm sei eine Änderung der Gesetzeslage nicht zu machen – eine Kampfansage gegen die religiöse Rechte. Der ehemalige Armenanwalt aus Chicagos sozialen Brennpunkten kennt ebenfalls die verheerende Lage der Frauen in Niedriglohngruppen. „Gleicher Lohn für gleiche ­Arbeit“ – die Forderung steht im Wahlprogramm weit oben. Bitter nötig.

Denn in den USA werden Frauen erst um das Jahr 2050 so viel verdienen wie Männer! Im Jahr 2007 bekam die Durchschnittsamerikanerin 77 Cent auf jeden Dollar, den ein Mann verdiente. Noch mieser die Zahlen für farbige Frauen, Afroamerikanerinnen bekamen 72 Cent, Latina-Frauen nur 60 Cent. Darauf hob Obama ab, als er im Wahlkampf versprach, als Präsident daran etwas zu ändern: „Ich möchte nie, dass meine Töchter je in eine Lage geraten, in der sie wegen ihres ­Geschlechtes diskriminiert werden. Allein daran zu denken, macht mich wütend. ­Dagegen müssen wir kämpfen.“

Klingt gut, doch ab Januar hat der Präsident von Amerika andere Prioritäten: Arbeitsplätze retten angesichts der existenziellen Rezession, die die USA erfasst. Die gewaltige Kreditkrise in den Griff kriegen. Die dramatischen Zwangsversteigerungen von Immobilien bremsen. Den Krieg im Irak beenden. Nach acht Jahren Bush ist das Land eine Riesenbaustelle, Obama wird die Amerikanerinnen als Berufs­tätige, als Mütter, als Hausfrauen ansprechen in der Gewissheit, dass die drückenden Probleme des Landes den Alltag von Millionen Familien bestimmen.

Aber so werden Frauenanliegen Neben­sache, wie so oft in der Geschichte, nicht nur in den USA. Die Beschwörung der heilen Familie ist ein Leitmotiv von ­Barack Obama, darin gleicht er konser­vativen Politikern. Es wundert also wenig, dass er sich im wieder aufkochenden Streit um die Schwulenehe nicht besonders stark macht – eine Ehe ist halt etwas zwischen Mann und Frau.

Vormarsch der Frauen ins Weiße Haus? Die wichtigsten Frauen im Leben des ­Barack Obama sind im East Wing der ­Residenz des Präsidenten: Ehefrau Michelle, die beiden Töchter Malia und Sasha und vielleicht auch Schwiegermutter Marian Robinson. Die Medien können sich über Schwiegermütterwitze und die netten Kleidchen der Mädchen freuen. Derweil wird der westliche Flügel wie eh und je überwiegend von Männern bevölkert.

Obamas eigene Ehe ist sowohl konventionell als auch inspirierend. Da sind die glänzend inszenierten Auftritte der künftigen First Family, Liebesbekundungen vor Millionen Fernsehzuschauern inklusive. Es darf herzerwärmender Elternkitsch nicht fehlen, weil die Töchter so wunderbar im Wahlkampf waren, bekommen sie nun zum Umzug nach Washington das neue Hündchen. Aber er verheimlicht auch nicht, dass seine Michelle die starke (und besser verdienende) Hälfte des Powerpaares ist bzw. war. Denn von nun an wird die Topjuristin First Lady sein – ein unbezahlter und relativer Job, die Frau eben an seiner Seite. Enttäuschungen und Überraschungen sind also vorprogrammiert.

Schlussstrich unter Kränkung und Ausbeutung. Dennoch hat die ganze Welt Grund, sich über diesen Präsidenten zu freuen. Eine historische Zäsur hat stattgefunden, die nie mehr auszulöschen ist, noch nicht einmal, wenn das Projekt „Change“ scheitern sollte. Obamas Wahl hat einen Schlussstrich gezogen unter 400 Jahre Kränkung und Unterdrückung der Schwarzen.

Amerika ist auf eine Sklavengesellschaft aufgebaut und die Welt wurde wieder daran erinnert. Am 1. Dezember 1955 wurde die schwarze Bürgerrechtlerin Rosa Parks verhaftet, weil sie sich weigerte, im Bus für einen weißen Mann aufzustehen. Menschen wurden zusammengeschlagen, ins Gefängnis geworfen oder gar ermordet, weil sie für die Gleichheit der Rassen eintraten. Erst 1964 erkämpften Bürgerrechtler wie Martin Luther King das uneingeschränkte Wahlrecht der Schwarzen, da war Barack Hussein Obama drei Jahre alt …

Schwarze, Latinos und Asiaten bilden ein Drittel der US-Bevölkerung, die Hoffnung auf eine „post-racial society“, eine Gesellschaft jenseits von Rassenetiketten, wurzelt in der demographischen Realität. Dennoch fragten sich viele noch vor ­weni­gen Monaten, ob Amerika „so weit“ sei, einen schwarzen Präsidenten zu wählen; obwohl es ja schon einen Colin Powell, eine Condoleezza Rice in hoher politischer Verantwortung gegeben hatte. Auch aufgeklärte Amerikaner waren skeptisch. Die USA seien und blieben eine rassistische Gesellschaft mit überproportional vielen Schwarzen in der Unterschicht und in den Gefängnissen gleichermaßen, hieß es. Die Stereotypen, auf welchen Gebieten Schwarze reüssieren können (HipHop und Basketball) und auf welchen nicht (Geigenspiel und Schach) lebten ja munter fort, trotz der Gleichheit auf dem Papier.

Es kam anders, wunderbar anders. Das unbestreitbare Verdienst dieses Sohnes einer schneewittchen-weißen amerikanischen Mutter und eines tiefschwarzen ­kenianischen Vaters ist es, sich zu seiner gemischten Identität zu bekennen. Als Afroamerikaner definiert Obama Haut­farbe jenseits der Politik. Wie stehen alle Amerikaner zum Abzug aus dem Irak? Was tun alle gemeinsam gegen die Gier der Wall Street? Wie schaffen sie ein Recht auf Bildung und Gesundheit für alle? Seine Biografie lässt hoffen: Obama hat sich in eine gutausgebildete, kosmopolitische Mittelschicht hochgearbeitet und teilt deren Werte. Einer, der sein Bestes gibt und einen guten Job macht – das ist seine Attraktivität für Weiße und Schwarze gleichermaßen.

Bei den Wahlpartys auf Harlems Straßen spürte jeder, wie sehr sich die Menschen nach einer farbenblinden Zukunft sehnen, als ob das Land nun in einem Kraftakt die Aufspaltung in Gruppen und Ethnien überwinden will. Da sagte es einer für alle: „Ich bin nicht nur stolz darauf schwarz zu sein, sondern Mensch zu sein. Ich werde es meinen Kindern und Enkeln erzählen. Dass ich gewählt habe. Ich bin so stolz.“

Sauerstoff für die US-Demokratie. Zu Recht waren dies die Stunden der ganz großen Worte wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Einigkeit – Sauerstoff für die Demokratie. Ähnliches haben die Deutschen beim Mauerfall gespürt und ähnlich erstaunlich wäre es wohl, wenn ein türkischstämmiger Kanzler gewählt werden würde. In Harlem drückten die Menschen auf den Straßen gleichzeitig Stolz und Fassungs­losigkeit aus, denn einer, der so aussah wie sie, hatte die Gemeinschaft zusammen­gebracht, egal welches Alter, welche Rasse und … welches Geschlecht. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – die alte Floskel klang taufrisch. Auch ein Latino-Präsident sei demnächst denkbar, so jubelten Weiße, Schwarze, Braune. Selbst eine Präsidentin, so hoffen Frauen.

Die Gräben überwinden, das ist ein großer Verdienst dieses Afroamerikaners, der nie als Kandidat der Schwarzen auftreten mochte. Er erwies in seiner ersten Rede nach dem Wahlsieg zwar den alten, den militanten Bürgerrechtlern die Ehre, bedeutete aber gleichzeitig den Jungen, dass es nun keine Ausreden mehr geben kann. Schwarze sind nicht mehr nur Opfer, die 60er Jahre gingen am 4. November 2008 endgültig zu ende.

Dennoch bleiben – nach der ersten Euphorie – viele Frauen hin und her ­gerissen zwischen der großen Sympathie für den Mann, der sehr geschickt einen Sieg für die Schwarzen errungen hat und den Mann, der die Interessen der Frauen wenig auf seinem Schirm hat. Seltsam, dass dem Aufsteiger und Intellektuellen Obama eine Erkenntnis abgeht: Haut­farbe ist, genauso wie Geschlecht, ein ­Faktum, dem niemand entkommen kann.

Die Autorin ist Monitor-Chefin und z.Zt. Sonderkorrespondentin in New York.

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